Von Nürnberg bis nach Kiew

Die Nazis damals, die Neonazis heute: Nur Russland ist sich in seinem Kampf gegen den braunen Geist treu geblieben. Findet Russland. Diese Moral dürfen die Zuschauer auch gern aus dem Historiendrama „Nürnberg“ mitnehmen, das jetzt angelaufen ist. Paral­lelen vom Nürnberger Prozess zum Heute in der Ukraine sind willkommen. Angestoßen wurde der Film von ganz oben.

Szene aus „Nürnberg“: Göring & Co. auf der Anklagebank (Foto: NMG Kinoprokat)

Am 2. März ist der Spielfilm „Nürnberg“ in die russischen Kinos gekommen. Ausgehend vom Nürnberger Kriegsverbrecherprozess der Jahre 1945 und 1946, macht er den Offizier Igor Wolgin zur Hauptfigur, der als Übersetzer der sowjetischen Delegation angehört. Regisseur Nikolai Lebedew erzählt eine „abenteuerliche, atemberaubende und unterhaltsame Geschichte“, wie er selbst sagt. Was im Gerichtssaal an Action fehlt, wird mit Schießereien und Verfolgungsjagden in der Rahmenhandlung wettgemacht.

Warum das Tribunal gegen 24 führende Vertreter des Dritten Reichs aus russischer Sicht überhaupt ein passender Filmstoff sei, klang bereits 2018 an. Während einer Sitzung des Organisations­komitees „Pobeda“, das sich der „Durchführung einer einheitlichen staatlichen Politik bei der patriotischen Erziehung der Bürger der Russischen Föderation“ verpflichtet sieht, erklärte der damalige Kulturminister Wladimir Medinski, die USA hätten das Thema des Prozesses „vollständig privatisiert“. Vielfach, so Medinski, schrieben sich die Amerikaner Nürnberg als großen Sieg zu. Die Rolle der Sowjetunion komme faktisch überhaupt nicht vor.

Millionen an Staatsgeldern bewilligt

Präsident Wladimir Putin erteilte der Idee seinen Segen und ordnete an, Haushaltsgelder zur Verfügung zu stellen. Die staatliche Finanzierung lag ursprünglich bei 45 Millionen Rubel, nach 2019 flossen weitere 200 Millionen. Die Aufstockung des Budgets wurde mit einer grundlegenden Überarbeitung des Drehbuchs, mit der Mitwirkung ausländischer Schauspieler und Dreharbeiten im Ausland begründet.

Tatsächlich fand ein Teil der Drehs in Tschechien statt. Das Nachkriegs-Nürnberg wurde nach Prag verlegt. Auch für den echten und bis heute existierenden Nürnberger Justizpalast, wo seinerzeit 19 der Angeklagten schuldig gesprochen und zwölf zum Tode verurteilt wurden, fand sich ein Ersatz – in Kaliningrad, dem früheren Königsberg. Die dortige ehemalige Börse hatte 1944 wie die gesamte Stadt schwer unter britischen Luftangriffen gelitten. Als eines von wenigen historischen Gebäuden war sie aber nach Übernahme der Region durch die Sowjetunion später wiederaufgebaut worden. Heute befindet sich dort das Kunstmuseum.

Auch ausländische Darsteller

Rollen in „Nürnberg“ gingen neben russischen Stars wie Sergej Besrukow und Jewgeni Mironow an Schauspieler aus sieben weiteren Ländern. So wird Hermann Göring als ranghöchster Nazi vor Gericht von dem Dänen Carsten Norgaard dargestellt. Den Österreicher Wolfgang Cerny wiederum kennt das russische Publikum bereits aus anderen Kriegsfilmen („T-34“, „Das rote Gespenst“, „Sobibor“). Zehn Jahre Arbeit und Leben in Russland endeten für ihn nach dem 24. Februar 2022, als er mit seiner Familie das Land verließ. Nichtsdestotrotz wurde bei der offiziellen Pressekonferenz eine Videobotschaft eingespielt, mit der Cerny für die Premiere von „Nürnberg“ warb und seine Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen zum Ausdruck brachte.

Das Drehbuch zum Film basiert auf dem historischen Roman „Für immer und ewig“ von Alexander Swjaginzew. Der Historiker, Schriftsteller und Jurist, bis 2016 stellvertretender Generalstaatsanwalt, gilt in Russland als Experte für den Nürnberger Prozess. Er behauptet, dass sich der Westen ungern an das Tribunal erinnert, weil die „friedliebenden Demokratien Hitler zur Macht verholfen“ hätten. Heute passiere „dasselbe“, so Swjaginzew im vergangenen Jahr bei einer Pressekonferenz unter dem Titel „Ukrainische Lehrbücher als Element der Hasspropaganda“, veranstaltet von der Kremlpartei „Einiges Russland“ und dem Bildungsministerium. Bei einer Vorpremiere von „Nürnberg“ sagte er: „Alle dachten, dass dieses Übel ein für alle Mal beseitigt ist, aber das Übel hat sich als ziemlich zäh erwiesen.“

Lawrow lobt, Naryschin besucht

Über vergessene Lehren von Nürnberg, den konsequenten Kampf Russlands gegen den Faschismus und über die Ukraine im Kontext des Kriegsverbrecherprozesses spricht aber längst nicht nur Swjaginzew. Unter den positiven Kritiken zu dem Film ist auch eine von Außenminister Sergej Lawrow. Er lobte einen „wichtigen Beitrag zum Kampf gegen Geschichtsfälschung“ und verwies darauf, dass die russische Diplomatie sich schon immer von „festen moralischen Prinzipien und dem Andenken an die Vorväter“ leiten lassen habe.

Entstanden ist „Nürnberg“ mit Unterstützung der Russischen Historischen Gesellschaft, die von Sergej Naryschkin geleitet wird, dem Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR. Naryschkin besuchte sowohl die Dreharbeiten als auch die Premiere. Zu den ersten Zuschauern des Films gehörten russische Soldaten, darunter auch Teilnehmer der „Sonderoperation“ in der Ukraine.

Gewollte Parallelen

Die Russische Militärhistorische Gesellschaft, der Ex-Kulturminister Medinski vorsteht, hat bereits im Herbst, als sich der Beginn des Nürnberger Prozesses jährte, eine neue Internetplattform vorgestellt. Sie heißt „Vergeltung“ und ist den Naziverbrechen im Zweiten Weltkrieg gewidmet. Aber auch der Bogen zur Gegenwart wird geschlagen, denn „im europäischen Raum ist von Neuem die Saat des Nazismus aufgegangen“. So zitiert die „Rossijskaja Gaseta“ Michail Mjagkow, den wissenschaftlichen Direktor der Gesellschaft. Die Europäer hätten ein kurzes Gedächtnis, so Mjagkow, „sie haben vergessen, wer sie befreit hat und wovon“.

Der Film „Nürnberg“ handelt zwar von Ereignissen, die 77 Jahre zurückliegen, dürfte aber von vielen als aktuell wahrgenommen werden. Das entspricht sowohl den Intentionen seiner Macher wie auch den Erwartungen auf höchster Ebene.

Jekaterina Dolakidse

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