Moskau sehen und filmen

Ihre erste professionelle Moskau-Erfahrung brachte drei Berliner Künstler gleich in die Nähe zum Kreml – in die Manege. Darüber ist nun ein Film entstanden, der zum Abschluss der Moskauer Streetart-Biennale im Januar präsentiert wird.

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Die Skulptur „Empires and their walls“ von Mario Mankey in der Moskauer Manege / Foto: The Art Union

Wir sitzen in einem Auto, das durch die Nacht rauscht. Und an der Ampel hält. Man sieht eine dunkle Straße durch die von Regen undurchsichtige Scheibe, die Wischer leisten volle Arbeit, und dennoch verbirgt sich die Stadt hinter einem nassen Vorhang. Die Windschutzscheibe ist gerissen, fast als hätte jemand auf das Auto geschossen, dem Loch und den wie Spinnenbeine aussehenden Rissen im Glas nach zu urteilen.

So beginnt die Filmdokumentation „Moskwa“. Der Film, einem Roadmovie ähnelnd, fasst die Erlebnisse und Beobachtungen junger Künstler zusammen, die im Rahmen der 2. Artmossphere Streetart Biennale in Moskau im Sommer 2016 ausgestellt haben. Die Eröffnungsausstellung „Invisible Walls“ zeigte von Ende August bis September die Werke von über 60 internationalen jungen Streetart-Künstlern, unter ihnen auch Werke von Pablo Benzo (Chile), Mario Mankey (Spanien) und Johannes Mundinger (Deutschland). Die drei leben und arbeiten alle in Berlin. Der Berliner Verein The Art Union, der die drei betreut, war von den Veranstaltern der Biennale eingeladen worden, die Ausstellung zu ko-kuratieren. Es sieht so aus, als wäre hier eine Kooperation von Dauer entstanden. 2018 soll es für The Art Union wieder nach Moskau gehen. „Die Organisationsleitung der Biennale strebt eine engere Zusammenarbeit an, um Prozesse zu optimieren. Darüber hinaus soll der Austausch zwischen Berliner und Moskauer Künstlern gefördert werden“, berichtet Phillipp Barth, der Vorstand des Vereins.

So flogen Vertreter des Vereins mit den Künstlern im Sommer nach Moskau, wo zwei Wochen lang an den Ausstellungsstücken gearbeitet wurde, um sie anschließend in der Manege gegenüber vom Kreml zu installieren. All das zeigt der Dokumentarfilm in gut 25 Minuten sehr nahbar und intim. Kurz vor Ende der Biennale Mitte Januar 2017 wird der Film in Moskau aufgeführt.

„Die Zuschauer sehen, dass die Künstler hier authentisch agieren, und sich geradezu verletzlich zeigen“, erklärt Barth. Tatsächlich – die drei Künstler versuchen, Motivation und Ideen, Ambition und Inspiration in Worte zu fassen. Die intimen Interviews werden unterbrochen von Sequenzen, die Moskau in seiner vollen Pracht zeigen. Die Kamera begleitet die Künstler bei ihren Entdeckungstouren durch die Stadt, fängt die kindliche Begeisterung in ihren Gesichtern bei der ersten Metrofahrt und der Betrachtung der Schönheit der Metrostationen ein. Man nimmt die Vibrationen der Stadt, ihre Gegensätze und zahlreichen Facetten wahr. Überall fällt der Blick auf Formen, Kanten und vor allem Farben – hier Türkis, dort Gold und an der nächsten Ecke ein sattes Rot. Im Hintergrund die Geräusche der Megastadt.

Dem Macher des Films, Kevin Lüdicke, gelingt es, durch bewegte Schnappschüsse den Betrachter mit auf eine Reise durch die Welt der Künstler und ihrer Werke zu nehmen. Man hat das Gefühl, als würde er in die Köpfe der drei jungen Männer eindringen, man hört ehrliche Antworten, bemerkt das Suchen nach Worten, um Emotionen beschreiben zu können. Pablo Benzo berichtet von der Schwierigkeit, die Idee aus seinem Kopf auf Papier zu bringen und es in ein „Etwas“ auf der Leinwand zu transformieren.

Es wird gesprüht, gezeichnet, Linien gezogen. Für die Biennale waren die Künstler eingeladen worden, sich Gedanken zu den unsichtbaren „Wänden“ und Hindernissen des alltäglichen Lebens und zwischen Gesellschaften zu machen und dies in ihren Werken zum Ausdruck zu bringen. Während der Ausstellung in der Manege trennten dann jedoch sichtbare Wände die einzelnen Kunstwerke optisch und räumlich voneinander.

Rebellische Straßenkunst gepaart mit kultiviertem Freigeist – war da die Manege der richtige Ort? Ursprünglich als Reithalle errichtet, ist es mittlerweile eine gängige Location für Ausstellungen. Dass hier klassische Kunst und Avantgarde aufeinanderprallen, ist nichts Neues an diesem Ort: 1962, im Zuge einer Avantgarde-Schau, polterte Nikita Chruschtschow, hier würde abscheuliche Kunst ausgestellt. Dies beflügelte einen der so beleidigten Künstler, Ernst Neiswestnyj, zu einer für Jahrzehnte anhaltenden Karriere. Man kann nur vermuten, dass er wahrscheinlich mit Begeisterung den jungen Künstlern in ihrem Film gelauscht hätte, welche Motivation und Geschichte sich hinter jedem ihrer Werke verstecke.

Von Jacqueline Westermann

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