Paris, Monaco, Atlanta: Russische Fußball-Legionäre im Westen

Von den internationalen Wettbewerben ausgeschlossen, schmort der russische Fußball im eigenen Saft. Vor diesem Hintergrund versuchen mehr Russen als je zuvor im Ausland ihr Glück.

Russlands Nationalmannschaft Anfang September beim Freundschaftsspiel in Vietnam (Foto: Maxim Bogodwid/RIA Novosti)

Zum kommunikativen Rüstzeug eines Fußballtrainers gehört der Gebrauch des Konjunktivs. „Wenn wir die Riesenchance gleich zu Beginn nutzen, läuft das Spiel ganz anders“, ist ein klassischer Satz, den jeder Fußballfan schon mal gehört hat. Auch der russische Nationaltrainer Waleri Karpin hat neulich das „Wenn“ und „Aber“ bemüht. „Wenn wir zu internationalen Wettbewerben zugelassen wären, dann hätte sich unsere Nationalmannschaft für die EM 2024 qualifiziert, denke ich“, sagte er in einem Radiointerview. Wie man sich dort geschlagen hätte, stehe auf einem anderen Blatt. „Aber mir scheint, dass wir nicht mit dem Gesicht im Dreck gelandet wären.“

Gegen Brunei und Syrien

An der Europameisterschaft in Deutschland konnte Russland bekanntlich nicht teilnehmen, weil sowohl die Auswahl als auch die Klubs seit Februar 2022 für alle internationalen Wettbewerbe gesperrt sind. Statt sich mit den Besten Europas zu messen, bestreitet die „Sbornaja“ nur Freundschaftsspiele, deren Wert umstritten ist. Am 15. November empfängt Russland, aktuell die Nummer 34 der FIFA-Weltrangliste, in Krasnodar die Nummer 184: Brunei. Vier Tage später geht es in Wolgograd gegen Syrien (93). In jüngerer Vergangenheit gehörten auch schon Kuba, Belarus und Vietnam zu den Gegnern.

Wie gut die Nationalspieler als Mannschaft oder im Einzelnen sind und was der russische Klubfußball in der sogenannten Premier-Liga (RPL) taugt, wo Zenit St. Petersburg zuletzt sechs Mal in Folge Meister geworden ist, darüber lässt sich unter diesen Bedingungen trefflich spekulieren. Dem Konjunktiv sind hier Tür und Tor geöffnet.

Ganz objektiv hat die Situation aber einen neuen Trend befördert: Noch nie kickten so viele russische Spieler im Ausland wie heute. Galten die Profis im Land noch vor wenigen Jahren als tendenziell selbstzufrieden und angesichts gut dotierter Verträge in der Heimat als kaum interessiert an Engagements in europäischen Ligen, so wollen viele offenbar nicht mehr im eigenen Saft schmoren und ihre gesamte Karriere vor halbleeren Rängen in der RPL verbringen, wenn nicht wenigstens die Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb lockt. Dass zumindest im Einzelfall durchaus namhafte Klubs um die Spieler buhlten, kam hinzu. Wer spielt heute wo?

Matwei Safonow (25)

Nationaltorhüter Matwei Safonow wechselte im Sommer vom FC Krasnodar zum FC Paris Saint-Germain. Der französische Fußballmeister, einer der prominentesten und wohlhabendsten Klubs in Europa, ließ sich den Transfer 20 Millionen Euro kosten. Safonow soll wohl vor allem den fehlerbehafteten Italiener Gianluigi Donnarumma zu Höchstleistungen antreiben. Dem Kollegen zu Top-Form zu verhelfen und sich selbst auf die Bank zu setzen, darauf hat er aber keine Lust, wie er im Sommer in einem Youtube-Interview betonte: „Niemand hat mir gesagt, dass ich die Nummer zwei bin. Ich komme nach Paris, um zu kämpfen. Ich möchte Fußball spielen.“ Er habe noch nie einen internen Wettstreit verloren und sei immer die Nummer eins gewesen.

Torhüter Matwei Safonow will bei Paris Saint-Germain durchstarten. (Foto: Paris Saint-Germain)

Trotzdem vertraute Trainer Luis Enrique erst einmal Donnarumma im Tor. Doch als der sich verletzte, sprang Safonow ein, kam zu drei Einsätzen in der Ligue 1 und einem in der Champions League. Der teuerste Torhüter-Neuzugang der Saison in der französischen Meisterschaft machte seine Sache gut, ohne allerdings groß gefordert zu werden.

Alexander Golowin (28)

Mittelfeldspieler Alexander Golowin bestreitet bereits seine siebente Saison bei der AS Monaco. Für den Verein war er wohl noch nie so wertvoll wie unter dem Österreicher Adi Hütter, der die Monegassen seit Sommer 2023 trainiert. In der vorigen Saison wurde Golowin von den Fans zum besten Spieler des Klubs gewählt. In die aktuelle Saison ging er als Kapitän und als neue Nummer 10.

