Russlands Föderale Strafvollzugsbehörde FSIN hat einen schlechten Ruf. Schlechte Zustände in den Gefängnissen und Straflagern, Korruption und Folter von Insassen bestimmen für gewöhnlich die Schlagzeilen. Weniger bekannt ist, dass die Strafvollzugsbehörde mit ihren 700 Lagern auch ein riesiges Wirtschaftsunternehmen ist. Und einer der größten Arbeitgeber des Landes. So führte die russische Ausgabe der Wirtschaftszeitschrift „Forbes“ die FSIN im Jahr 2012 auf Platz 168 der umsatzstärksten Unternehmen, noch vor dem Internetgiganten Yandex. Zwar gehört die Strafvollzugsbehörde mittlerweile nicht mehr zu den Top-200 Unternehmen Russlands, dennoch macht sie Milliardenumsätze. So wurden nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti im Jahr 2017 33,3 Milliarden Rubel (469 Millionen Euro) erwirtschaftet. Der damalige stellvertretende Generaldirektor Oleg Korschunow sprach sogar von 50 Milliarden Rubel (704 Millionen Euro).
Die Suche nach Vermarkungsstrategien
Schaut man in den Internetkatalog der FSIN, wird man von einer großen Warenvielfalt überrascht. Kleidung, Lebensmittel, Gartenzäune und sogar Blumen: die Produktpalette von Russlands Haftanstalten ist äußerst breit gefächert. Insgesamt 100 000 Produkte sollen es sein. Kern der Produktion sind aber Lebensmittel (meist für den Eigenbedarf) und Kleidung. Diese wird überwiegend von der FSIN selbst, dem Innen- sowie dem Verteidigungsministerium abgenommen.
Um auch für nichtstaatliche Kunden attraktiver zu werden, kam die Strafvollzugsbehörde 2017 auf die Idee, ihre Produkte offensiver zu vermarkten und die Herkunftsbezeichnung „Sdelano w tjurme“ (Hergestellt im Gefängnis) einzuführen. Der stellvertretende Direktor Ruslan Stepanenko erklärte damals, dass man als Marke mit einem Logo auftreten müsse, denn das würde dem Ansehen der Produkte gerecht werden. Allerdings blieb es bis heute bei der Idee.
Mangel an nichtstaatlichen Auftraggebern
Dabei benötigt die FSIN zunehmend neue Partner. Denn die Staatsaufträge gehen seit Jahren zurück. Erst im Oktober erklärte Stepanenko gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax, dass es nicht genügend Aufträge gebe, um die Insassen zu beschäftigen. Auf der Suche nach privaten Partnern begann die regionale Behörde der nordrussischen Republik Komi bereits 2013 damit, Außenstellen von Gefangenenlagern in der Nähe von Großunternehmen und Großbaustellen einzurichten. Es gehe zum einen darum, mit minimalem Einsatz staatlicher Gelder Gefangene zur Zwangsarbeit in verschiedenen Wirtschaftszweigen einzusetzen. Zum anderen aber auch darum, Arbeitsmigranten zu ersetzen und auf den regionalen Arbeitsmarkt einzuwirken, hieß es 2016 in einem Gesetzesvorhaben, das das Projekt auf ganz Russland ausweiten wollte.
Potenzielle Arbeiter für weitere Großprojekte sind auf jeden Fall genügend vorhanden. Zwar sank die Zahl der Häftlinge im Oktober auf ein historisches Tief. Dennoch sitzen immer noch 434 000 Menschen in Russlands Lagern ein. Laut Stepanenko arbeiten davon 170 000 und das vermehrt für private Kunden.
Immer vor Ort, aber kaum Lohn
Und Stepanenko wird nicht müde, die Vorzüge seiner Insassen anzupreisen. Es sei lukrativ, mit der FSIN zusammenzuarbeiten, so der stellvertretende Direktor im Oktober. Schließlich würden die Inhaftierten nicht trinken und seien immer vor Ort, bewarb er die Lagerinsassen. Attraktiv sind für Unternehmer auch die niedrigen Löhne. Denn trotz Beteuerungen, dass man bei hervorragender Arbeit zwischen 20 000 und 25 000 Rubel (281 bis 352 Euro) pro Monat verdienen könne, sieht die Realität anders aus. Laut Gesetz kann die FSIN bis zu 75 Prozent des Lohns für Steuern, Ansprüche aus Zivilklagen, Alimente und Unterbringungskosten einbehalten.
So bleiben vielen Insassen oft nur 300 Rubel (4,20 Euro) pro Monat über und damit weit weniger als der russische Mindestlohn von aktuell 11 280 Rubel (159 Euro). Insgesamt sei ein Gefangener nach Angaben der „Forbes“ 2,5 Mal billiger als ein normaler Arbeiter. Ein Unternehmer aus der Wolgaregion berichtete der Zeitschrift, dass ihn 30 Inhaftierte so viel kosten würden, wie fünf bis sechs Freie.
Allerdings scheint es auch immer wieder vorzukommen, dass die Arbeit gar nicht entlohnt wird. So berichtete der ehemalige Gefangene Wassilij Schambir 2017 der „Forbes“, dass in seiner Anstalt 60 Prozent der arbeitenden Gefangenen nicht entlohnt wurden. Auch wegen solcher Zustände ziehen es Großkunden wie der Rohstoffförderer Nornickel vor, die Arbeit der Gefangenen gegenüber ihren ausländischen Partnern zu verschweigen.
Daniel Säwert