Vom Park am Nördlichen Flussbahnhof könnten schon 2023 Gondeln über den Chimki-Stausee schweben. In sieben Minuten wären die Fahrgäste auf der anderen Seite, wo Anschluss an die Metro besteht. Und das nicht zu den saftigen Preisen, die für die Seilbahn auf die Sperlingsberge fällig sind, sondern zum normalen Tarif mit der Trojka-Karte. Und das soll erst der Anfang sein. Laut Moskaus stellvertretendem Bürgermeister Wladimir Efimow liegen bereits Pläne für insgesamt zehn Seilbahnen in der Hauptstadt bereit.
Das Internetmagazin „Moskwitsch Mag“ scherzte umgehend, man habe doch eben erst die Oberleitungen der Trolleybusse abgebaut, um die Sicht auf die Stadt zu verbessern – um jetzt den Himmel mit Seilbahnen zu verhängen. Von einer Utopie war die Rede und von Spielereien der Stadtverwaltung. Doch die will unterdessen bereits die Investoren für die erste Seilbahn gefunden haben.
Seilbahn-Boom in Lateinamerika
Und ganz so utopisch ist die Idee an sich nicht. Die meiste Zeit wurden Seilbahnen zu rein touristischen Zwecken gebaut, so auch in Moskau oder beispielsweise in Lissabon oder Koblenz. Doch in den vergangenen zehn Jahren kamen sie weltweit als urbanes Verkehrsmittel ins Gespräch.
Während in Europa vielerorts noch debattiert und untersucht wird, gehören die Seilbahnen in einigen lateinamerikanischen Metropolen bereits zum Verkehrsalltag. Vorreiter ist das bolivianische La Paz, wo seit 2014 ein regelrechtes Netz entstanden ist, welches mittlerweile zehn Linien und eine Länge von 32 Kilometern umfasst. Auch Russland hat bereits eine Seilbahn als Nahverkehrsmittel in Betrieb, in Nischnij Nowgorod. Sie verbindet die Innenstadt mit dem auf der anderen Seite der Wolga gelegenen Stadtteil Bor.
Flussquerung per Gondel
Doch wo ist der Bau einer Seilbahn für den öffentlichen Nahverkehr sinnvoll? Schließlich wurde die Technik doch einst für Bergregionen entwickelt. Das sind auch die primären Einsatzgebiete, wie Pawel Kusin, Ingenieur an der Moskauer Universität für Verkehrswesen (MIIT), gegenüber der MDZ erläutert: „In der Regel werden Seilbahnen dort eingesetzt, wo die topografischen Gegebenheiten den Bau von Straßen oder Schienen nicht zulassen.“
In Moskau sei es jedoch ein anderer Umstand, der die Idee auf den Plan brachte: „Das Gebiet der Stadt wird von zahlreichen Gewässern durchzogen und es gibt katastrophal wenige Brücken“, so Pawel Kusin. Im Vergleich zu anderen europäischen Städten sei der durchschnittliche Abstand zwischen zwei Flussquerungen doppelt bis viermal so groß. Da diese jedoch nicht so schnell finanziert und gebaut werden können, habe man Flusstaxis und Seilbahnen ins Auge gefasst.
Die Seilbahn konkurriere also einerseits mit teuren, aber sehr effektiven Brücken und andererseits mit den viel günstigeren Flusstaxis, die jedoch weniger komfortabel und zudem störanfälliger seien.
Vorbild in Nischnij Nowgorod
Die Seilbahn in Nischnij Nowgorod könne dabei durchaus als Vorbild dienen, befindet Pawel Kusin. „Als Personenverkehrsmittel ist es bei Weitem die bequemste und schnellste Art, die Bewohner von Bor über den Fluss zu befördern.“ Trotz des recht hohen Fahrpreises von 100 Rubel (etwa 1,10 Euro) für die achtminütige Fahrt werde die Bahn rege genutzt. So rege, dass sie zu den Stoßzeiten an ihre Kapazitätsgrenzen gerate.
Mit der Situation in Lateinamerika könne man die Pläne in Moskau und anderen europäischen Städten allerdings nicht vergleichen, sagt der Verkehrsexperte. „Diese Seilbahnen wurden in engem Zusammenhang mit der dort verfolgten Sozialpolitik gebaut. Dank ihnen haben viele schwer zugängliche und abgelegene Armenviertel in kürzester Zeit eine zuverlässige und bequeme Verbindung ins Stadtzentrum, zu den Arbeitsplätzen, erhalten“, erklärt Pawel Kusin. In Europa gebe es eine solche Problematik nicht, da in der Regel seit langem entsprechende Verkehrswege bestünden.
Nicht jeder freut sich über die Pläne
Andere Länder, andere Sorgen. Während man in Bolivien froh ist um die Anbindung, formiert sich in Europa allerorts Widerstand gegen die angedachten Seilbahnen. Moskau ist da keine Ausnahme. Die „Nowaja Gaseta“ berichtet, dass der Bau der Station in Tuschino viele Anwohner verärgert. Zum einen falle ihr ein erst vor wenigen Jahren angelegter Park zum Opfer, zum anderen stören sich viele daran, dass die Gondeln quasi vor ihren Fenstern vorbeischweben sollen. Außerdem seien sowohl die Zahlen für die Zeitersparnis als auch die prognostizierten 19.000 täglichen Fahrgäste geschönt. Auf dem Bürgerbeteiligungsportal „Aktiwnyj Graschdanin“ wurde das Projekt kontrovers diskutiert. Die Ergebnisse sollen Anfang März präsentiert werden.
Eine weitere angedachte Linie soll von der Metrostation Alma-Atinskaja im Süden zum Busbahnhof Juschnyje Worota und weiter über die Moskwa in den Stadtteil Kapotnja führen. Andere sollen etwa den Vergnügungspark Ostrow Metschty oder große Einkaufszentren am Stadtrand wie Tjoplyj Stan im Süden anbinden.
Grotesk mutet der Plan an, eine Linie mitten durch die Stadt vom Kiewer Bahnhof über das Hotel Ukraina zum Krasnopresnenskaja-Ufer zu bauen. Welche der Projekte tatsächlich realisiert werden, wird die Zukunft zeigen.
Jiří Hönes