Zu Fuß gegen den Präsidenten

Rund 8000 Kilometer innerhalb von zwei Jahren: Der sibirische Schamane Alexander Gabyschew wollte nach Moskau wandern, um einen Neustart der russischen Politik zu erzwingen. Warum er nur bis zum Baikalsee kam - und trotzdem nicht aufgibt.

Wanderer mit politischer Mission: Der sibirische Schamane Alexander Gabyschew auf seinem Mammut-Marsch durch Sibirien nach Moskau. /Foto: twitter.com

Als Alexander Gabyschew im März dieses Jahres Kochgeschirr, einen Ofen und seine Jurte auf einem zweirädrigen Alu-Anhänger festzurrt, liegt in Jakutsk noch Schnee. Die Temperaturen steigen nur an wenigen Tagen über frostige 40  Grad Minus, dickes Eis bedeckt die Gewässer. Doch den hageren 51-Jährigen beeindruckt die knackige Kälte nicht. Denn Gabyschew hat sich viel vorgenommen.

Jeden Tag 20 Kilometer

Zu Fuß will der Schamane aus der Republik Sacha-Jakutien in Russlands fernem Osten nach Moskau laufen, jeden Tag etwa 20 Kilometer, insgesamt rund 8000 Kilometer, im Schlepptau den hundert Kilogramm schweren Wagen mit den Vorräten. Nach rund zwei Jahren plant Gabyschew, die russische Hauptstadt zu erreichen – und Wladimir Putin aus dem Kreml zu verjagen. Denn Russlands Präsident ist für den Schamanen ein „Dämon“, wie er in einem seiner zahlreichen Videos im Internet erklärt. Auf Gewalt will Gabyschew bei der Austreibung des mächtigsten Politikers im Lande allerdings verzichten. „Nicht ein Haar werde ich ihm krümmen“, versichert er in einem Clip. „Wir haben kein Recht, anderen physische Leiden zu bereiten – das ist eine Sünde“, so der Naturheiler, der nach dem Tod seiner Frau und einer Depression zum Schamanismus fand. Über den ganzen Sommer kämpft sich Gabyschew 3000 Kilometer an den Fahrbahnrändern der großen Trassen entlang, welche die wenigen Städte im fernen Osten miteinander verbinden. Die Sibirier reagieren begeistert auf den Schamanen, dessen Mission vielen Menschen in den westlichen Landesteilen eher exzentrisch vorkommt. Immer wieder halten Lastwagenfahrer für einen Schwatz, in kleinen Siedlungen begrüßen ihn Anwohner mit Brot und Salz und stecken ihm Lebensmittel zu. Zwischenzeitlich schließen sich bis zu 20 Mitwanderer der Mammut-Tour an. Journalisten und Blogger berichten ausführlich. Mehr als eine Million Menschen schauen sich die Online-Clips des Schamanen an.

Protest am Wegesrand

Doch bei symbolischem Protest lässt es Gabyschew nicht bewenden. In den Städten an der Strecke organisiert er Kundgebungen, agitiert Anwohner und kritisiert offen die Politik aus Moskau. So auch im südostsibirischen Tschita, wo er vor Hunderten zur Gründung sogenannter Volksversammlungen aufruft. Mit diesen sollten sich die Russen selbst die notwendigen Gesetze geben. „Putin hat euch nichts zu befehlen“, rief Gabyschew seinen Zuhörern zu. „Lebt frei! Das ist das Gesetz!“ In Ulan-Ude, südlich des Baikalsees, schließen sich Gabyschews Anhänger Protesten gegen angeblich manipulierte Wahlen an. Erst nach Tagen kann die Polizei die Demonstrationen mit massiver Gewalt beenden.

Festnahme am Baikal und neue Pläne

Ob sich der widerspenstige Schamane damit mächtige Feinde vor Ort gemacht oder die Führung im fernen Moskau verärgert hat: Am Baikalsee ist für ihn endgültig Schluss. Im Morgengrauen des 19. September stürmen Männer mit Schlag­stöcken und Maschinengewehren das Lager des Jakuten und nehmen ihn ohne Angabe von Gründen mit. Später bestätigt das Innenministerium der Baikalrepublik Burjatien die Festnahme. Gabyschew habe sich einer Straftat in Jakutien schuldig gemacht, heißt es wenig konkret zur Begründung. Daraufhin wird der Aktivist zurück in seine Heimatstadt Jakutsk geflogen und muss mehrere Tests in einem psychiatrischen Krankenhaus über sich ergehen lassen. Das Ergebnis: Er sei unzurechnungsfähig. Trotzdem wird gegen ihn Anklage wegen Extremismus erhoben. Gabyschew ließ sich davon allerdings nicht beeindrucken. In einer Videobotschaft von Anfang Oktober rief er Präsident Putin auf, freiwillig zurückzutreten und kündigte für das kommende Frühjahr die Fortsetzung seines Marsches an.

Birger Schütz

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