
Letzten Sommer hat Wladislaw Dawankow all seinen Mut zusammengenommen und sich endlich getraut. Für einen Politiker wie ihn hätte es vermutlich ein großes Spektrum an Möglichkeiten gegeben, sich zu beweisen. Doch Dawankows Beitrag zur Aktion „Besiege deine Angst“ war ein Sprung vom Zehn-Meter-Turm im Moskauer Schwimmbad „Tschaika“. Nach eigener Aussage hat ihn das wegen Höhenangst eine Menge Überwindung gekostet.
Bestellte Opposition?
Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist der 39-Jährige aber nicht damit. Auch seine Kandidatur bei den Moskauer Bürgermeisterwahlen im Herbst 2023, bei denen er auf dem vierten und damit vorletzten Platz landete, dürften den meisten entgangen sein, auch wenn Dawankow mit dem einen oder anderen Spruch aufhorchen ließ. Eine ähnliche Rolle war ihm wohl auch bei den Präsidentschaftswahlen zugedacht, für die ihn seine Partei, die „Neuen Leute“, nominierte. Doch dann kam alles anders.
Dawankow ist Absolvent der Moskauer Lomonossow-Universität, dort hat er Geschichte studiert. Die „Neuen Leute“ wurden erst 2020 gegründet und ein Jahr später prompt in die Staatsduma gewählt. Seitdem haben viele sie im Verdacht, in Wahrheit ein Kreml-Projekt zu sein. Pseudo-Opposition in den vier Wänden der Duma statt Druck von der Straße.
Die Ideen des Kandidaten
Die Partei selbst positioniert sich als liberal. Was sie programmatisch von sich gibt, klingt oft vernünftig. Zuletzt hat man sich dafür ausgesprochen, rastloses Denunziantentum unter Strafe zu stellen.
Wladislaw Dawankow ist in der Duma mit eher harmlosen Gesetzesinitiativen zur Verkürzung der Neujahrsferien, Abschaffung von Hausaufgaben, zur Entkriminalisierung der Registrierungsregeln und zum Verbot von Zirkussen aufgefallen. Bei den Bürgermeisterwahlen in Moskau trat er mit der Idee an, den massenhaften Bau von Wohnhochhäusern zu stoppen, genauso wie die weitere „Optimierung“ des Gesundheitswesens.
Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen gab sich der krasse Außenseiter progressiv und pragmatisch. In einem Youtube-Interview sagte er etwa: „Wir sollten uns daran erinnern, dass wir ein zivilisiertes Land sind. Es ist wichtig, dass die Freiheiten zurückkehren, die wir innerhalb weniger Jahre verloren haben.“ Man erlebe „jeden Tag, dass immer neue Feinde aufgespürt“ würden. Er setze dagegen auf „Normalisierung“ und die Abschaffung restriktiver Gesetze, „damit unser Land nach vorn schauen kann“.
Für „Frieden und Verhandlungen“
Dawankow hatte auch die Kandidatur des Oppositionskandidaten Boris Nadeschdin unterstützt, dem es gelang, in kürzester Zeit die nötigen Stimmen zu sammeln, der aber aus formellen Gründen nicht zur Wahl zugelassen wurde. Die langen Schlangen vor Nadeschdins Wahlkampfstäben waren für Dawankow ein Zeichen, „dass die Leute Nein sagen wollten dazu, wie sich unser Land heute entwickelt“.
Vor allem aber plädierte der Kandidat bei jeder Gelegenheit für „Frieden und Verhandlungen“ aus. Was er damit genau meinte, blieb unklar. Fast schon im selben Satz fanden sich Versatzstücke von „Verhandlungen zu unseren Bedingungen“, damit Russland „stark und unabhängig“ bliebe, bis hin zu „Verhandlungen ohne Vorbedingungen“ und „Kompromissen“, ohne die es nicht gehe.
Doch ob nun glaubwürdig oder nicht, allein dass da einer von „Frieden“ sprach, bescherte Dawankow eine ungeahnte Stimmenflut. Offiziell nur Dritter, gewann er sogar die Auszählung in dem einen oder anderen Wahllokal, speziell im Ausland.
Stimmverhalten und Sanktionen
Doch für wie viel Wandel stehen er und seine Partei wirklich? In der Staatsduma, wo Dawankow stellvertretender Vorsitzender ist, werden auch die umstrittensten Gesetze neuerdings einstimmig verabschiedet, wie jüngst das Werbeverbot für „ausländische Agenten“. Die 15 Mitglieder der „Neue Leute“-Fraktion stimmen nicht immer geschlossen dafür, manchmal stimmen sie auch einfach gar nicht ab. Doch für Gegenstimmen sind sie eher nicht bekannt. Dawankow und die Seinen trugen in jüngster Zeit sowohl das Verbot von „LGBT-Propaganda“ als auch von Geschlechtsumwandlungen mit.
Die EU hat Sanktionen gegen die Partei verhängt – wegen deren Befürwortung der russischen „Sonderoperation“ in der Ukraine. Am 22. Februar 2022 hatten die „Neuen Leute“ bereits für die Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken DNR und LNR gestimmt, obwohl man zunächst zögerte. Letztlich nannte Dawankow das eine „richtige Entscheidung des Präsidenten“.
Tino Künzel