Umgang mit Russland: Streit gehört dazu

Mit dem Regierungswechsel in Deutschland stellt sich die Frage: Muss sich auch die Politik gegenüber Russland ändern? Und wenn ja, was wären dabei die Prämissen? Dazu lässt die MDZ die Spitzen der deutschen politischen Stiftungen in Russland zu Wort kommen. Heute: Peer Teschendorf, Leiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Moskau.

Seit 2018 in Moskau: Peer Teschendorf von der Friedrich-Ebert-Stiftung (Foto: Friedrich-Ebert-Stiftung)

Außenpolitik ist kein Thema, mit dem man Wahlen gewinnt. Auch bei den letzten Wahlen zum deutschen Bundestag wurde sie eher am Rand abgehandelt. Das ist einerseits verständlich, sind doch derzeit mit den Auswirkungen des Klimawandels und der Pandemie vor allem innenpolitische Fragen für die Menschen wichtig. Andererseits aber stehen wir in Europa und in der Welt vor äußerst problematischen Entwicklungen, die ebenso dringend der Behandlung bedürfen. Die Spannungen in verschiedenen Regionen der Welt nehmen zu, Verträge über Abrüstung und Rüstungskontrolle werden weniger. Durch die entstehende Unsicherheit steigt der Bedarf auch an militärischer Sicherheit – der Teufelskreis der Aufrüstung.

Aber nicht nur sicherheitspolitisch gibt es größere Herausforderungen. Auch Klimawandel, Migration und Pandemiebekämpfung lassen sich nur durch internationale Kooperation lösen. Bei all diesen Fragen wird von Deutschland und damit von der neuen Bundesregierung mehr erwartet. So wichtig das Projekt der Modernisierung Deutschlands ist, die Außenpolitik wird ein nicht weniger wichtiges Politikfeld sein müssen.

Deutschland in der Vermittlerrolle

Russland nimmt dabei einen besonderen Stellenwert für die deutsche Außenpolitik ein. Aufgrund der Jahrhunderte gemeinsamer und sehr wechselvoller Geschichte bleiben die Beziehungen zwischen den beiden Staaten und vor allem der beiden Gesellschaften auch in Krisenzeiten belastbar. Westdeutschland war unter Willy Brandt und Egon Bahr Brückenbauer zwischen den damaligen politischen Blöcken. Das geeinte Deutschland ist weiterhin einer der wichtigsten Vermittler, wenn es um die mögliche Kooperation mit Russland und den Erhalt von Frieden in Europa geht.

Diese Vermittlerrolle wird umso wichtiger werden, da wir in Europa feststellen müssen, dass die vor 30 Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges beschlossene Architektur für Frieden und Zusammenarbeit deutliche Risse bekommen hat. Es gibt keine Einigkeit mehr über das Fundament und darüber, wie grundlegende Vereinbarungen auszulegen sind. Damit vermag die europäische Ordnung nicht mehr die Sicherheit in einem Maße zu garantieren, wie das mit der Gründung der OSZE gedacht war.

Dialog über die Grundlagen

Es muss ein Prozess beginnen, um sich über die Grundlagen der Zusammenarbeit in Europa nochmals zu verständigen. Dies ist ein langfristiger, mühsamer Prozess, der nicht ohne Streit ablaufen kann. In nicht wenigen Punkten haben wir mit Russland unterschiedliche Ansichten. Aber die Auseinandersetzung darüber ist notwendig, denn ohne eine solche grundlegende Klärung werden wir die Sicherheitsfragen nicht dauerhaft lösen und das Potential unserer Kooperation nicht voll erschließen können.

Zugleich muss Deutschland jetzt helfen, ganz konkrete Probleme anzugehen, die wir nur gemeinsam mit Russland lösen können. Die drängendste Herausforderung ist eine mögliche Eskalation in den Sicherheitsbeziehungen in Europa. Aufgrund der wechselseitig wahrgenommenen Bedrohungen kann aus einem Manöver, einer falschen Handlung schnell ein Konflikt entstehen. Rüstungskontrolle und vertrauensbildende Maßnahmen müssen daher befördert werden. Aber auch der Klimawandel lässt sich nur mit Russland sinnvoll bekämpfen. Energie ist im Moment eher ein Streitthema und wird es umso mehr werden, als Europa von fossilen Energieträgern unabhängig werden will und Russland die Förderung zunächst ausbaut. Statt eines Konfliktfeldes muss dies ein Feld für Kooperation werden.

Kooperation, Diskussion, Konfrontation

Deutschland sollte hierbei eine führende Rolle spielen. Nicht im Sinne, dass wir die Richtung vorgeben, sondern dass wir den europäischen Konsens befördern und eine gemeinsame Politik mit Russland ermöglichen. Dabei werden wir aktiver in der europäischen Außenpolitik sein müssen, mehr investieren in die Einigkeit der EU-Mitglieder und den Ausgleich zwischen den zuweilen sehr unterschiedlichen Positionen gerade Russlands gegenüber befördern. Dazu gehört auch, den Blick häufiger zu erweitern auf die ebenfalls intensiven und wechselvollen Beziehungen zu den Ländern zwischen den Grenzen Deutschlands und Russlands. Eine stabile Friedensordnung wird sich nicht herstellen lassen, solange sich Länder in Europa bedroht fühlen oder um ihre territoriale Einheit kämpfen müssen.

Auf absehbare Zeit wird die Politik Russland gegenüber geprägt sein sowohl von Kooperation als auch Diskussion, zuweilen auch Konfrontation, wenn es um die Auseinandersetzung um die langfristigen Grundlagen geht, wie wir Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa garantieren wollen. Der Erfolg der neuen Bundesregierung in diesem Politikfeld wird auch davon abhängen, diese Dualität von Kooperation und Konfrontation in Balance zu halten und die deutschen wie europäischen Interessen in beidem zu verfolgen.

Kein grundsätzlicher Richtungswechsel

Gerade für diese Balance könnte eine mögliche Ampel-Koali­tion vielleicht sogar ein Glücksfall sein, wenn es gilt, einerseits unsere Werte und unsere Interessen für die Gestaltungen der Europäischen Friedensordnung deutlich zu vertreten und gleichzeitig nach pragmatischen Lösungen für konkrete Probleme zu suchen.

An den grundsätzlichen Herausforderungen in der Außenpolitik wird sich nichts ändern, an der Notwendigkeit, dabei auch mit Russland im Gespräch zu bleiben, ebenso wenig. Die Sorge vor einer grundsätzlichen Änderung der deutschen Außenpolitik gegenüber Russland scheint mir unbegründet. Jede Koalition muss in erster Linie Frieden und Sicherheit in Europa im Blick haben. Und diese ist, wie ein viel bemühtes Zitat sagt, nicht gegen Russland zu erreichen.

Peer Teschendorf

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