Weltfestspiele: Friede, Freundschaft und ein bisschen Liebe

Wenn am 14. Oktober die 19. Weltfestspiele der Jugend und Studenten beginnen, werden Erinnerungen an Moskau im Jahr 1957 wach. Das internationale Jugendtreffen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Forum für eine friedliche Zukunft ins Leben gerufen. Es förderte aber auch zwischenmenschliche Kontakte.

Weltfestspiele

Gäste aus aller Welt feierten im Moskauer Luschniki-Stadion, das erst im Jahr zuvor eröffnet wurde. /Foto: RIA Nowosti

Im Sommer 1957 verwandelten 150 Künstler Moskau für zwei Wochen in eine Märchenwelt. Auf dem Gogolewskij-Boulevard traf man Helden der Weltliteratur wie Don Quijote und die drei Musketiere. Durch einen Regenbogen am Twerskoj-Boulevard traten Besucher in die Welt der Fantasiefiguren ein. Auf dem Lubjanka-Platz landete sogar ein fliegender Teppich.

Dazu erklang Musik aus aller Welt. Die Schaufenster der TwerskajaStraße, des „Broadway“ der Weltfestspiele, waren als Ausdruck der Völkerfreundschaft mit Töpferwaren, Schnitzereien und Stoffen der Teilnehmerländer geschmückt. Auf dem Manege-Platz schien für zwei Wochen rund um die Uhr die Sonne des Festivals, getragen von fünf Atlanten. Große Teile der Innenstadt waren nachts hell erleuchtet. Moskau sollte nicht schlafen, denn die Sowjetunion hatte die Jugend der Welt eingeladen, um die Weltfestspiele zu veranstalten. Sie waren als Propagandaspektakel geplant, boten aber auch eine der wenigen Chancen auf Austausch zwischen Ost und West in Zeiten des Kalten Krieges. Und sie sollten eine ganze Generation sowjetischer Jugendlicher prägen.

„Das Festival war ein Spektakel für das sowjetische Volk“

Die Organisatoren gaben sich sehr viel Mühe, die sechsten Weltfestspiele der Jugend und Studenten – und die ersten, die in der Sowjetunion stattfanden – zu einem außergewöhnlichen Ereignis zu machen. In den zwei Wochen des Festivals wurden insgesamt 17 Feste gefeiert. Dazu kamen jeden Tag über 70 Konzerte, Theateraufführungen und Ausstellungen. Die Moskauer konnten erleben, was ihnen über viele Jahre verwehrt war. In Scharen besuchten sie Jazzabende, zeitgenössische Theaterinszenierungen und sahen sich moderne Kunst an.

Unvergesslich wurde das Ereignis aber durch die Teilnehmer und die Moskauer selbst. Der Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez schrieb, dass „das Festival ein Spektakel für das sowjetische Volk wurde, welches 40 Jahre lang von der Außenwelt getrennt war“.

Weltfestspiele

Völkerverständigung in der Praxis: gemeinsamer Tanz am Abend /Foto: RIA Nowosti

Die Protagonisten dieses Spektakels waren die 10 000 Ausländer, welche die Stadt bevölkerten. Zur Eröffnungsparade strömten über eine Million Menschen auf die Straße, um die Gäste zu begrüßen und einen Blick auf die Unbekannten zu erhaschen. Um die Welt gingen Bilder fröhlicher junger Menschen, die musizierend auf offenen Lastwagen durch die Stadt fuhren. Aber auch von Moskauern, die offenbar ihren besten Anzug trugen und von diesem Anblick zu Tränen gerührt waren.

Viele Moskauer beließen es nicht bei einem Blick auf die Ausländer. Vor allem in den Nächten versammelten sich Einheimische und Gäste auf den Straßen und Plätzen, um gemeinsam zu feiern. Die Stimmung war geprägt von karnevalesker Freiheit und Unbekümmertheit. So erinnert sich die amerikanische Teilnehmerin Kim Chernin: „Tag und Nacht drängten die Menschen in Nationaltrachten auf die Boulevards, mit Instrumenten, Blumen und Geschenken. Die Russen warfen sich in dieses Festival, als wenn jeder Fremde ein Verwandter wäre, der heimkehrt. Sie versammelten sich um unsere Busse, zwangen sie zu stoppen. Sie stürzten an die Fenster, drückten unsere Hände ganz fest und riefen uns Mir i druschba, Frieden und Freundschaft zu.“

