„Wir haben es heute mit einem Weltkrieg zu tun“

Im Ausland hat Nikita Michalkow unter anderem einen Oscar gewonnen (1995), im Inland ist die Liste seiner Auszeichnungen noch erheblich länger. Heute dreht der 78-Jährige kaum noch selbst, ist vor allem als Produzent aktiv und bekennender Unterstützer von Wladimir Putin, für den er gerade Wahlkampf macht. Mit seinen Aussagen lässt der Regisseur immer wieder aufhorchen. Einige Beispiele.

Nikita Michalkow vor einigen Jahren bei einer Veranstaltung mit Wladimir Putin. (Foto: kremlin.ru)

Wir sind die einzige Brücke zwischen Ost und West. Wir sind die Einzigen, die gleichermaßen offen sind für die Kultur des Westens wie des Ostens. Wir sind Steppe und Wüste, Wälder und Berge. Wir sind alles. Wir sind tatsächlich der Teil der Erde, ohne den unser Planet, die Menschheit nicht denkbar ist.

Nach der Perestroika sind wir dieser Täuschung aufgesessen, den Schulterklopfern, dem Lächeln. Da war eine Freude, dass man uns akzeptiert hat, dass man uns mag und versteht. Aber das ist eine Lüge! Man hat uns noch nie gemocht und noch nie verstehen wollen.

Was unsere Helden, unsere Landsleute heute an der Front leisten, ist nicht einfach und nicht nur eine Sonderoperation. Wir sind das einzige Land, das sich in voller Größe dem realen Bösen in der Welt entgegengestellt hat. Schauen Sie in die Gesichter der westlichen Politiker, in die Augen derer, die in der internationalen Arena gegen uns auftreten. Das sind ganz andere Seelen. Alles in allem haben wir es heute mit einem Weltkrieg zu tun. Seit den Zeiten des Faschismus hat es noch nie eine solche Unmenschlichkeit, ein solches Vergnügen am Leid und an der Demütigung anderer Menschen gegeben, wie es jetzt in der Ukraine der Fall ist.

So wie früher wird es nie mehr werden. Dafür ist zu viel kaputtgegangen in der Mentalität der Menschheit, in der Mentalität des Europäers. Der musste plötzlich erkennen, dass er Feigheit und Schwäche als Toleranz bezeichnet hat, um nichts unternehmen zu müssen. Und heute trauen sich Frauen in Stockholm um neun Uhr abends nicht mehr auf die Straße. 

Dass bei uns die LGBT-Bewegung für ungesetzlich erklärt wurde ist eine schlimme Ohrfeige für die sogenannte „zivilisierte Welt“. Denn allein das zu erlauben, bedeutet die Büchse der Pandora für vieles andere zu öffnen: für Fürchterliches, Satanisches, Unmenschliches und Zynisches.

Ihr fragt mich, was ich empfinde vor dem Hintergrund der Nachricht, dass mir die Einreise in die Ukraine verboten ist. Ich empfinde dasselbe, was, wie mir scheint, Sergej Michailowitsch Eisenstein empfunden hätte, wenn ihm 1939 die Einreise in das faschistische Deutschland verboten worden wäre.

Meine international preisgekrönten Filme bekämen heute weder den Goldenen Löwen noch den Grand Prix in Cannes oder den Oscar. Aber wir haben auf allerhöchster Ebene eine Übereinkunft mit China und Indien erreicht, eine Oscar-Entsprechung zu schaffen: den Brillanten Schmetterling. Dort werden Filme laufen, die elementaren menschlichen Werten entsprechen.

Ein Mensch ohne Glauben ist für mich überhaupt uninteressant. Ich wüsste nicht, worüber wir reden sollten. Über Tee oder das Wetter vielleicht. Aber wir kämen uns niemals so nahe, dass ich ihn bei der Hand nehmen und ihm mein Herz öffnen wollte.

Wir sind ein Volk der Folklore, ein Volk, das mit Märchen groß geworden ist: „Das Höckerpferd“, „Auf Geheiß des Hechtes“. Wir wollen alles auf einmal und nichts dafür tun. Schlussendlich schuften wir tagelang und brauchen fünf Tage dafür, was andere ihr ganzes Leben nicht schaffen.

Mir ist klar, dass ich mir Zorn und Ironie einzuhandeln riskiere, aber mir genügen russische Malerei, russische Literatur und russische Musik vollauf, um ein vollwertiges Leben auf dieser Welt zu führen. Vollauf. Sie enthalten alles, was zum Verständnis der menschlichen Natur erforderlich ist.

Russland verstehen, den russischen Charakter verstehen, die russische Zivilisation verstehen – das ist eine subtile Angelegenheit und kostet Zeit. So wie es Zeit braucht, sich auf die Schönheit der Landschaften Lewitans oder die Lyrik Puschkins einzulassen. Ein Historiker hat das einmal in den vortrefflichen Begriff „sturmlose russische Landschaft“ gegossen. Keine Berge, kein Ozean, keine Wasserfälle, nichts, was den Menschen sofort zu faszinieren vermag. Doch gerade diese Sturmlosigkeit liegt der russischen Kontemplation zu Grunde, die alles hervorgebracht hat, was die russische Kultur ausmacht – Sprache, Musik, Malerei, Poesie, Literatur, Philosophie. Nur will sich nicht jeder die Zeit für entsprechende Einsichten nehmen.

Übersetzt von Tino Künzel

Newsletter

    Wir bitten um Ihre E-Mail: