Zwischen Hoffnung und Sorge

Seit mehreren Wochen protestieren im südamerikanischen Venezuela Zehntausende gegen den amtierenden Präsident Nicolás Maduro. Doch während sich die meisten westlichen Staaten von dem umstrittenen Staatschef abgewandt haben, hält Russland weiter an dem Herrscher in Caracas fest. Wie erleben junge Venezolaner in Russland die scharfe Aus­einandersetzung? Darüber sprach die MDZ-Gespräch mit Rubén Corredor. Der 29-jährige Venezolaner studiert an der föderalen Ural-Universität in Jekaterinburg.

Steigende Kriminalität und Versorgungsprobleme treiben viele empörte Venezolaner auf die Straße. / Foto: img.tsn.ua

Herr Corredor, Sie leben jetzt seit 14 Monaten in Russland. Was hat Sie in das Land verschlagen?

Ich absolviere einen Masterstudiengang in Russian Studies (Anm.d.Red.: Russische Sprache und Geschichte). Dafür habe ich ein Stipendienprogramm gefunden und denke, das ist eine gute Möglichkeit, um einen Einblick in das Land zu bekommen.

In Ihrem Heimatland Venezuela tobt gegenwärtig eine erbitterte Ausein­andersetzung zwischen Staatschef Nicolás Maduro und dem oppositionellen Parlaments­präsidenten Juan Guaidó. Wie erleben Sie die Krise von Russland aus?

Ich bin tief besorgt und informiere mich täglich darüber, was in meinem Land vor sich geht. Dafür lese ich täglich Nachrichten aus möglichst vielen verschiedenen Quellen und unterschiedlichen Perspektiven. Ich bin meiner Meinung nach ziemlich gut informiert. Außerdem telefoniere ich jeden Tag mit meiner Familie und halte mit meinen Freunden über die sozialen Medien Kontakt.

Bedauern Sie es, im Moment nicht bei Ihren Angehörigen zu Hause sein zu können?

Nein, es war immer mein Ziel, nach meinem ersten Studienabschluss noch ein postgraduales Studium im Ausland dranzuhängen.

In Caracas und anderen venezolanischen Städten gehen seit Wochen Zehntausende Menschen für einen der beiden Kontrahenten auf die Straßen. Nehmen auch Bekannte von Ihnen an den Demonstrationen teil – auf der einen oder anderen Seite?

Ja, der Streit zerschneidet auch meinen Bekanntenkreis. Freunde von mir, aber auch Teile meiner Familie unterstützen die Opposition um Juan Guaidó. Die anderen sind für das Regierungslager von Präsident Maduro. Und auf beiden Seiten gibt es Gemäßigte, aber auch Radikale. Es beunruhigt mich, dass sie auf die Straße gehen. Denn die Lage entwickelt sich in Richtung einer Eskalation der Gewalt. Die Intoleranz nimmt zu. Ich spreche ungern offen über das Thema, ich habe Angst vor Verfolgung.

Wie erklären Sie sich die nicht nachlassende Kraft der Demons­trationen? Was treibt die Menschen in beiden Lagern an?

Die ursprünglichen Proteste entzündeten sich am Fehlen von Nahrung und medizinischer Versorgung und an der immer stärker zunehmenden Kriminalität im Land. In dieser Hinsicht sind sich auch beide Seiten einig. Es gibt aber unterschiedliche Annahmen auf beiden Seiten zu den Gründen für die Ursachen dieser Probleme.

Russland stützt die venezolanische Wirtschaft seit mehreren Jahren mit Milliardenkrediten und hält weiterhin an Maduro fest. Außenminister Sergej Lawrow kündigte kürzlich an, Moskau werde alles in seiner Macht Stehende tun, um das Land zu unterstützen. Wie bewerten Sie die russische Haltung?

Russland sieht Maduro als den legitimen Präsident Venezuelas und geht dabei vom Ergebnis der Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr aus.

US-Präsident Donald Trump schlug sich dagegen schon früh auf die Seite von Parlamentspräsident Juan Guaidó, der sich im Januar zum Übergangspräsidenten ausrief. Trump übt Druck auf Maduro aus und schloss öffentlich auch eine Militärintervention in Venezuela nicht aus. Was denken Sie über diese Position?

Was die USA machen, ist ein offener Aufruf zum Sturz eines Präsidenten. Das ist eine frontale und offensichtliche Missachtung jedes internationalen Vertrages, inklusive der UNO-Charta an sich. Und wir wissen ja alle, was passiert, wenn die USA meinen, das Recht zu haben, sich in die Politik anderer Länder einzumischen.

Was sind Ihre persönlichen Wünsche für die weitere Entwicklung der Krise?

Ich hoffe, dass es am Ende zu einem nationalen Dialog und einer friedlichen Einigung kommt. Hoffentlich werden auch die zahlreichen politischen und ökonomischen Embargos kassiert, die gegen Venezuela von Seiten der USA und der EU verhängt wurden.

Das Gespräch führte Birger Schütz

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