Traktoren sind nicht die geborenen Leistungssportler. Was bei der Feldarbeit an Resultaten zählt, ist anderer Natur. Und Zuschauer sind dabei eher selten.
Doch hin und wieder steht auch das PS-Proletariat mal im Rampenlicht, wird vorgeführt und bestaunt und läuft vor Jung und Alt zur Hochform auf. Die in Deutschland an diversen Orten stattfindenden Traktorentreffen sind quasi Familienfeste für Leute vom Fach. Aber sie sind auch eine beliebte Attraktion für Menschen, die sonst mit Landmaschinen keinen innigen Umgang pflegen. Zu den bemerkenswertesten Veranstaltungen dieser Art gehört das „Russentreffen“ in Westsachsen, schon wegen des ausgefallenen Namens, aber längst nicht nur.
„Wahre Pilgerstätte“
7000 Besucher kamen am letzten August-Wochenende zur bereits 17. Auflage des Spektakels auf einem vier Hektar großen Areal bei Hohenstein-Ernstthal. „Das ist ja eine wahre Pilgerstätte geworden“, meinte einer mit Blick auf die Schlange an der Kasse. Die Zahl der Teilnehmer – Traktoren verschiedener Epochen, aber auch moderne Exemplare, dazu andere Nutzfahrzeuge – wurde mit weit über 600 angegeben. Als im Jahr 2005 alles begann, waren es 43.
Warum „Russentreffen“? Die Stars dieser Traktorenschau sind Trecker der Marke Belarus. Hergestellt wurden und werden sie vom Minsker Traktorenwerk (MTS) in, wie der Name schon sagt, Belarus. Die Bezeichnung „Russentreffen“ sollte also nicht auf die Goldwaage gelegt werden.
Belarus-Traktoren im Mittelpunkt
Der Osten Deutschlands hat zu den Belarus-Schleppern eine besondere Beziehung. Speziell die Klassiker MTS 50 und MTS 80 wurden seinerzeit in das gesamte „sozialistische Lager“ exportiert. Das machte sie zu Stückzahlen-Weltmeistern. Auch in den DDR-LPGs verrichteten sie zu Tausenden ihren Dienst. Für den Volksmund „die Russen“, wird ihre einfache Konstruktion bis heute geschätzt. „Das sind Maschinen, die funktionieren“, sagt „Russentreffen“-Cheforganisator Thomas Werner. Zwar sei der Fahrkomfort nicht überragend. Doch dem stünden zahlreiche Vorteile wie ein günstiger Anschaffungspreis, leicht auszuführende Reparaturen, bezahlbare Ersatzteile und damit eine erwiesene Langlebigkeit gegenüber.
Was die Ost-Technik aus den 1960er bis 1980er Jahren noch zu leisten imstande ist, darf sie beim „Russentreffen“ in einem Wettbewerb beweisen. Bei dem geht es um Zugkraft – und um fahrerisches Können. Ein angehängter Bremsschlitten mit einem weiteren Traktor darauf muss vor den Augen der Zuschauer eine leichte Steigung hinaufgeschleppt werden und das möglichst weit. „Wer seinen Schlepper beherrscht, bei dem sollte das klappen“, so Werner.
Im Schatten des Sachsenrings
Während nebenan auf dem legendären Sachsenring jeden Sommer vor gewaltiger Kulisse das Deutschland-Rennen der Motorrad-Weltmeisterschaft ausgetragen wird, ermittelt die Traktoren-Konkurrenz bei ihrem nicht ganz so berühmten motorsportlichen Highlight „Sachsens stärksten Russen“. Aber so verbissen scheint das nicht gesehen zu werden. Wichtiger ist es wohl, zusammen ein Volksfest zu feiern und eine Branche ins Blickfeld zu rücken, die für Außenstehende sonst relativ unsichtbar ist.
Tino Künzel