Porsche in Russland: jünger, weiblicher, SUViger

Von der Überholspur auf die Standspur und zurück: Auch bei Porsche in Russland wird nach dem Lockdown wieder ein paar Gänge hochgeschaltet. Im MDZ-Interview spricht CEO Thomas Stärtzel über das Krisenmanagement, die besondere Wahrnehmung der Marke Porsche durch die russischen Kunden und die Sicht der Russen auf Deutschland.

Porsche-Russland-Chef Thomas Stärtzel im Sommer 2019 auf der russischen Halbinsel Kamtschatka bei einem Termin zum Verkaufsstart des Cayenne Coupé (Foto: Porsche)

Die Automobilhersteller in Russland haben für April und Mai tiefrote Absatzzahlen gemeldet. Macht Ihnen Ihr Job eigentlich noch Spaß?

Wenn man schon so lange hier ist wie ich, dann ist man Krisen gewöhnt. Russland ist ein sehr volatiler und äußerst herausfordernder Markt, der aber viel Potenzial birgt. Deshalb ist er von strate­gischer Bedeutung für die Branche. Und das bleibt er auch – trotz aller Aufs und Abs.

Minus 72,4 Prozent im „schwarzen April“, wie Sie ihn in Ihrer Eigenschaft als Vorsitzender des Komitees der Automobilhersteller (AMC) in der Association of European Businesses (AEB) in Russland genannt haben – ist das etwas, worauf man als krisenerprobter Manager gefasst sein muss?

Was die letzten Monate passiert ist, als in einer Stadt wie Moskau teilweise kaum Autos auf den Straßen zu sehen waren, hat sich sicher niemand vorstellen können. Ich selbst wohne am Puschkinplatz. Da war sogar wieder Vogelzwitschern zu hören! So schön das ist: Als Manager musste man in der Situation natürlich Antworten auf Fragen finden, die schon tough waren. Wir bei Porsche haben, ausgehend von den Erfahrungen in China, Italien und Deutschland, relativ frühzeitig Maßnahmen getroffen, was die Verlagerung von Arbeit angeht. Das hat uns einen Vorteil verschafft.

Wie beurteilen Sie die kurzfristigen Perspektiven?

Wir rechnen damit, dass der Juni unterm Strich sehr gut für uns ausfällt. (Anm. d. Red.: Das Interview fand Ende Juni statt.) Das Kaufinteresse ist jedenfalls da und unsere russlandweit 24 Händler sind hochmotiviert. Was Russland als Ganzes betrifft, so ist das ein starkes und reiches Land. Es hat schon viele Schwierigkeiten gemeistert und wird sicher auch mit dieser Misere fertig werden.

Hat die russische Regierung genug getan, um die Nöte der Automobilhersteller in der Pandemie zu lindern?

Sie hat erst einmal relativ schnell etwas getan für die lokale Produktion, indem Verkäufe an staatliche Auftraggeber gefördert wurden. Wichtig war, dass nach dem April, in dem zunächst alle Türen zugingen und kein Handel mehr möglich war, ab Mai die Kfz-Servicebetriebe unter strengen Auflagen wieder öffnen durften. Über diesen Kundenkontakt sind dann auch viele Online-Verkäufe angebahnt worden. Das hat immerhin 20 Prozent weniger Absturz gebracht als im April.

Entwicklung des russischen Automarkts (Quelle: AEB/AMC)

Konnten Sie sich gegenüber den zuständigen russischen Stellen mit Ihren Anliegen artikulieren?

Ja, wir stehen in engem Austausch mit den Verantwortlichen. Die Notwendigkeiten sind der Regierung bekannt. Einiges ist auch schon umgesetzt worden. Bei anderen Vorschlägen hoffen wir, dass darauf noch eingegangen wird.

Zum Beispiel?

Wir würden uns wünschen, dass die Kundennachfrage wieder stimuliert wird, indem der Staat entsprechende Kredite subventioniert und auch das Leasinggeschäft unterstützt. Privatleasing entwickelt sich in Russland bisher nur sehr langsam. Wenn der Staat da für attraktive Konditionen sorgen würde, wäre das sehr hilfreich. 

Für Porsche ging das Jahr gut los. Im März haben Sie sogar 75 Prozent mehr Autos verkauft als im selben Monat des Vorjahres. Wie ist so etwas möglich?

Im Vergleich zu anderen Herstellern sind bei uns die Stückzahlen relativ klein und daher auch die Schwankungen größer. Solche Ausschläge haben oft damit zu tun, was im Vorjahr passiert ist und wann Fahrzeuge eingeführt wurden. Außerdem spielen oft auch Währungseffekte eine Rolle. Wenn der Rubel fällt, dann steigen zwar mittelfristig die Preise, aber kurzfristig treibt das die Nachfrage im Showroom an. Das haben wir im Dezember 2014 schon einmal erlebt.