„Wir spüren eure Liebe“

Der Jazzmusiker Alexej Koslow schrieb in seinen Memoiren: „Das Festival rief bei den Moskauern den massenhaften Wunsch nach Gesprächen hervor, und das nicht nur mit den Ausländern, sondern auch untereinander.“ Dabei wurde über alles Mögliche diskutiert: Literatur, Malerei, Mode und Musik. Für viele Menschen war es das erste Mal in ihrem Leben, dass sie anderen ohne Angst ihre Meinung mitteilen konnten.

Die sowjetische Propaganda forderte die Menschen geradezu zum zwischenmenschlichen Kontakt, insbesondere mit den Ausländern, auf. In vielen Artikeln war die Rede von Liebe und liebevollen Kontakten. „Wir haben euch erwartet, wir sind glücklich“, „Wir spüren eure Liebe“, so lauteten Überschriften in der „Komsomolskaja Prawda“, die der offiziellen Losung „Frieden und Freundschaft“ gleich das Wort „Liebe“ hinzufügte.

Ausländische Gäste berichteten, wie sie sich in Moskau und seine Einwohner verliebt hätten. Ein beliebtes Fotomotiv waren Umarmungen und Küsse. Nicht wenige junge Menschen nahmen den Aufruf wörtlich und überwanden mit Körperkontakt den Eisernen Vorhang.

„Kuss kapitalistischer Lippen“

Der Schriftsteller Jewgeni Jewtuschenko erinnert sich, wie er mit dem Kuss „kapitalistischer Lippen“ gegen die Regeln des Kalten Krieges verstieß. Und Jewtuschenko war nicht allein. Überall auf den Straßen und in den Parks kam es zu ähnlichen Szenen. Besonders junge Frauen erlebten eine Art sexuelle Befreiung. Während es die Männer meist beim Küssen beließen, entledigten sich die Frauen der Fesseln sowjetisch-puritanischer Moral, wie sich Koslow erinnert.

Aus den sexuellen Kontakten entstand der Mythos der „Kinder des Festivals“. Angeblich wurden 1958 viele multiethnische Kinder geboren. Beweise dafür gibt es nicht. Zu „Kindern des Festivals“ wurde vielmehr die Generation, die den ersten friedlichen Kontakt mit der Außenwelt hatte.


Weltfestspiele 2017

Vom 14. bis zum 22. Oktober finden in Sotschi die 19. Weltfestspiele der Jugend und Studenten statt. Das Motto der Veranstaltung lautet: „Für Frieden, Solidarität und soziale Gerechtigkeit, wir kämpfen gegen den Imperialismus. Unsere Vergangenheit ehrend, errichten wir unsere Zukunft.“ Veranstalter ist wie vor 60 Jahren der Weltbund der Demokratischen Jugend. Erwartet werden 20 000 Teilnehmer aus 150 Ländern. Zielgruppe sind laut Organisatoren des Festivals die Führungskräfte von morgen. Die Weltfestspiele sollen den internationalen und interkulturellen Austausch stärken sowie das Interesse an Russland erhöhen. Im Zentrum des Festivals stehen dieses Mal das 100-jährige Jubiläum der Oktoberrevolution und der 50. Todestag Ernesto Che Guevaras. Jeden Tag werden Konferenzen zu Themen wie der Flüchtlingskrise, zu Rassismus und Menschenrechten stattfinden. Außerdem geht es um Umwelt sowie die Rechte von Verbrauchern und Arbeitern. Umrahmt werden die Diskussionen von einem Sport- und Kulturprogramm. Zu den Botschaftern der 19. Weltfestspiele der Jugend und Studenten gehören der Designer Denis Simatschow und der Rapper Timati. Eröffnet wird das Festival von der amerikanischen Band One Republic. In den Tagen vor dem Festival kommen Teilnehmer bereits in  anderen russischen Städten zusammen. Am 14. Oktober findet auf dem Roten Platz in Moskau eine große Karnevalsparade statt.

 

Daniel Säwert

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