Die ersten Jahre im Neujungfrauenkloster
Es war im Jahr 1924. Damals wohnte meine Großmutter Sinaida Alexandrowna in der Meschtschanskaja-Straße. Es war dort sehr turbulent. Ständig passierte etwas. Und sie beschloss, von all dem wegzuziehen. Warum in das Neujungfrauenkloster? Meine Großmutter war Damenschneiderin, sie verdiente gutes Geld und unterstützte mehrere Jahre lang die Nonnen des Klosters. Nach seiner Schließung gingen die Nonnen in das Kloster St. Andreas auf den Sperlingsbergen. Und wir ließen uns im Neujungfrauenkloster nieder. Meine Großmutter hat Soutanen genäht.
Kindheit innerhalb der Klostermauern
Ich wurde 1940 geboren, meine Entbindungsklinik befand sich in der Pirogowskaja-Straße, ganz in der Nähe des Klosters. In der weißen Kathedrale fanden keine Gottesdienste statt, wohl aber in der roten. Ich bin dort getauft worden. Und meine beiden Töchter sind im Kloster aufgewachsen. Die Kinder haben dort gut gelebt. Es gab einen Sandkasten, sie spielten Verstecken, verbargen sich auf den Klostermauern, kletterten auf die Türme und den Glockenturm. Es gab Freiheit, aber gleichzeitig wurden die Kinder beaufsichtigt. Wenn jemand das Tor verlassen wollte, kam die Wächterin Tante Fenja heraus und sagte streng: „Wo willst du hin? Komm sofort nach Hause! Ich lasse dich nicht hinaus in die Welt!“
Aber wir kommunizierten mit der Außenwelt. Wir gingen in die Schule Nummer 45. Neben dem Kloster gab es eine Roma-Siedlung hinter einem hohen Zaun. Es waren Baracken mit einem großen Korridor und kleinen Zimmern. Die Kinder aus der Siedlung kamen zu uns ins Kloster.
Kunstschaffende und Fabrikarbeiter im Neujungfrauenkloster
Unsere Nachbarn waren sehr unterschiedlich. Maria und Pjotr Baranowski wohnten in unserem sechsten Block. Er war Architekt und Restaurator. Er beschäftigte sich lange mit Kolomenskoje, gründete dort das Museum. Außerdem restaurierte er das Andronikow-Kloster, die Krutizy-Kirchen in Moskau und vieles mehr. Baranowskis wohnten in der Wohnung neben unserer. Sie hatten nur einen anderen Eingang mit einer Holzterrasse und einer Veranda.
Am anderen Ende des Klosters, im Eckturm in der Nähe des Teiches, lebte Wassili Scheremetjew. Er war nicht nur ein Nachkomme der Grafen Scheremetjew, sondern auch ein Künstler. Zusammen mit Baranowski war er mit der Restaurierung des Klosters beschäftigt.
Aber im Neujungfrauenkloster lebten auch ganz gewöhnliche Leute. Über uns wohnte Boris Barykow. Er arbeitete in der Chemiefabrik, die sich dort befand, wo heute das Luschniki-Stadion ist.
Milch kann warten
Es war 1965. Ich ging morgens zum Laden, um Milch und andere Lebensmittel zu besorgen. Gerade als ich die Tore des Klosters verließ, fuhr ein schickes Auto vor. Eine Limousine. Es stiegen grauhaarige, respektable Männer aus und stellten Filmkameras auf Stative. Kurz darauf hielt ein weiteres Auto an. Ich erkannte die sehr große Frau in einem Manteau und einem breitkrempigem Hut sofort. Es war Sophia Loren. Umwerfend schön. Die Milch konnte sicher warten. Ich hielt am Klostertor an und beobachtete sie. Sie kam heraus und stellte sich für zwei Sekunden in Pose. Diese prähistorischen Filmkameras nahmen alles auf, und sie stieg in diesen offenen Wagen und fuhr zum anderen Ende des Klosters, wo sich der Eingang zum Friedhof befindet. Eigentlich war ihr Hauptziel das Grab von Tschechow.
Aus dem Neujungfrauenkloster nach Tschertanowo
Meine Großeltern lebten mit ihren beiden Kindern im Kloster. Sie hatten fünf Töchter, aber drei von ihnen heirateten und zogen weg. Meine Mutter heiratete meinen Vater, der ein acht Quadratmeter großes Zimmer in einer Kommunalka (Gemeinschaftswohnung) im Bezirk Samoskworetschje auf der Malaja Ordynka hatte. Ich mochte die Ordynka nicht. Es war sehr beengt. Ich verbrachte meine ganze Zeit im Haus meiner Großmutter im Neujungfrauenkloster. Das ging bis 1970 so weiter. Zu diesem Zeitpunkt waren meine Großeltern, die eine Wohnung im Kloster erhalten hatten, gestorben. Und das Kloster wurde allmählich von den Mietern geräumt. Wir hatten bereits eine Unterkunft in Moskau. Ich zog mit meinem Mann und meinen Töchtern in eine Kommunalka in der Pjatnizkaja-Straße, aber schon bald zogen wir in den damals noch im Bau befindlichen Stadtteil Tschertanowo am Stadtrand. So endeten meine 30 Jahre im Neujungfrauenkloster.
Aufgeschrieben von Igor Beresin
Napoleon und den Bolschewiken zum Trotz
Das Neujungfrauenkloster war schon immer etwas Besonderes. Drinnen und in seiner Nähe gab es immer Menschen, die im ganzen Land bekannt waren. Das Kloster wurde 1524 vom Großfürsten von Moskau Wassili III. gegründet. Er feierte damit die Eroberung der Stadt Smolensk, die zuvor unter der Herrschaft des litauischen Fürstentums gestanden hatte. Es ist kein Zufall, dass es nicht weit von der Smolensker Straße in der Biegung des Moskauer Flusses liegt. Das Kloster wurde ursprünglich als königliches Hofkloster gegründet. Es beherbergte Verwandte von Iwan dem Schrecklichen, Zar Boris Godunow, der älteren Schwester von Peter dem Großen und dessen erster Frau.
Polen und Napoleon
Das Neujungfrauenkloster stand im Mittelpunkt vieler Kriege, die der russische Staat führte. Die Truppen des Krim-Khans Devlet Giray standen vor seinen Mauern. Vor dem Kloster auf dem Jungfrauenfeld fand 1612 eine Schlacht zwischen der Miliz des Fürsten Poscharski und der polnisch-litauischen Armee statt. Und 1812, 200 Jahre später, wurde das Kloster von 2000 französischen Soldaten unter dem Kommando von Napoleons Marschall General Davout besetzt.
Am 25. September besuchte Napoleon das Kloster und ordnete an, alle Räumlichkeiten als Proviantlager zu nutzen und gab außerdem den Befehl, die außerhalb der Klostermauern gelegene Kirche St. Johannes des Täufers zu sprengen. Diese Kirche war die einzige Kirche in Moskau, die auf Befehl Napoleons gesprengt wurde. Vor ihrem Rückzug versuchten die Franzosen, die Hauptkirche des Neujungfrauenklosters, die Smolensker Kathedrale, in die Luft zu sprengen. Sie zündeten die Dochte der Schießpulverfässer an. Die Nonnen, die in die Kathedrale kamen, konnten jedoch das Gotteshaus vor der Explosion retten.
Ein Magnet für Touristen und Moskauer
Einheimische Feinde können jedoch nicht weniger gefährlich sein als äußere Feinde. Im Jahr 1922 schlossen die Bolschewiken das Kloster und ordneten an, es in ein Museum umzuwandeln. In diesem Zustand blieb es bis 2010, als das Neujungfrauenkloster der russisch-orthodoxen Kirche zur dauerhaften Nutzung zurückgegeben wurde. Der Wechsel des Eigentümers hat die Zahl der Touristen nicht verringert. Die Menschen wollen eine der berühmtesten Sehenswürdigkeiten Moskaus erleben. Und zwar nicht nur die Kathedralen und Klostermauern. Ein weiterer Anziehungspunkt ist der Neujungfrauen-Friedhof, auf dem berühmte Künstler, Politiker und andere Persönlichkeiten begraben sind. Seit der Sowjetzeit ist dieser Friedhof der renommierteste Ort für Beerdigungen. Nach der Kremlmauer, versteht sich.