Der russische Pelé

Er rauchte und trank und trieb seinen sportlichen Gegnern den kalten Angstschweiß auf die Stirn: Eduard Strelzow galt als die größte Nachwuchshoffnung des sowjetischen Fußballs. Doch dann verschwand der Stürmer für mehrere Jahre im Gulag.

Hoch begabt und tief gefallen: Fußballlegende Eduard Strelzow. (Foto: rusnovosty.ru)

Mit 19 Jahren spielte er bereits in der Nationalmannschaft, verblüffte als einer der ersten mit dem Hackentrick und wurde aufgrund seiner brillanten Technik als rus­sischer Pelé gefeiert: Ende der 1950er Jahre galt Eduard Strelzow als aufstrebender Stern am sowjetischen Fußballhimmel. Tausende jubelten dem Naturtalent mit dem jugendlichen Lächeln und der opulenten Schmalztolle zu. Bei der kommenden Fußballweltmeisterschaft 1958 in Schweden ruhten alle Hoffnungen auf Strelzow. Doch das Flugzeug nach Skandinavien sollte der Kicker nie besteigen. Nur zwei Wochen vor dem Abflug kam die kometenhafte Karriere des Naturtalents zu einem jähen Ende: Der Ballkünstler wurde festgenommen und zu einer drakonischen Strafe von zwölf Jahren Gulag verurteilt.

Aufsteiger aus einfachsten Verhältnissen

Rund ein halbes Jahrhundert nach den dramatischen Ereignissen läuft in Russland der Kinofilm „Strelzow“ von Regisseur Ilja Utschitel an. Das vom Schicksal des legendären Stürmers inspirierte Biopic ist eine Art Rehabilitation Strelzows, dessen Verurteilung wegen der Vergewaltigung einer 20-Jährigen bis heute umstritten ist. Viele russische Fußballfans halten den Fall für inszeniert und glauben, Strelzow sei Opfer einer Intrige geworden.

Tatsächlich waren die sowjetischen Tugendwächter auf den äußerst populären Kicker nicht sonderlich gut zu sprechen. Strelzow entsprach nicht gerade den Vorstellungen eines enthaltsamen Erbauers des Kommunismus. Der Aufsteiger aus einfachsten Verhältnissen liebte den Luxus, teure Geschenke sowie maßgeschneiderte Anzüge und ließ sich in einer prunkvollen schwarzen SIL-Limousine von Spielen abholen, während seine Mannschaftskameraden mit dem Bus vorliebnehmen mussten.

Was für die Sittenwächter der Partei aber noch schwerer wog: Der Leistungssportler rauchte und trank exzessiv und zettelte immer wieder Prügeleien an. Einem Milizionär, der dem betrunkenen Star den Zutritt zur Metro verweigerte, schlug er mit dem Spielerausweis ins Gesicht.

Mit Schmalztolle am Spielfeldrand: Eduard Strelzow in jungen Jahren. (Foto: sportslive.ru)

Der tiefe Fall

Im November 1957 verpasste Strelzow nach einer durchzechten Nacht den Zug, der ihn zu einem wichtigen Auswahlspiel in der DDR bringen sollte. Der verkaterte Star raste der Bahn in einem Taxi hinterher, der Zugführer musste im Moskauer Vorort Moschaisk warten. Den Ideologen passten solche Eskapaden gar nicht. Anfang 1958 verurteilte die „Komsomolskaja Prawda“ den Starrummel um Strelzow in einem großen Artikel aufs Schärfste.

Als der Spieler einige Monate später mit zerkratztem Gesicht und frischen Bisspuren an einem Finger beim Training auftauchte, geriet er endgültig in Schwierigkeiten. Am Abend zuvor hatte er mit Fußballkollegen, vier jungen Frauen und viel Alkohol auf einer Datscha ausgelassen gefeiert. Die rauschende Party gipfelte in einer Tragödie: Im Rausch soll Strelzow eine junge Frau vergewaltigt haben. Das Opfer zeigte ihn am nächsten Morgen an. Der Fußballstar wurde umgehend verhaftet.

Geheimprozess mit hartem Urteil

Die Nachricht vom tiefen Fall des Nationalspielers drang bis zu Parteichef Nikita Chruschtschow vor. „Den Schurken einbuchten“, soll der empörte Kremlherr gefordert haben, „Und zwar für lange Zeit!“ Das tat das Gericht dann auch. In einem geschlossenen Blitzprozess im Juli 1958 wurde Strelzow zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt. Der Legende nach soll er zuvor unter Druck ein falsches Tatgeständnis unterzeichnet haben. Dafür sei ihm angeblich die Teilnahme an der WM in Aussicht gestellt worden.

Das Urteil galt selbst nach sowjetischen Verhältnissen als äußerst hart und gibt bis heute viel Raum für Spekulationen. So argumentieren einige Strelzow-Fans, die sowjetische Kulturministerin Jekaterina Furzewa hätte sich an ihrem Idol rächen wollen. Die einflussreiche Politikerin habe nicht verwunden, dass Strelzow eine Bekanntschaft mit ihrer Tochter grob ausschlug. Andere vermuten den KGB hinter dem Fall. Der Geheimdienst habe verhindern wollen, dass der sowjetische Star in den Westen überlief.

Die Zeit im Lager war für den gefallenen Star äußerst hart. Kurz nach dem Haftantritt wurde Strelzow von kriminellen Mithäftlingen fast zu Tode geprügelt und lag vier Monate auf der Krankenstation. Anschließend schuftete er in einer Quarz-Mine und als Holzfäller. Im Februar 1963 wurde er vorzeitig entlassen – insgesamt saß Strelzow vier Jahre und acht Monate ab.

Eine Heraufforderung für seine Gegner: Eduard Strelzow im Angriff (Foto: football-pitch.ru)

Breschnew gibt grünes Licht

Die ersehnte Rückkehr in den Profifußball wurde dem verbitterten 26-Jährigen jedoch zunächst verwehrt: Der sowjetische Fußballverband hatte ihn lebenslang gesperrt. Nur für die Werksmannschaft seines Arbeitgebers, der SIL-Autowerke, durfte er kicken. Dies änderte sich erst, als Leonid Breschnew an die Macht kam. „Wenn ein Schlosser seine Zeit abgesessen hat, kann er als Schlosser arbeiten. Warum darf ein Fußballspieler dann nicht Fußball spielen?“, soll der Generalsekretär 1965 gesagt haben.

Obwohl Strelzow zu seiner früheren Wendigkeit nie zurückfand, feierte er nun die größten Erfolge seiner Karriere. So gewann der sowjetische Pelé 1965 mit Torpedo die sowjetische Meisterschaft und drei Jahre später den sowjetischen Pokal. Zudem wurde Strelzow 1967 und 1968 zweimal infolge zum Fußballer der Sowjetunion gewählt. 1997 wurde das Stadion von Torpedo Moskau nach ihm benannt und später eine Strelzow-Statue vor dem Nationalstadion eingeweiht.

Birger Schütz

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