In einem Moskauer Porsche-Autohaus (Foto: Porsche)

2019 wurden in Russland knapp 1,8 Millionen Neuwagen ausgeliefert und damit halb so viele wie in Deutschland. Porsche hat 6023 Autos abgesetzt – in Deutschland war es das Fünffache. Welchen Stellenwert hat für Ihr Unternehmen der russische Markt?

Unsere drei Hauptregionen sind China, die USA und Deutschland. In Europa ist Russland der viertgrößte Einzelmarkt von Porsche hinter Deutschland, England und Italien. Das ändert sich immer mal wieder. Wir waren auch schon die Nummer drei.

Was zeichnet den russischen Porsche-Käufer aus?

Unsere Kunden gehören seltener der Mittelschicht an als etwa in Deutschland, sind deutlich jünger als im internationalen Durchschnitt – und der Anteil an Frauen ist höher.

Das müssen Sie erklären.

In Europa steht Porsche für Sportwagen. Für den Neunelfer, für Rennerfolge in Le Mans. In Russland verkaufen wir zu 90 Prozent SUVs, so wie den Cayenne, der sehr stark im Markt positioniert ist. Man braucht keine Sportwagenerfahrung, um ihn zu fahren. Das Fahrzeug spricht Frauen eher an als eine zweitürige Rennmaschine.

Porsche ist in Russland erst seit 2003 vertreten und hat deshalb generell noch nicht die Tradi­tion, die anderswo eine große Rolle spielt. Man begeistert sich nicht so sehr für Performance, für Einzelteile oder die Geschichte, sondern für die Marke an sich und das Design. Ich finde das recht sympathisch, es erinnert mich daran, wie mich Porsche einst zum ersten Mal selbst so richtig gepackt hat.

Porsche in Moskau (Foto: Tino Künzel)

Wie denn?

Ich komme aus Leipzig. Bevor ich 1995 bei Porsche eingestiegen bin, habe ich nach der Wende vier Jahre beim Uhrenhersteller Junghans im Schwarzwald gearbeitet und viel Zeit auf der Autobahn zugebracht. Von Stuttgart in Richtung Schweiz ist das eine wunderschöne Strecke, da fahren Deutsche und Schweizer auch gern mal ihren Porsche 911 aus. Einmal hat mich so einer im Regen überholt, ich konnte nur die Silhouette erkennen. Ein schwarzer, breitschultriger, tiefliegender Neunelfer – das sah enorm stark aus und hat mir extrem gefallen. Das Bild habe ich heute noch vor Augen.

Seit 2009 sind Sie Chef von Porsche Russland. Wenn Sie hier mit den Leuten reden, was hören Sie von denen über Deutschland?

Die Russen – das ist ein Riesengeschenk – sind Deutschland sehr verbunden. Und sie bedauern sehr, dass sich politisch nicht widerspiegelt, was zwischen den Menschen passiert. Man verfolgt das aufmerksam und ist ausgesprochen traurig darüber, dass diese Verbundenheit nicht so zurückgespielt wird, zumal man eigentlich viel voneinander lernen könnte. Russland ist auf allen möglichen Gebieten ein Fast Follower, auch jetzt wieder bei der Elektromobilität. Mehr noch, bei der Digitalisierung ist Russland in vielen Bereichen sogar deutlich weiter. Es gäbe also jede Menge Potenzial zur Zusammenarbeit, das leider nicht ausgereizt wird.

Welchen Eindruck haben Sie von der Verkehrsinfrastruktur?

Als ich damals nach Moskau gekommen bin, wurde viel darüber geredet, wie die Straßen sind, wie man hier Auto fährt und wie gefährlich es teilweise ist. Das hat sich enorm gewandelt. Allein die Tatsache, dass man nicht mehr an jeder Ecke parken kann, ist der Stadt sehr zugutegekommen. Nur die Staus sind immer noch da. Da wären intelligente Verkehrsleitsysteme wie zum Beispiel in China gefragt.

Wie sähe ein idealer Wochenendtag für Sie mit dem Porsche aus?

Ich würde mich am Morgen ins Auto setzen und zum Moscow Raceway fahren, dort ein paar Runden auf der Rennstrecke drehen, die eine oder andere Offroad-Tour durch das Gelände machen und am Abend den Sonnenuntergang mit Freunden genießen. So ein idealer Tag ist unser Porsche Sportscar Together Day, den wir einmal im Jahr mit unseren Kunden und ihren Familien auf dem Moscow Raceway feiern. Ich hoffe, dass er auch diesmal im September stattfinden kann, und freue mich jetzt schon darauf.

Das Interview führte Tino Künzel.

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