Weniger Wettkampf, mehr Show: Das machen Russlands Eiskunstlaufstars heute

Bei der Eiskunstlauf-Europameisterschaft 2022 gingen neun der zwölf vergebenen Medaillen nach Russland. Als jetzt ein Jahr später die nächste EM ausgetragen wurde, konnten die russischen Stars wegen ihrer Sperre für alle internationalen Wettbewerbe nur aus der Ferne zuschauen. In der Heimat sind sie derweil medial präsenter denn je.

Eiskunstlauf im Fernsehformat: Szene vom „Pokal des Ersten Kanals“ (Foto: RIA Novosti/Alexander Wilf)

Peking, die Olympischen Winterspiele, ein Jahr ist das nun her. Die russische Auswahl trat in China einmal mehr unter neutraler Flagge an und gewann 32 Medaillen, sechs davon allein im Eiskunstlauf. Es sollte das bis heute letzte sportliche Großereignis für die Athleten sein. Als wenige Tage nach der olympischen Abschlussfeier Russlands „Sonderoperation“ in der Ukraine begann, hatte das auch für sie Folgen. Seitdem sind russische Sportler in nahezu allen Sportarten von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen. Auch im Eiskunstlauf.

Russland galt bis zu den Sanktionen als führende Eiskunstlauf-Nation in der Welt. Der Sport hat im Land große Tradition und ist äußerst populär. Doch selbst für die russischen Olympiasieger, Welt- und Europameister ist neuerdings die nationale Meisterschaft der hochkarätigste Wettbewerb. Zuletzt fand sie Ende Dezember im sibirischen Krasnojarsk statt. Wer nun aber gedacht hatte, die Helden von Peking würden auch dort wieder die Medaillen unter sich ausmachen, der sah sich getäuscht.

Absagen und Ausfälle bei Meisterschaft

Die olympischen Zweiten im Eistanz, Viktoria Sinizina und Nikita Kazalapow, traten gar nicht erst an. Sie zogen es vor, eine Erholungspause einzulegen. Mark Kondratjuk, der bei Olympia fast schon zum Nationalhelden aufstieg, weil er entscheidend zum Sieg im Mannschaftswettbewerb beitrug (der bis heute allerdings als vorläufig gilt), meldete sich vor der Kür aus Verletzungsgründen ab. Nach dem Kurzprogramm hatte der Titelverteidiger nur auf Platz zwölf gelegen.

Auch für die russischen Olympiastarterinnen im Damen-Einzel brachten die Meisterschaften keine neuen Erfolge. Olympiasiegerin Anna Schtscherbakowa sagte ihre Teilnahme ab, um eine alte Verletzung auszukurieren. Die Olympiazweite Alexandra Trussowa musste kurzfristig wegen gesundheitlicher Probleme ebenfalls passen. Dass sie in Peking nach Bekanntgabe der Ergebnisse völlig die Fassung verloren hatte, war in der Eiskunstlaufszene breit diskutiert worden.

Noch viel mehr Schlagzeilen hatte jedoch Kamila Walijewa geschrieben. Die damals erst 15-Jährige war als Favoritin ins Rennen gegangen. Doch nach Gold mit der Mannschaft wurde bekannt, dass in Walijewas Dopingprobe von der Russischen Meisterschaft im Dezember 2021 die verbotene Substanz Trimetazidin gefunden worden war. Zum Einzelwettbewerb wurde sie unter Vorbehalt trotzdem zugelassen, doch die Anspannung erwies sich als zu groß: Nach einigen Fehlern in der Kür fiel sie vom ersten auf den vierten Platz zurück.

Kein Ende im Dopingfall Walijewa

Dem Dopingskandal war nun auch Walijewas Kür in Krasnojarsk gewidmet. Sie zeigte dabei unter anderem zwei Vierfachsprünge und lieferte das beste Kürresultat ab. In der Gesamtwertung reichte das allerdings nur für Platz zwei hinter der 15-jährigen Sofja Akatjewa, die ihre erste Saison bei den Erwachsenen absolviert.

Was wird aus ihr? Kamila Walijewa war eine der Hauptfiguren beim „Pokal des Ersten Kanals“. (Foto: RIA Novosti/Alexander Wilf)

Der Fall Walijewa ist unterdessen bis heute nicht abgeschlossen. Die russische Anti-Doping-Agentur Rusada teilte Mitte Januar mit, sie habe zwar einen Dopingverstoß, aber „keine Schuld oder Fahrlässigkeit“ der Sportlerin selbst feststellen können. Ihr wurde lediglich der Sieg bei der Russischen Meisterschaft am 25. Dezember 2021 aberkannt: Das war der Tag, an dem sie positiv getestet worden war. Von einer Sperre sah die Disziplinarkommission der Rusada ab.

