Beckenbauer und Jaschin: Gegner, die zu Freunden wurden

Einst saßen sie in einer Moskauer Küche und tranken Bier zusammen. Jetzt ist auch der Jüngere der beiden tot. 34 Jahre nach Lew Jaschin hat sich mit Franz Beckenbauer ein weiteres Idol endgültig von der Fußballbühne verabschiedet. Der Russe und der Deutsche waren eng befreundet.

Franz Beckenbauer (links) bei Lew Jaschins (rechts) 60-Jahr-Feier in Moskau 1989 (Foto: Wladimir Rodionow/RIA Novosti)

Mit Russland verband Franz Beckenbauer bis fast zuletzt eine rege Beziehung. Als der russische Energiekonzern Gazprom 2013 ein jährliches internationales Kinderfußballturnier unter dem Namen „Football for Friendship“ ins Leben rief, da wurde Beckenbauer zu dessen Gesicht. Als „Weltbotschafter“ begleitete er das Projekt, solange es seine Gesundheit noch zuließ.

Zuvor hatte sich einer der ganz Großen des Fußballs positiv darüber geäußert, dass Russland zum Ausrichterland der WM 2018 bestimmt wurde. Das Land werde ein „perfekter Gastgeber“ sein, sagte er 2011 der russischen Tageszeitung „Sport-Express“ und sprach von einer „sehr starken Bewerbung“. Ob Beckenbauer selbst, von 1998 bis 2010 einer der Vizepräsidenten des Deutschen Fußball-Bundes und von 2007 bis 2011 Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees, für Russland gestimmt hat, ist nicht bekannt. Auch für Medienberichte, wonach er drei Millionen Euro für diese Stimme kassiert hat, gibt es keinen Beleg.

Beckenbauer gegen Jaschin – 2:1

Verbürgt ist dagegen, dass Beckenbauer schon Jahrzehnte davor freundschaftliche Beziehungen nach Russland unterhielt, nämlich zum nicht minder legendären Lew Jaschin. Bei der WM 1966 in England standen sich die beiden zum ersten und einzigen Mal in einem Pflichtspiel gegenüber. Im Halbfinale hütete Jaschin, trotz seiner bereits 36 Jahre in bestechender Form, das sowjetische Tor. Doch auch er konnte nicht verhindern, dass Deutschland ins Endspiel einzog. Den 2:1-Siegtreffer erzielte der gerade einmal 20-jährige Beckenbauer mit einem platzierten Distanzschuss.

Zwei Jahre später begegneten sich die sportlichen Gegner von 1966 in Rio de Janeiro wieder. Diesmal liefen Beckenbauer und Jaschin für dieselbe Mannschaft auf, kickten mit einer Weltauswahl gegen Brasilien. Danach riss der Kontakt nicht mehr ab. Wie Jaschins Frau Walentina später erzählte, versuchte Beckenbauer jedes Mal zu Besuch zu kommen, wenn er in Moskau war. Zu Ehren des deutschen Gastes wurde im Restaurant auch mal deutsches Bier bestellt. Der Gerstensaft kam in zwei Kisten. Solange sich Beckenbauer bei den Jaschins aufhielt, wurde nur die erste Kiste geöffnet, in der sich tschechisches Bier befand. Erst als der „Kaiser“ schon weg war, entdeckte man in der zweiten Kiste bayerisches Bier.

Beckenbauer „wohl öfter“ bei Jaschin

Auch Jaschins Enkel Wassili Frolow, der ebenfalls Torhüter wurde wie der Opa, hat von der Freundschaft gehört. „Walentina Timofejewna hat mir davon erzählt, als ich vier Jahre alt und Lew Iwanowitsch gerade gestorben war. So habe ich erfahren, dass sie gute Freunde waren.“ Beckenbauer sei „wohl öfter“ zu Besuch gekommen, dann habe man in der Küche gesessen und geredet. Für den gesamten Weltfußball, so Frolow, sei Beckenbauers Tod ein „großer Verlust“.

Zu den gern erzählten Anekdoten über diese Freundschaft gehört auch, dass in Jaschins Wohnung in einem schönen Siebtgeschosser in der Moskauer Tschapajew-Gasse angeblich ein Beckenbauer-Poster hing – auf der Toilette. Der Abgebildete soll nach einem Gang auf das stille Örtchen etwas irritiert gewesen sein: „Was mache ich denn dort?“ Doch auch dahinter verbarg sich pure Wertschätzung.

Gute Freunde, die nur der Tod trennen konnte

Zum letzten Mal sahen sich die Freunde bei den Feiern zu Jaschins 60. Geburtstag im Herbst 1989. Ein halbes Jahr später starb der Jubi­lar an Magenkrebs. Die Gesundheit hatte ihm schon länger zu schaffen gemacht. Nachdem ihm erst der eine Unterschenkel und dann das zweite Bein amputiert werden musste, habe Beckenbauer geholfen, Ärzte zu finden und eine Prothese zu bekommen, berichtete der Nationaltorwart der „Sbornaja“, Wladimir Pilguj.

Der sowjetische Nationalspieler und spätere Trainer Anatoli By­schowez meint, Beckenbauer sei eben ein feiner Kerl gewesen: „Franz war auf dem Spielfeld ein echter Gentleman und blieb es auch im Leben.“ In schwierigen Momenten habe er Jaschin unterstützt. So wie Beckenbauer einmal sang: „Gute Freunde kann niemand trennen.“ Oder nur der Tod.

Jekaterina Dolakidse

Franz Beckenbauer (1945-2024)

Weltmeister als Spieler (1974) und Trainer (1990). Debütierte 1964 beim damaligen Zweitligisten Bayern München, für den er insgesamt 427 Spiele bestritt. Wurde mit Bayern je viermal deutscher Meister und Pokalsieger und gewann dreimal den Europapokal der Landesmeister. 1972 und 1976 mit dem Ballon d‘Or, der wichtigsten internationalen Auszeichnung für Fußballer, geehrt. Offensiv orientierter Libero, gilt als einer der besten Verteidiger aller Zeiten. 

Lew Jaschin (1929-1990)

1999 von der FIFA zum Welttorhüter des 20. Jahrhunderts gekürt und bis heute einziger Torwart, der den Ballon d‘Or als Spieler des Jahres erhielt (1963). Olympiasieger 1956, Europameister 1960. Nahm mit der Sowjetunion an vier Weltmeisterschaften teil. Träger des Leninordens. Spielte in seiner gesamte Karriere für Dynamo Moskau (fünf Meistertitel, drei Pokalsiege). Ein mitspielender Torwart, der neue Maßstäbe auf seiner Position setzte.

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