Newa-Blues: Warum eine Friedensaktion im Unfrieden endete

Die deutsch-russische Verständigung hat es nicht leicht in diesen Tagen. Ausdauersportler Marco Henrichs wollte da ein Zeichen setzen: als Erster die Newa der Länge nach durchschwimmen und diese Aktion dem Frieden zwischen unseren beiden Ländern widmen. Doch aus dem gutgemeinten Vorhaben wurde nichts. Nach einigen Tagen in St. Petersburg reiste der Deutsche frustriert wieder ab.

Newa

Die Newa, bevor sie St. Petersburg erreicht, auf halber Strecke vom Ladogasee, der in der Ferne noch zu erahnen ist. / Tino Künzel

Marco Henrichs hatte sich alles genau überlegt. Am 1. August wollte er um fünf Uhr in Schlüsselburg am Ladogasee an den Start gehen und bis zum Nachmittag die gesamte Newa durchquert haben, was vor ihm noch niemandem gelungen ist, soweit man weiß. Die 77 Kilometer hätte er, so der Plan, kraulend in zwölf Stunden zurückgelegt, um auch noch ein zeitliches Ausrufezeichen zu setzen und sich nicht nachsagen zu lassen, er habe die Leistung hauptsächlich der Strömung zu verdanken. Am Zielort, dem Park 300 Jahre St. Petersburg in der Newa-Bucht (die in den Finnischen Meerbusen übergeht), sollte anschließend ein Konzert stattfinden.

Aus einem Begleitboot heraus wäre er alle 30 Minuten mit Nahrung – Elektrolytgetränken, Smoothies, Kraftbrühe – versorgt worden. Ein zweites Boot war für die Fotografen vorgesehen. Den russischen Medien gefiel die Idee. Die große Resonanz zeigte sich nicht nur bei einer Pressekonferenz. Er habe drei Tage lang vor dem geplanten Start von früh bis abends Interviewtermine gehabt, erzählt Henrichs. Auf deutscher Seite sei das leider ganz anders gewesen. Da brauche man den Redaktionen gar nicht erst mit so etwas zu kommen. Positive Geschichten in Bezug auf Russland seien „nicht gewollt“.

Der 42-jährige Rheinländer, ein gelernter Feuerwehrmann, lebt im Allgäu. Um die Newa zu bezwingen, hat er nach eigenen Worten auf ein Rennen in Neuseeland verzichtet und sich ein halbes Jahr gezielt vorbereitet. Zu seinem täglichen Pensum gehörten mehrere Acht-Kilometer-Runden im Rottachsee. 77 Kilometer wären auch für ihn Neuland gewesen, deshalb wollte er für alles gewappnet sein.

Und es ging ihm nicht nur ums Schwimmen. „Wer mich als Sportler kennt“, sagte er in den letzten Tagen nicht nur der MDZ, „der weiß, dass mir die deutsch-russische Verständigung am Herzen liegt.“ Deshalb hatte er seinen lange angekündigten Rekordversuch – in einem Promovideo auf YouTube ist sogar von einem „Weltrekord“ die Rede – auch als Geste für Frieden und Völkerverständigung deklariert. Die sollte einer der Höhepunkte der „Freundschaftsfahrt“ von Deutschland nach Russland werden, die am 23. Juli in Berlin mit 120 Fahrzeugen gestartet ist und Ende Juli bis Anfang August in St.  Petersburg Station machte.

Sollte, wäre, hätte. Am Ende hat der Konjunktiv den Imperativ besiegt. Henrichs sagte die Aktion einen Tag vorher entnervt ab. Der Athlet sprach von einer „Achterbahnfahrt“ und einer „absoluten Extremsituation“. Auf vieles war er gefasst gewesen: das kalte Wasser, Temperaturschwankungen durch die Strömung, Selbstzweifel, Brechreiz. Doch ausgebremst hat den erfahrenen Triathleten und mehrfachen Iron-Man-Teilnehmer letztlich eine Langstrecke im Vorfeld: die Organisation.

Henrichs hat vor einem Jahr am KotlinRace teilgenommen, einem Freiwasserschwimmwettkampf über 25 Kilometer von St. Petersburg zur Insel Kotlin mit der Festung Kronstadt. Daraufhin wurde er von einheimischen Verantwortlichen angesprochen, ob er sich nicht an der Newa versuchen wolle. Nach Henrichs Worten habe man ihm versichert, er müsse sich um nichts kümmern, alle Genehmigungen würden eingeholt. Dmitrij Jegorow, der Cheforganisator des SwimRun Russia, bestreitet das. Doch seine Version der Dinge, wie er sie der MDZ schildert, will er am Ende nicht veröffentlicht sehen.

Als Henrichs in St. Petersburg eintraf, war jedenfalls gar nichts genehmigt. Er versuchte vor Ort noch zu retten, was zu retten war, auch mit Unterstützung des deutschen Konsuls Pietro Merlo, war zwischenzeitlich überzeugt, nun sei alles in trockenen Tüchern. Doch just am 1. und 2. August kehrten nach einer Flottenparade der russischen Marine am 30. Juli die Schiffe zu ihren Stützpunkten zurück. Für diesen Zeitraum eine wie auch immer mit Symbolik aufgeladene Sportaktion offiziell bei der Stadt anzumelden, dürfte von vornherein illusorisch gewesen sein.

Der Deutsche musste unverrichteter Dinge wieder zurückfliegen. Er sei „sehr enttäuscht“, berichtete er vorher noch der MDZ, man habe ihn „ins offene Messer laufen lassen“. Nur warum? Henrichs sagt, dazu habe er unterschiedliche Aussagen gehört, unter anderem die, bestimmte Leute hätten wohl nicht gewollt, dass ein Ausländer als Erster die Newa durchschwimmt. Aber das ist natürlich auch nur eine Theorie. Jedenfalls habe er so etwas wie jetzt in seiner gesamten Sportkarriere „noch nie erlebt“. Den Behörden mache er keinen Vorwurf. Den Kontakt zu denen, die ihn eingeladen hatten, habe er allerdings abgebrochen.

Merkwürdig fand der Extremsportler auch, dass wenige Tage vor seinem eigenen Unternehmen  die Zeitungen über einen gleichgearteten Rekordversuch berichteten. Der Petersburger Alexej Serjodkin schaffte 70 Kilometer, bevor die Polizei ihn und die ihn begleitenden Kajaks ans Ufer bat. Zufall? Serjodkin sagt auf Anfrage der MDZ: ja. Und überhaupt solle man das alles nicht so hoch hängen. Er sei für Humor im Sport, nicht für Pathos. Henrichs habe er in eine russische Banja mit allem Drum und Dran eingeladen, allerdings keine Antwort erhalten. „Dabei ist es doch viel wichtiger, dass sich konkrete Menschen kennenlernen, als für eine abstrakte Völkerverständigung einzutreten.“

Henrichs schließt nicht aus, dass er irgendwann auf das Newa-Projekt zurückkommt. Jetzt jedoch hat er nach den Turbulenzen erst einmal „einen Schlussstrich gezogen“.

Tino Künzel

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