Dopingsperre gegen Walijewa: Schuld sind wieder die anderen

Nach dem Schuldspruch gegen Eisstar Kamila Walijewa vor dem Internationalen Sportgerichtshof sucht auch Russland nach Schuldigen – und hat sie offenbar bereits gefunden. Allerdings nicht dafür, wie es überhaupt zu der positiven Dopingprobe von 2021 kommen konnte, sondern für die Bestrafung.

Kamila Walijewa mit ihrer Trainerin Eteri Tutberidse im Vorjahr beim russischen Grand Prix in Kasan (Foto: Sportministerium von Tatarstan)

Kamila Walijewa war eine glänzende Karriere prophezeit worden. Mit erst 15 Jahren galt sie vor zwei Jahren bei den Olympischen Winterspielen in Peking als große Favoritin. Das nächste Wunderkind aus Russland, vielleicht noch besser als alle anderen zuvor.

Vier-Jahres-Sperre bis Ende 2025

Doch nun liegt Walijewas Karriere, die doch eben erst begonnen hatte, in Scherben. Der Internationale Sportgerichtshof (CAS) hat den Eiskunstlauf-Star rückwirkend ab dem 25. Dezember 2021 für vier Jahre gesperrt. Ihre beiden ersten großen Titel bei den Erwachsenen aus dem Jahr 2022, EM-Gold und der Olympiasieg im Mannschaftswettbewerb, wurden ihr aberkannt. Damit bleibt der Gewinn der Junioren-Weltmeisterschaft 2020 ihr bisher größter Erfolg. Dass noch weitere hinzukommen, ist zumindest zweifelhaft. Walijewa darf bis Ende des nächsten Jahres weder an offiziellen Wettbewerben oder Showturnieren teilnehmen noch am organisierten Trainingsbetrieb. Sie kann sich nur individuell fithalten und sich auf eigene Rechnung trainieren lassen.

In einer Dopingprobe Walijewas von den Russischen Meisterschaften Ende 2021 war das Mittel Trimetazidin nachgewiesen worden, das auf der Liste der verbotenen Substanzen steht. Die Konzen­tration war niedrig, das Ganze ein Einzelfall. Dass sich die Sportlerin überhaupt einen Vorteil verschafft hat, gilt als nahezu unwahrscheinlich. Das spricht gegen eine vorsätzliche Einnahme. Doch die Argumente der Verteidigung, die auf Freispruch plädierte und die positive Dopingprobe damit erklärte, Walijewa habe wohl versehentlich aus demselben Glas getrunken wie ihr herzkranker Opa, dessen Arznei Trimetazidin enthielt, hielten die Richter am CAS offenbar für wenig glaubwürdig.

„Kriegserklärung“, „dreckige Schweine“

Dass die inzwischen 17-Jährige gegen die Dopingregeln verstoßen hat, ist ohnehin unbestreitbar. Doch die russische Anti-Doping-Agentur sah darin kein schuldhaftes Vergehen und bestrafte sie Anfang 2023 nur mit dem Entzug des russischen Meistertitels 2021. Dass das CAS mit der Vier-Jahres-Sperre nun der Maximalforderung der Welt-Anti-Doping-Agentur entsprach und das russische Team in der Folge nachträglich vom ersten auf den dritten Platz im Mannschaftswettbewerb von Olympia 2022 abrutschte, sorgte in Russland für wütende Reaktionen.

Das Nationale Olympische Komitee veröffentlichte eine Stellungnahme, in der von einer „Kriegserklärung“ gegen den russischen Sport die Rede ist. „Wie man sieht, ist dabei jedes Mittel recht.“

Die angesehene frühere Eiskunstlauf-Trainerin Tatjana Tarassowa holte zu einer regelrechten Schimpftirade aus und war in ihrer Wortwahl nicht wählerisch. „Halunken und Banditen! Verdammte dreckige Schweine! Ihre ganze Wut auf unser Land haben sie an einem kleine Mädchen ausgelassen.“ So wird Tarassowa von RIA Novosti zitiert. Wen sie genau gemeint hat, blieb offen. Jedenfalls sprach sich die prominente heutige Kommentatorin dafür aus, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen. „Schufte“, so Tarassowa, müsse man mit ihren eigenen Methoden bekämpfen.

Viel Kritik, kaum Selbstkritik

Auch Dmitri Wassiljew, zweifacher Biathlon-Olympiasieger 1984 und 1988, gehörte zu den Ersten, die sich äußerten. Dem TV-Sender Match TV sagte er: „Der Fall Walijewa zeigt die Einstellung des Westens zum russischen Sport und Russland insgesamt. Wir müssen eine harte Haltung einnehmen und aus allen internationalen Sportverbänden austreten.“

Von einem „politisierten Urteil“ sprach auch Kremlsprecher Dmitri Peskow. „Es versteht sich von selbst, dass wir damit nicht einverstanden sind.“

Doch hier und da wurden Fragen laut. Sports.ru veröffentlichte einen langen Artikel unter der Überschrift „Wer ist schuld, dass Walijewas Karriere zerstört ist?“ Darin heißt es: „Wie kann es sein, dass außer ihr niemand in unserem Sport dafür Verantwortung trägt? Wann ist das Schicksal der Sportlerin, die von so vielen Erwachsenen umgeben war, eigentlich zu einer reinen Form der PR und Selbstdarstellung geworden – selbst derer, die vor Scham im Boden versinken müssten?“

Mit der „Losung“, dass Walijewa ein Opfer westlicher und antirussischer Kräfte sei, könne man nichts falsch machen. „Indem das epische Versagen auf allen Ebenen unseres Sports auf eine äußere Verschwörung geschoben wird, ist man auf der sicheren Seite. Und keiner merkt, dass damit den Folgen der Kampf angesagt wird und nicht den Ursachen.“

Tino Künzel

Newsletter

    Wir bitten um Ihre E-Mail: