Auf gotischen Spuren

Wenn es um gotische Architektur geht, denkt man an Westeuropa. Gotik und Neogotik sind keine typischen Stile russischer Städte. Und trotzdem gibt es sie in fast jeder Region Russlands, die meisten im Moskauer Gebiet. Ein junger Moskauer Journalist bietet Führungungen an.

Prachtvolle Gotik: Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis / Artjom Neuer (Артем Нойер)

Ein Beispiel, vielleicht eine Perle der Neugotik befindet sich auf der Nikolskaja Straße: der Komplex der Synodaldruckerei. Im 17. Jahrhundert errichtet, nannte man dieses architektonische Ensemble „gotisch“ – fälschlicherweise. Die Gotik als war bereits ein Wahrzeichen des Altertums geworden. 1812, während der Besetzung Moskaus durch Napoleons Truppen , fiel die Synodaldruckerei einem Feuer zum Opfer. 1814 wurde sie nach Plänen des russischen Architekten Iwan Mironowskij im phantastischen und modischen Stil der sogenannten Pseudogotik wiedererrichtet – mit traditionellen Florealornamenten und spitz auslaufenden Türmchen, den Pinakeln. An der Fassade des Gebäudes sind zwei Schilder angebracht: Eines erzählt von der Geschichte des Buchdrucks im Moskauer Druckhaus, das sich früher hier befand. Das zweite erinnert an die Zeit des Aufbaus der Synodaldruckerei nach dem Brand. Statt des russischen Doppeladlers weist das Staatswappen der Sowjetunion auf die groß angelegte Umgestaltung Stalins in den 30er Jahren hin. Nachdem sich an diesem Ort die erste russische Druckerei befand, zog mit der Revolution die Zentrale Archivbehörde ein. Heute gehört der Bau zur Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität (RGGU).

Am Ende der Nikolskaja Straße in Kitai-Gorod steht die Apotheke von Wladimir Karlowitsch Ferrein. Das 1893 rekonstruierte Gebäude trägt Merkmale der Gotik-Imitation sowie des modernen Eklektika-Stils. Von der einen Seite gleicht die Apotheke einem Meisterstück des Neobarocks: Hohe Säulen umrahmen große Fenster, die von vier Statuen der Göttin Hygeía, Schutzheilige der Apotheker, gekrönt sind. Von der anderen Seite ähnelt das Apothekerhaus einem mittelalterlichen Schloss mit Uhrenturm. Die Apotheke von Ferrein war einst die größte in ganz Europa. Man nannte sie auch „Zarenapotheke“. Sie überdauerte die Sowjetzeit, ebenso die 90er Jahre und funktionierte bis in die 2000er Jahre wirklich noch als Apotheke.

Gotik-Experte Artjom Neuer / Gotik in Russland

Derartige Beispielgeschichten über gotische Architektur in Moskau und über die Stadtgrenzen hinwegkönnen Besucher bei Führungen des Projekts „Gotik in Russland“ kennenlernen. Das Projekt existiert seit Ende 2014 und befasst sich mit unterschiedlichsten gotischen und neo-gotischen Bauwerken: Paläste, Höfe, Schlösser, Wassertürme, Kirchen, reiche und weniger reiche Wohnhäuser. Projektgründer Artjom Neuer, Journalist und Mitglied der Assoziation der freien Reiseleiter, hat bereits fünf Routen „Auf gotischen Spuren in Moskau“ erarbeitet: „Der rote Faden durchs Zentrum“, „Ritter der Fortuna“, „Kauftempel“, „Von der Geburtsklinik bis zur Fabrik“ und „Der protestantische Weg“. Im letzten Jahr organisierte Neuer Führungen in Wladiwostok. Für Mai 2016 steht eine Exkursionsreihe in Kaliningrad unter dem Titel „Preußens Erbe“ auf dem Programm.Kontakt und Reservierungen:

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Anna Braschnikowa

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