Traditionserhalt in Eigeninitiative?

Das Jahr 2022 soll in Russland dem Erhalt des reichen Kulturerbes des Landes gewidmet werden und die Traditionen seiner vielen Bevölkerungsgruppen öffentlich sichtbarer machen. Bei der Durchführung hofft die Regierung vor allem auf regionale Akteure.

Frauen in traditioneller Bekleidung beim Fernost-Forum in Wladiwostok 2022.
Traditionelle Gewänder wie hier in Wladiwostok wird es 2022 oft zu sehen geben. (Alexander Krjaschew/ RIA Novosti)

Was aus deutscher Perspektive eher ungewohnt erscheint, ist in Russland gängige Praxis. Schon lange wird hierzulande dem neuen Jahr ein eigener Themenschwerpunkt verliehen. Das soll Aufmerksamkeit für gesellschaftliche, kulturelle oder wirtschaftliche Bereiche erzeugen, welche die Regierung stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rücken möchte. 2021 wurde etwa das Jahr der Wissenschaft und Technik begangen, 2019 stand im Zeichen des rus­sischen Theaters.

Das gerade angebrochene Jahr wird nun seinerseits der traditionellen Kultur gewidmet. Per Dekret rief Präsident Wladimir Putin für 2022 das „Jahr des Kultur­erbes der Völker Russlands“ aus. Das Vorhaben ist bereits länger im Gespräch war und auch das UNESCO-Welterbekommittee soll 2022 in Russland tagen. Trotzdem ließ man sich mit der offi­ziellen Bekanntgabe beinahe bis zum letzten Moment Zeit. Die Unterzeichnung der präsidialen Anordnung fiel auf den 30.12.2021.

Beschluss in letzter Minute

Was genau man von diesem Jahr des Kulturerbes zu erwarten hat, ist auf den ersten Blick schwer einzuschätzen. Denn so spät die Anordnung veröffentlicht wurde, so knapp ist sie auch gehalten. Das einseitige Dokument umreißt lediglich den Rahmen des Vorhabens. Dieses hat „die Popularisierung der traditionellen Kunst, den Erhalt kultureller Traditionen, historischer und kultureller Denkmäler, ethnokultureller Vielfalt und kultureller Eigenständigkeit aller Völker und ethnischer Gruppen innerhalb der Russischen Föderation“ zum Ziel. Wie diese Absicht erfüllt werden soll, muss eine frisch gegründete Kommission binnen zweier Monate erst noch klären.

So schwammig der Beschluss auch ist, wird er bei denjenigen, die ihn letzten Endes umsetzen sollen, doch positiv aufgenommen. Noch vor Verabschiedung ein landesweites Rahmenprogramms stellen sich regionale Akteure in allen Ecken des Landes auf das Jahr des Kulturerbes ein.
So sieht zum Beispiel Georgij Klassen, Direktor des Kultur- und Geschäftszentrums „Deutsche des Altai“ im westsibirischen Barnaul, eine Möglichkeit, mehr Aufmerksamkeit für das Kerngeschäft seiner Organisation zu generieren. „Eine unserer Hauptaufgaben ist der Erhalt unserer Traditionen, die unsere Vorfahren mit nach Russland gebracht haben und uns als kulturelles Erbe hinterlassen haben“, erklärt dieser im Gespräch mit der MDZ.

Fokus auf den Regionen

Für die Regionen abseits der Metropolen Moskau und Sankt Petersburg dürfte das Jahr 2022 also besonders wichtig werden. Denn wenn wie im Erlass die Rede von der ethnokulturellen Vielfalt des Landes ist, geht der Blick meist genau dorthin. Das gilt auch für die Russlanddeutschen, die heute zahlenmäßig am stärksten in der Altai-Region und im Gebiet Omsk vertreten sind.

Russlanddeutsche Kultur beim Tag der Stadt in Barnaul (altairn.ru)

Doch welche Hoffnungen kann man angesichts der noch denkbar vagen Perspektive an dieses Jahr knüpfen? Für Klassen jedenfalls ist klar, dass das Jahr des Kulturer­bes die Aufmerksamkeit für die Traditionen auch kleinerer Bevölkerungsgruppen bedeutend erhöhen kann. „Dieses Jahr ermöglicht es uns, breiter und in größerem Maßstab über unsere Kultur zu sprechen und umfangreichere Veranstaltungen durchzuführen“, erklärt er. „Wir haben dadurch mehr Chancen, unsere Kultur anderen Menschen zu zeigen“.

Ungewisse Planung

Und doch wird im Gespräch klar, dass bislang größtenteils Absichten verlautbart wurden und sich noch wenig materialisiert. Das liegt kaum an den Akteuren in den Regionen selbst, die bereits Ideen sammeln. Doch durch die kurzfristige Verkündung des Beschlusses kann die Planung vor Ort eben erst jetzt beginnen, wenn das Jahr des Kulturerbes offiziell schon angebrochen ist. Unter diesen Umständen muss man es Organisationen wie Klassens Zentrum der Deutschen des Altai anrechnen, dass erste Veranstaltungen angepeilt werden, noch bevor die Regierung ein Rahmenprogramm verabschiedet hat. So denkt man in Barnaul zum Beispiel darüber nach, im Herbst ein großes Festival der deutschen Kultur zu veranstalten.

Der Staat scheint indes bei der Durchführung vor allem auf die Initiative der Organisatoren vor Ort zu setzen. Die sind auch absolut bereit, ihren Beitrag zum Gelingen des Jahres des Kulturerbes zu leisten, woran im Gespräch mit Klassen keinerlei Zweifel bleibt. Doch zusätzliche finanzielle Mittel erwartet auch der Befürworter des Vorhabens nicht. „Von finanziellen Ressourcen sprechen wir nicht“, meint er nur. Dafür würde man aber Räume für Veranstaltungen zur Verfügung gestellt bekommen. „Das ist schon sehr viel“, zeigt er sich optimistisch. Ein etwas koordinierteres Vorgehen vonseiten der Regierung könnte trotzdem nicht schaden.

Thomas Fritz Maier

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