Die Schlange an der Kasse des Bolschoi-Theaters wurde im November zu zu einem wichtigen Thema in den russischen Medien. Sie ist die einzige Warteschlange an einer Theaterkasse und vielleicht die einzige Warteschlange in Moskau, neben der eine spezielle Polizeieinheit im Einsatz war. Die Verursacher der Polizeiverstärkung im Zentrum der russischen Hauptstadt sind bekannt: Es handelt sich um den Deutschen Ernst Theodor Amadeus Hoffmann und den Russen Pjotr Tschaikowski. Der erste schrieb 1816 ein fantastisches Weihnachtsmärchen, „Nussknacker und Mausekönig“, und der zweite komponierte 1892 sein unsterbliches Ballett, das auf dieser Handlung basiert.
Traditionelle Qual
Jeder ist seit langem daran gewöhnt, dass der Kauf von Eintrittskarten für die Hauptaufführungen aus dem Repertoire des Bolschoi-Theaters ein großes Problem darstellt. Es ist nicht das erste Jahr, in dem Menschen stundenlang in Warteschlangen stehen. Gleichzeitig ist ein mehrstündiges Verharren auf der Straße keineswegs eine Garantie dafür, dass sie die begehrten Tickets erhalten. Die Garantie wird nur von Wiederverkäufern gewährt – denjenigen, die den Weiterverkauf von Tickets zu ihrem illegalen Geschäft gemacht haben.
Obwohl Theatermanager alles versucht haben, um das Problem zu bekämpfen, lässt es sich doch nicht beseitigen. Umgekehrt: Je mehr Bedingungen für den Kauf einer Eintrittskarte erfüllt werden müssen, desto schwieriger ist es für einen normalen Theaterbesucher, diese zu erwerben. Und desto höher ist der Wiederverkaufspreis.
Armbänder und Handschellen
In diesem Jahr hat der Kampf gegen die Wiederverkäufer ein neues Niveau erreicht. Um eine Eintrittskarte für das Bolschoi-Theater zu kaufen, muss man wie bisher den Pass vorlegen. Und wenn jemand zusammen mit einer Begleitperson wunderbare Musik genießen und die Innenräume des Haupttheaters des Landes einschließlich seines berühmten Kronleuchters besichtigen oder Kinder mitbringen möchte, um sich das Weihnachtsmärchen anzusehen, ist es besser, auch deren Dokumente zur Theaterkasse mitzunehmen. All dies geschieht, damit unternehmungslustige Menschen nicht einen ganzen Berg Tickets für den späteren Weiterverkauf hamstern.
Aber bevor Musikbegeisterte ihre Pässe an der Kasse vorzeigen und Tickets kaufen können, müssen sie noch einen weiteren Teufelskreis durchlaufen, und zwar spezielle Armbänder erhalten, mit denen sie später zur Theaterkasse kommen sollen. Mit anderen Worten gibt es jetzt zwei Schlangen: für Armbänder und für die Tickets selbst. Und die „Ticketmafia“ verdient auf beiden Seiten Geld. Seit Ende Oktober begannen sich in sozialen Netzwerken Gruppen zu bilden, die virtuelle Warteschlangen für Tickets erstellten und Plätze auf diesen Listen verkauften. Die Ballerina und Autorin des Telegram-Kanals über Ballett, Alina Panfilowa, erzählte dem Portal MSK1.RU davon. An der Kasse des Bolschoi-Theaters kam es erwartungsgemäß zu einem Konflikt zwischen zwei „Versionen der Warteschlange“ – der realen und der virtuellen. Die Polizei musste sogar einschreiten und einige der Organisatoren der virtuellen Listen mitnehmen.
Ist es notwendig, für „Nußknacher“ pleitezugehen?
Der Angebotspreis beträgt 1500 Rubel (etwa 15 Euro). Laut Alina Panfilowa geht es nur darum, auf virtuelle Listen zu kommen. Diejenigen, die keinesfalls Schlange stehen möchten, müssen bei Wiederverkäufern 50 000, 85 000 oder sogar 150 000 Rubel (500, 800 und 1500 Euro) abdrücken. Ist der „Nussknacker“ im Bolschoi-Theater so viel Geld wert?
Die Alternative zum Schlange stehen bietet die Theater-Webseite. Allerdings läuft auch hier nicht alles glatt. Wiederverkäufer beherrschen auch diesen Vertriebskanal. Andererseits ist der Versuch, von zu Hause aus alle Hindernisse zu überwinden, nicht so traumatisch, wie das stundenlange Stehen im kalten Wind.
Wenn Sie sich schließlich mehr für den „Nussknacker“ als für den Kronleuchter des Bolschoi-Theaters interessieren, können Sie einfach eine Aufführung in einem anderen Theater wählen. Günstiger und angenehmer ist es, nach St. Petersburg zu fahren, um die Aufführung im Mariinsky-Theater zu sehen. Eine Alternative in Moskau wäre das Stanislawski- und Nemirowitsch-Dantschenko-Musiktheater. 2022 inszenierte der Choreograf Juri Posochow dort seine Version vom „Nussknacker“.
Die Provinz blickt oft irritiert auf dieses Ticketdrama in Moskau. Sind dort alle verrückt geworden? In sozialen Netzwerken erinnern sich die Menschen oft an ein anderes Tschaikowski-Ballett, an „Schwanensee“. Während des Putschversuchs 1991 wurde es auf allen Fernsehsendern ausgestrahlt. Dies ist eine Art Warnung an die Moskauer. Und alle anderen.
Igor Beresin