Assureti: Wie das Fachwerkhaus nach Georgien kam

Unter Katharina der Großen siedelten sich Tausende Deutsche an der Wolga an. Unter ihrem Enkel Alexander I. entstanden viele deutsche Dörfer im Kaukasus. Auch Assureti unweit der georgischen Hauptstadt Tbilissi wurde einst von schwäbischen Einwanderern gegründet. Fremdenführerin Jewgenija Kibanowa hat sich auf ihre Spuren begeben.

Deutsche Kirche, deutsches Fachwerkhaus: In Assureti passt das alles auf ein Bild. (Foto: Anna Djatlowa, Irina Pronitschewa)

Zwischen der Schwabenstraße und Schwaben liegen rund 3000 Kilometer. Doch Fachwerkhäuser, eine evangelisch-lutherische Kirche und bergiges Grün ringsum gibt es auch in Assureti, das einst Elisabethtal hieß. 1818 erreichten Dutzende deutsche Auswandererfamilien die Gegend und bauten sich hier eine neue Heimat auf. Der Vorort von Georgiens Hauptstadt Tbilissi hat noch heute eine einzigartige Architektur in malerischer Landschaft zu bieten. Nur von der deutschen Bevölkerung ist nichts mehr übrig. Sie wurde 1941 auf Befehl Moskaus nach Sibirien und Kasachstan deportiert und kehrte nie zurück.

Es war einmal ein deutsches Dorf

Die Schwabenstraße von Assureti trägt erst seit 2017 ihren heutigen Namen. Früher war sie nach Stalin benannt. Doch in jüngerer Vergangenheit wird so einiges unternommen, um die deutsche Geschichte des Ortes – und die anderer ehemals deutscher Dörfer – wieder stärker zu akzentuieren.

Bei einer Führung durch Assureti geht auch Jewgenija Kibanowa darauf ausführlich ein. Die gelernte Deutschlehrerin ist vor einem Jahr aus Russland nach Georgien gezogen, seitdem hat sie sich nebenberuflich zur Fremdenführerin ausbilden lassen und unlängst ihr Diplom erhalten.

Wer mit der 30-Jährigen, die in Tbilissi lebt, über das Pflaster der Schwabenstraße läuft, der sieht links und rechts einige traditionelle Fachwerkhäuser, wie man sie seit dem Mittelalter aus Deutschland kennt. Im Kaukasus sind diese wohl deutschesten aller Häuser ein exotischer Anblick.

Die Kirche als Fixpunkt

Ebenfalls auf der Schwabenstraße befindet sich ein weiteres Zeugnis deutschen Lebens in Assureti. Die hübsch restaurierte Kirche ist mehr als 150 Jahre alt. Nicht nur, dass sie in der Ortsmitte gebaut wurde, sie war auch der gesellschaftliche Mittelpunkt des Dorfes. „Hier hat man geheiratet, gelernt, Feste gefeiert und Trauerfeiern abgehalten“, sagt Jewgenija Kibanowa. Doch nun, wo die Deutschen weg sind und Assureti fast ausschließlich von Georgiern bewohnt wird, herrscht in den Kirchenmauern meist Stille. An die Siedler von damals erinnert stattdessen eine Fotoausstellung. Auf den Bildern aus Sowjetzeiten – als die Kirche zum Dorfklub umfunktioniert wurde – sind Kolchosbauern, Arbeiter und Sporttreibende zu sehen.

Vor dem deutsch-sowjetischen Krieg gab es in Assureti ein Kino, einen Park und ein Kinderorchester. Nachdem die Deutschen kurz nach Kriegsausbruch verbannt worden waren, bezogen Menschen aus der weiter nördlich gelegenen Region Ratscha ihre Häuser.  

Deutsches Erbe im georgischen Stil

Die Einheimischen bewahren das deutsche Erbe, wenn auch auf ihre Art. Fachwerkhäuser wurden den hiesigen Lebensgewohnheiten angepasst und mit Holzbalkons nach dem Vorbild von Tblissi ausgerüstet. Man besucht die deutsche Kirche, betet jedoch zu orthodoxen Ikonen. Zu Ostern wird der Gründerväter des Ortes auf dem alten protestantischen Friedhof gedacht. Dort wachsen Eiben und Zypressen. Die Grabsteine im gotischen Stil dazwischen erinnern in ihrer Form bis heute daran, welchen Beruf der Verstorbene zu Lebzeiten ausübte.