Dass sich die Welt-Anti-Doping-Agentur damit zufrieden geben wird, ist fraglich. Sie will das Urteil zunächst prüfen und sich dann dazu äußern. Allerdings hatte die Wada bereits im November beim Internationalen Sportgerichtshof eine vierjährige Sperre für Walijewa und die Annullierung sämtlicher Ergebnisse seit der Blutprobe vom Dezember 2021 beantragt.

Die „Roten“ gegendie „Blauen“   

Das alles bedeutet allerdings nicht, dass der russische Eiskunstlauf nur noch von früheren Erfolgen zehrt. Wo es an professionellen Herausforderungen erster Klasse fehlt, wird das öffentliche Interesse in der Heimat von Fernsehformaten befeuert, die Sport und Unterhaltung verbinden.

Kürzlich ging bereits die dritte Auflage des „Pokals des Ersten Kanals“ zu Ende. Diesmal nahmen daran die jeweils acht Bestplatzierten der Russischen Meisterschaft in den Einzelwettbewerben sowie die besten vier Paare teil. Sie wurden per Los auf zwei Mannschaften aufgeteilt. Das Duell entschieden letztlich die „Roten“ unter Kapitänin Alina Sagitowa, der Olympiasiegerin von 2018, für sich und sicherten sich damit ein Preisgeld von elf Millionen Rubel (knapp 150.000 Euro). Die „Blauen“ von Walijewa kassierten immerhin neun Millionen.

Rückblick: So sah das Podium im Damen-Einzel bei Olympia 2022 aus. V.l.: Alexandra Trussowa, Anna Schtscherbakowa, Kaori Sakamoto (Foto: RIA Novosti/Grigori Syssojew)

Ein weiteres TV-Projekt unter dem Titel „Eiszeit“ läuft im Ersten Kanal bereits seit 2007. Im Unterschied zu früheren Jahren bekam das Publikum in der jüngsten Saison auch aktive Eiskunstläufer zu sehen und nicht nur solche, die ihre Karriere bereits beendet oder ausgesetzt hatten.         

Millionensummen für Eisshows 

Aber Liebhaber des Sports können die großen Namen nicht nur auf dem Bildschirm erleben, sondern auch bei Eisshows, die durch Russland touren. Das Geld dafür kommt aus dem 2021 eingerichteten „Präsidentenfonds für Kulturelle Initiativen“. So wurden für die Shows von Jewgeni Pljusch­tschenko, dem Herren-Olympiasieger von 2006 und 2014, und Ilja Awerbuch, einem einstigen Eistanz-Welt- und Europameister, im vergangenen Jahr 50,5 beziehungsweise 27,5 Millionen Rubel bewilligt. 14,5 Millionen Rubel gingen an die ehemalige Eistanz-Olympiasiegerin Tatjana Nawka, Ehefrau von Kremlsprecher Dmitri Peskow.

Neben der erklärten Absicht der Förderung des Eiskunstlaufs in Russland und dem offenkundig unterhaltenden Charakter der Veranstaltungen sind auch die politischen Absichten nicht zu verkennen. So heißt es etwa in Pljusch­tschenkos Bewerbung um die Fördergelder, die Zuschauer würden vom „Geist des Patriotismus, von Stolz auf Russland und unsere talentierten Sportler“ erfüllt.

Aktive Profis mit von der Partie

Auch in den Eisshows wirken etliche Spitzenläufer mit. So hatte Olympiasiegerin Anna Schtscherbakowa Auftritte in „Dornröschen“ und „Die Geschichte der Liebe von Scheherazade“. Alexandra Trussowa und Mark Kondratjuk gehören zu den Aushängeschildern von Pljutschenkos „Schwanensee“ und „Snegurotschka“. Für Irritationen sorgte, dass sie sich von der Russischen Meisterschaft zurückgezogen hatten, weil angeblich der Körper nicht mitmachte, sie mehr oder weniger gleichzeitig aber ihre Engagements in den Shows wahrnahmen. Auf die Kritik antwortete Kondratjuk, er habe die Menschen nicht enttäuschen wollen, die sich Tickets gekauft hätten, um ihn laufen zu sehen. Außerdem könne man Wettkampfsport und Schaulaufen nicht vergleichen, die Belastung sei „völlig unterschiedlich“.

Allerdings glauben viele in Russland, dass auch die lukrativen Honorare im Zweifelsfall den Ausschlag geben. So streicht Kamila Walijewa für ihre Teilnahme an der Show „Die Geschichte der Liebe von Scheherazade“ laut Register der Staatsaufträge mehr als 6,6 Millionen Rubel ein. Bei Viktoria Sinizina sind es gar mehr als zehn Millionen. Die Intensität der Auftritte und ihr Schwierigkeitsgrad sind dabei deutlich niedriger als bei Wettkämpfen, zumal auf internationalem Niveau. In welcher Form Walijewa & Co. sind, ist daher schwer zu sagen.

Jekaterina Dolakidse

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