Bei Spartak haben sich jetzt alle lieb

Domenico Tedesco hat mit Spartak Moskau viele Höhen und Tiefen erlebt. Seit Herbst 2019 ist der deutsche Trainer beim Traditionsklub tätig, schien zwischenzeitlich gescheitert. Nun, kurz vor seinem Abschied, ist er so beliebt wie noch nie. Nur ein Punkt trennt ihn vom Heldenstatus.

Andreas Hinkel, Domenico Tedesco, Max Urwantschky (von links nach rechts) im Spartak-Stadion: Tedesco war am Mikro so emotional wie immer. (Foto: Spartak Moskau)

Er hat fleißig Russisch gelernt in diesen anderthalb Jahren, das bewies Domenico Tedesco bei seinem letzten Auftritt im eigenen Stadion. Dass er es in Zukunft brauchen wird, ist zu bezweifeln. Denn Tedesco hat schon vor Monaten angekündigt, den Klub zum Saison­ende trotz noch bis 2022 laufendem Vertrag zu verlassen. Als Grund dafür wurden familiären Belastungen durch Reisebeschränkungen in der Pandemie genannt. Manche Beobachter gehen aber vielmehr davon aus, dass der Deutsch-Italiener in der neuen Saison wieder einen Verein in Deutschland trainiert, nach Erzgebirge Aue (2017) und Schalke 04 (2017-2019). Als sicher darf wohl gelten, dass sein Engagement in Russland von Anfang an nicht langfristig angelegt war und vor allem dazu dienen sollten, sich weiter zu profilieren und wieder für einen Trainerjob im Westen zu empfehlen  

„Ich liebe Spartak für immer“

Nun also, nach einem 2:1-Arbeitssieg von Spartak gegen den Vorortklub Chimki, hielt der immer noch erst 35-Jährige in der heimischen Otkrytije Bank Arena eine kleine Abschiedsrede – auf Russisch. „Guten Abend, Leute. Danke für alles, Leute. Ich liebe Spartak für immer. Ich liebe diese Mannschaft. Ich liebe Andreas und Max. Ich werde euch vermissen.“

Mit Andreas und Max waren seine Assistenten Hinkel und Urwantschky gemeint, die ebenfalls nach Deutschland zurückkehren. Oben auf den Rängen wurde kräftig applaudiert, auch die Spieler unten auf dem Rasen klatschten und standen Spalier. Sie trugen dabei T-Shirts mit dem Konterfei des Trainers und einem Zitat von ihm: „Die Fans von Spartak sind leidenschaftlich und emotional – das gefällt mir sehr.“

Höchstleistung am Spielfeldrand

Tedesco hat Spartak, den neben Liga-Krösus Zenit St. Petersburg populärsten Klub in Russland, im Oktober 2019 auf Platz 9 übernommen und in seiner ersten Saison noch auf Rang 7 geführt, ein eher bescheidener Fortschritt. Auch in der laufenden Saison wechselten sich Licht und Schatten regelmäßig ab, viele Experimente mit Aufstellung und System brachten keinen durchschlagenden Erfolg. Doch am Ende mit seinem Latein schien der Trainer nie, auf Tiefschläge fand er immer wieder Antworten, impfte seiner Mannschaft Überzeugung ein und gab selbst am Spielfeldrand alles.

Die Spartak-Mannschaft nach dem letzten Heimspiel in T-Shirts mit Tedesco-Motiv (Foto: Spartak Moskau)

Den Fans imponierte Tedesco schon allein dadurch, dass er den Eindruck vermittelte, sich tatsächlich mit seiner Mission, Spartak wieder ganz vorn in der Tabelle zu etablieren, zu identifizieren. „Leidenschaftlich und emotional“, das ließe sich auch über ihn sagen. Dass er sich einige Male zu viel mit den Schiedsrichtern anlegte und auf die Tribüne musste, war aus Fansicht die verzeihlichste aller Sünden.

Happy End anders als bei Emery & Co.

Obwohl also längst nicht alles glatt lief und der eine oder andere Experte Tedesco noch vor wenigen Wochen einen eher unrühmlichen Abgang prophezeite, ist Spartak vor dem letzten Spieltag Zweiter (hinter dem bereits uneinholbaren Tabellenführer Zenit). Erstmals seit dem Meistertitel 2017 wird der Klub die Saison auf jeden Fall unter den ersten Drei abschließen. Anders als ausländische Vorgänger wie etwa Unai Emery (FC Valencia, FC Sevilla, Paris Saint-Germain, Arsenal London, aktuell mit dem FC Villarreal im Finale der Europa League), der 2012 schon nach wenigen Monaten wieder gehen musste, hat sich Tedesco bei Spartak durchgebissen.

Der erste deutsche Trainer des Klubs hat sogar den ersten deutschen Generaldirektor Tomas Zorn, der ihn nach Moskau holte, aber im Sommer 2020 gefeuert wurde, überlebt. Er pflegt ein gutes Verhältnis zu Klubbesitzer Leonid Fedun und hat jüngst trotz überschaubarer Leistung das Moskauer Derby gegen Erzrivale ZSKA gewonnen – für die Fans längst nicht nur drei Punkte in der Tabelle. An die Sympathiewerte des italienischen Meistertrainers von 2017, Massimo Carrera, kommt er wohl kaum heran. Doch wenn Spartak beim Auswärtsspiel im tschetschenischen Grosnyj am 16. Mai seinen zweiten Platz verteidigt und sich damit für die Champions League qualifiziert, wofür schon ein Unentschieden garantiert reicht, dürfte Tedesco wohl endgültig einen Heldenstatus sicher haben.

Tino Künzel

UPD: Spartak Moskau hat bei Achmat Grosnyj einen 0:2-Rückstand in der ersten Halbzeit aufgeholt und sich mit zwei Toren in der zweiten Hälfte den nötigen Punkt gesichert, um Zweiter zu bleiben. Damit nimmt der Klub an der Qualifikationsrunde zur kommenden Champions-League-Saison teil. Der Tabellendritte und Pokalsieger Lokomotive Moskau spielt in der Europe League. Rubin Kasan und der FC Sotschi sind bei der neuen Conference League dabei. Meister Zenit St. Petersburg startet in der Gruppenphase der Champions League.

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