Die Schwabenstraße ist auch auf Deutsch beschildert. (Foto: Anna Djatlowa, Irina Pronitschewa)

Natürlich knüpft auch der Biergarten „Bahnhof Station“ an die deutschen Einflüsse an. Auf der Speisekarte stehen Schweinshaxe, Bratkartoffeln, Wurstplatte und Schwäbische Pfanne. Dazu gibt es Bier vom Fass.

Der religiöse Hintergrund

Aber wie hat es Deutsche im frühen 19. Jahrhundert überhaupt in diese Gegend verschlagen? Europa stand damals im Zeichen der Napoleonischen Kriege und ihrer Folgen. Hunger und Armut waren weit verbreitet, aber nicht der entscheidende Grund, warum sich Hunderte Familien zu einem solch radikalen Schritt wie dem Umzug ins russische Reich entschlossen. Die wichtigste Rolle habe in diesem speziellen Fall die Religion gespielt, erklärt Jewgenija Kibanowa.

Bei den Schwaben aus Württemberg, die sich in den Südkaukasus aufmachten, wohin Russland kurz zuvor seine Grenzen ausgedehnt hatte, handelte es sich um Pietisten. Die Anhänger einer protestantischen Reformbewegung „glaubten an die Wiederkehr von Jesus Christus und an den Weltuntergang, dem sie am Fuße des heiligen Berges Ararat begegnen sollten“, so Kibanowa. Deshalb habe dieser Teil des russischen Imperiums für sie als Land der Verheißung gegolten.

Bis zum Ararat im heutigen Grenzgebiet von Georgiens Nachbarländern Türkei und Armenien führte sie der Weg dann aber doch nicht. Von Assureti sind es bis dorthin noch 200 Kilometer. Auf dem jetzigen Staatsgebiet von Georgien gründeten die schwäbischen Neuankömmlinge um die 20 Siedlungen. Vor ihrer Deportation 1941 wurden in der georgischen Sowjetrepublik mehr als 20.000 Kaukasiendeutsche gezählt. Auch Armenien und Aserbaidschan hatten ihre deutsche Minderheit.

Zur Weinprobe bei Manfred

Die Einwanderer hätten viel für den Südkaukasus getan, sagt Kibanowa. „Unter ihnen waren Ärzte, Apotheker, Wissenschaftler, Schriftsteller, Architekten. Ein Buch reicht nicht aus, um ihren Verdiensten gerecht zu werden.“ Allein in Tbilissi trügen das Observatorium, das Opernhaus und der Botanische Garten die Handschrift von Deutschen. In Elisabethtal, dem späteren Assureti, hätten sich wiederum Landwirte niedergelassen, die ihr Handwerk verstanden. Sie bauten Kartoffeln und Obst an. Auch mit Wein, in Georgien geradezu ein nationales Heiligtum, kannten sie sich bestens aus. Nicht umsonst sind die Fachwerkhäuser von Assureti unterkellert.

Auch Manfred Tichonow nennt so einen Weinkeller sein eigen. Er ist heute der einzige Deutsche im Ort, aber kein Nachfahre der einstigen Bewohner, sondern der Sohn eines Sowjetsoldaten und einer Deutschen aus Berlin. Vor 20 Jahren entschied er sich, seinen Alterswohnsitz nach Assureti zu verlegen. Tichonows Wein ist rot und herb. Die Sorte heißt von alters her Schala, der Name geht auf Otto Schalm zurück, jenen deutschen Bauern, der sie einst neu entdeckte. Tichonow lässt Ortsfremde gern bei sich verweilen, serviert ihnen Wein oder Kräutertee. Dabei schweift der Blick über den Garten, wo Granatäpfel und Aprikosen wachsen, Hunde und Gänse gehalten werden. So muss es auch vor 200 Jahren gewesen sein.

Tino Künzel, Jewgenija Kibanowa

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