Alexander Golowin ist Stammkraft beim AS Monaco (Foto: UEFA)

Monaco verpflichtete Golowin 2018 nach der Fußball-WM in Russland und überwies dafür 30 Millionen Euro an ZSKA Moskau. Das ist auch sein heutiger Marktwert, glaubt man den Insidern von Transfermarkt.de Damit ist der Mann aus der sibirischen Kleinstadt Kaltan der teuerste russische Profi überhaupt. Letzte Saison kam er auf 27 Spiele für seinen Verein, der hinter Paris Saint-Germain Zweiter wurde, sodass Golowin erstmals in seiner Zeit bei Monaco in der Champions League spielt. Er stand in allen vier bisher absolvierten Spielen auf dem Platz. Monaco ist noch ungeschlagen und steht mit 10 Punkten hinter dem FC Liverpool und Sporting Lissabon auf Platz der Champions-League-Tabelle.

Alexej Mirantschuk (29)

Mit Atalanta Bergamo hat Alexej Mirantschuk im Frühjahr die Europa League gewonnen, doch einen Schlüsselrolle kam ihm dabei nicht zu. 2020 für 15 Millionen Euro von Lok Moskau nach Nord­italien geholt, ist der Linksfuß ein Rotationsspieler geblieben. Vorige Saison wurde er zwar in 42 Spielen eingesetzt, allerdings nur 19 Mal von Beginn an. Im Sommer gab Atalanta den Mittelfeldspieler an Atlanta United aus der Major League Soccer (MLS) ab und erzielte damit immerhin noch einen Erlös von 12 Millionen Euro. In den USA, dem Gastgeberland der Fußball-WM 2026, hat sich Mirantschuk bereits in den Mittelpunkt gespielt, indem er gegen Inter Miami mit Lionel Messi den späten Ausgleich zum 2:2 besorgte – vor 70.000 Zuschauern. So eine Heimkulisse hatte er weder in Russland noch in Italien je erlebt.

Von Atalanta zu Atlanta: Alexej Mirantschuk (Foto: Atlanta United)

Arsen Sacharjan (21)

Für Top-Talent Sacharjan hat seine zweite Saison bei Real Sociedad in Spanien begonnen, wenn auch noch nicht so richtig. Wegen eines in der Vorbereitung erlittenen Sehnenanrisses musste der Mittelfeldspieler im August operiert werden und hat deshalb noch kein einziges Pflichtspiel bestritten. In seiner Debütsaison für Real, wo einst auch Waleri Karpin kickte, brachte es Sacharjan auf 40 Einsätze, davon 22 in der Startelf. So begeistern wie früher bei Dynamo Moskau, von wo er für 13 Millionen Euro kam, konnte er noch nicht, hat aber zumindest angedeutet, was in ihm steckt.

Daler Kusjajew (31)

Ebenfalls seine zweite Saison im Ausland absolviert Daler Kusjajew, der im Sommer 2023 nach sechs Jahren bei Zenit St. Petersburg ablösefrei zum Le Havre AC in die französische Ligue 1 wechselte. Dort ist der Nationalspieler gesetzt. Der zweitteuerste Profi im Kader kam vorige Saison auf 33 Spiele und schoss drei Tore. Er gehörte zu den drei Spielern seines Klubs mit den meisten Spielminuten und half so mit, dass Le Havre die Klasse halten konnte.

Noch mehr Spieler

In Griechenland sind gleich vier prominente Russen aktiv. Diesen Sommer schloss sich Fjodor Tschalow (26), über Jahre Cheftorjäger von ZSKA Moskau, PAOK Thessaloniki an, das mit Iwan Sawiddi einen russischen Besitzer hat. Dort traf er auch auf Magomed Osdojew (32), der seine beste Zeit bei Zenit St. Petersburg hatte. Ebenfalls aus St. Petersburg bekannt: Ex-Zenit-Keeper Juri Lodygin (34) steht seit 2022 bei Panathinaikos Athen unter Vertrag. Stürmer Magomed-Schapi Suleimanow (24) wiederum ist von seinem Klub FC Krasnodar an Aris Thessaloniki ausgeliehen, wo er letzte Saison mit 31 Spielen und fünf Toren eine gute Rolle spielte.

Auch in Dänemark, Südkorea und Zypern sind derzeit russische Spieler am Ball. So hat bei Aris Limassol auf Zypern Ex-Stürmerstar Alexander Kokorin (Dynamo Moskau, Zenit St. Petersburg, 47 Länderspiele) seine sportliche Heimat gefunden. Dorthin ist er nun schon die dritte Saison in Folge vom AC Florenz ausgeliehen. Große Karrieresprünge sind von dem inzwischen 33-Jährigen wohl kaum noch zu erwarten.

Tino Künzel

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