Alinas Reise in die Familiengeschichte: Wie eine junge Frau zur Ahnenforscherin wurde

Vor zehn Jahren hat die Russlanddeutsche Alina Galkowa am Wettbewerb „Freunde der deutschen Sprache“ teilgenommen. Damit begann für sie eine Reise in die bewegte Geschichte ihrer Familie zwischen Deutschland und Russland. Heute lebt sie in Dresden.

Alina Galkowa mit ihren Eltern in Dresden © Privat

Am 31. Oktober fand zum siebten Mal die Preisverleihung des allrussischen Wettbewerbs „Freunde der deutschen Sprache“ statt. In neun Kategorien wurden Arbeiten zu Themen wie „Das reiche Erbe Katharinas der Großen“ oder „100 Jahre Wolgarepublik“ von Deutschlernern aus ganz Russland ausgezeichnet. Die MDZ wirft einen Blick zurück auf eine der Gewinnerinnen des ersten Wettbewerbs im Jahr 2009. Der war für sie der Auftakt zu einer langen Reise, die
sie am Ende nach Deutschland geführt hat.

Als die kleine Alina Galkowa vor der Entscheidung stand, welche Fremdsprache sie lernen sollte, da war für sie sofort klar, dass es Deutsch sein würde. Sie lebte damals in einem Dorf in der Region Stawropol in Südrussland. Sie wusste, dass ihre Vorfahren einst aus Deutschland nach Russland gekommen waren, doch wurde in der Familie nicht viel darüber gesprochen. In der siebten Klasse hatte ihre Schule plötzlich keine Deutschlehrerin mehr, doch Alina ließ sich von ihrer Vorliebe für die Sprache ihrer Ahnen nicht abbringen – fortan besuchte sie die Schule in einem drei Kilometer entfernten Nachbardorf.

Im Jahr 2009 erfuhr sie vom Wettbewerb „Freunde der deutschen Sprache“ und sie war begeistert. Sie nahm gleich in drei Kategorien teil. Gewonnen hat sie in der Kategorie „Meine Familie – mein Reichtum“. Der Preis war eine Austauschreise nach Deutschland. Später sagte sie, dass dieser Gewinn sie dazu veranlasst hat, sich erst so richtig mit der Geschichte ihrer Vorfahren zu beschäftigen. Und das tat sie fortan mit allem Eifer.

Von ihrer deutschen Urgroßmutter Olga Schäfer hatte sie erfahren, dass ihre Vorfahren im Jahr 1875 nach Russland gekommen waren. Das war der Anfang einer langen und spannenden Forschungsreise durch Archive in verschiedenen Ländern. Unterstützt wurde sie dabei stets von ihrer Mutter.

Genealogische Hilfe aus Kasachstan

Sie schaltete eine Suchanzeige auf dem Internetportal Rus- Deutsch, der Plattform für Russlanddeutsche. Und da erhielt sie eine Nachricht von Albert Rau, dem Vorsitzenden der Vereinigung der Deutschen Kasachstans, „Wiedergeburt“. Rau ist nicht nur ein verdienter Ahnenforscher, es stellte sich heraus, dass Alinas Familie mit seiner verwandt ist.

Mithilfe seines genealogischen Buchs „Die Geschichte meiner Familie 1533–2014“ konnte Alina einige Lücken in ihrem Stammbaum schließen. Im Staatlichen Archiv der Region Krasnodar kam zunächst zutage, dass die Ahnen seinerzeit auf Einladung von Katharina II. in die deutsche Kolonie Eigenfeld-Wannowskoje bei Krasnodar gekommen waren. Doch sie kamen nicht direkt aus Deutschland, sondern hatten vorher in Bessarabien in der heutigen Republik Moldau gelebt.

Die nächsten Stationen waren das Nationalarchiv in Chișinău, das Russische Staatliche Historische Archiv in St. Petersburg sowie das Geburts- und Taufregister der deutschen Siedler in der Stadtverwaltung Armawir in Südrussland. Bald stellte sich heraus, dass Alinas Vorfahren – wie viele seinerzeit – in den 1830er-Jahren aus Süddeutschland nach Bessarabien ausgewandert waren. Sie stammten aus dem Dorf Hanweiler in der Nähe von Winnenden im damaligen Königreich Württemberg, nicht weit von Stuttgart.

Eine Verwandte Friedrich Schillers

Es gab dort seinerzeit mehrere große Auswanderungswellen, einerseits war es immer wieder zu Hungersnöten gekommen, andererseits wanderten viele aus religiösen Gründen aus. Meist waren es strenggläubige Pietisten, die sich mit der protestantischen Landeskirche überwarfen. Neben Amerika war Bessarabien eines der Hauptziele der damaligen
Auswanderer.

Hilfreich war auch der Bessarabiendeutsche Verein in Stuttgart, der zahlreiche Dokumente über Auswanderer aus Württemberg verwahrt und Ahnenforscher bei ihren Recherchen unterstützt. Der entfernteste Vorfahre, den Alina schließlich fand, hieß Hans „Mathae“ Schiller (1533–1591). Doch die interessanteste Entdeckung, so Alina, war der erste direkte Vorfahre, der einst nach Bessarabien ausgewandert war. Er hieß Gottlieb Schäfer und war der Cousin fünften Grades des berühmten Dichters Friedrich Schiller!

Warum er einst seine württembergische Heimat verlassen hat, das wissen wir nicht. War es wirtschaftliche Not? Die Hoffnung auf ein besseres Leben? Hatte er religiöse Überzeugungen, die ihn mit der württembergischen Landeskirche hadern ließen?

Alina studiert jetzt in Dresden

Wie er einst aufbrach, um im Osten Europas ein neues Leben aufzubauen, ist Alina mit ihren Eltern nun aus Russland nach Deutschland gezogen. Seit über einem Jahr lebt die Familie in Dresden. Sie fühlt sich dort wohl. „Meine Freunde sehen mich aufgrund meiner deutschen Wurzeln als eine von ihnen an. Es mag komisch klingen, aber das verkürzt die Distanz zwischen uns, auch wenn ich die Sprache noch nicht perfekt beherrsche.

Ich fühle mich als Teil der Gesellschaft, meine Werte und Prinzipien passen zu Deutschland.“ Alina hat sich einen Traum erfüllt und ist jetzt frisch immatrikuliert an der TU Dresden, wo sie einen Master in Wirtschaftswissenschaften macht. Ihre Zukunftspläne? „Ich würde gerne in einem internationalen Unternehmen arbeiten, das finde ich sehr interessant. Ich denke, der interkulturelle Bereich ist etwas für mich, da ich sowohl russische als auch deutsche kulturelle Besonderheiten kenne.“

Alinas Beispiel zeigt, welche Bereicherung ein Leben zwischen den Kulturen sein kann. Man darf gespannt sein, was die Teilnehmer des diesjährigen Wettbewerbs alles für sich mitnehmen. Alinas Fazit: „Für mich ist es ein Wettbewerb, bei dem niemand verliert, sondern nur gewinnt: neue Kenntnisse über die Vorfahren, neue Freunde und viele Eindrücke!“

Jiří Hönes

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