Im Klub der geheimen Genießer

Ihr Zugang ist exklusiv, ihre Zeit die Nacht, ihre Liebe der Alkohol: die sogenannten „Flüsterbars“. Eine neue Welle der exklusiven Trinktempel erinnert an ein altes Verbot. Ein nächtlicher Streifzug durch die geheimen Bars der Hauptstadt.

Im „Suzuran“ sind Damen und Cocktails ähnlich attraktiv / Foto: Oleg Kurakin.

Nachts in Tschistyje Prudy. Zwischen Mjasnitskaja und Marosejka soll sich eine der angesagtesten Geheimbars der Stadt verbergen. Nach langem Herumirren durch die schlammigen Innenhöfe verraten ein paar Raucher den Eingang. Eine dunkle Treppe führt in einen noch dunkleren Keller. Dort erwacht er mit Einbruch der Nacht zum Leben: der Klub der geheimen Genießer. Genossen werden vor allem ausgefallene Cocktails. Kunstvoll zusammengemischt, teilweise aus importierten Edeltropfen. Das Licht ist gedimmt. Die Abendgesellschaft bewegt sich langsam zu lockeren House-Beats. Die Lautstärke macht Unterhaltungen gerade noch möglich. Dabei ist der Keller so gut isoliert, dass das nächtliche Treiben nicht auf die Straße dringt. Das Suzuran am Swertschkow Pereulok gehört zu jenen Bars, die zur Zeit eine Renaissance erleben.

Die Idee solcher „Flüsterkneipen“ stammt aus den USA zur Zeit des Alkoholverbots (1919 bis 1933). Etwa Hunderttausend geheime Bars soll es allein in New York gegeben haben. Getrunken wurde vor allem Hochprozentiges – das war leichter zu produzieren und zu schmuggeln als Bier oder Wein. Aber auch im russischen Zarenreich und der Sowjetunion gab es Anti-Alkohol-Kampagnen, die das Trinken ins Private vertrieben. Heute, auch ohne Trockenheitsgebot, erleben die „Speakeasys“ einen neuen Hype. Sie haben eines gemeinsam: Ihre Cocktailkarten lassen das Hedonisten-Herz höher schlagen – vorausgesetzt, es gibt sie. Für das besondere Etwas sorgen gewisse Mitbringsel aus dem Ausland, seit den Sanktionen hierzulande überteuert oder gar nicht erhältlich. Insgesamt eher klein, nicht überlaufen, sind die versteckten Trinktempel.

Verschlossen tarnt eine in der Wand installierte Klapptür das Kot Schrödingera (Ul. Bolschaja Dmitrowka 32). Die Kellner tragen Chemiekittel, als Trinkgefäße halten Messkolben, Siegerpokale oder eine Handgranaten-Nachbildung (siehe Foto) her. Die Komponenten wählt der Gast selbst aus einem „Periodensystem der Cocktailelemente“. Preise ab 380 Rubel pro Cocktail gefallen sogar Studenten. Ins Mendelejew (Petrowka 20) geht‘s durch eine asiatische Nudelbar. Zu den Kunden des Kellers mit exklusiven Cocktails und ausgewählter Musik gehören Expats und Gäste mit eher überdurchschnittlichem Einkommen.

Während die Flüsterbar-Pioniere vor fast 100 Jahren ausschließlich durch Mund-zu-Mund-Propaganda in den Genuss kamen, erhalten Moskaus Neo-Hedonisten im mobilen Zeitalter Zugang via Instagram & Co. Vorausgesetzt, man kennt den Namen. In waschechten Geheimbars bleibt der Einlass nur einem kleinen Bekanntenkreis vorbehalten. Ganz sicher ist nur eines: Es gibt sie. Irgendwo.

Christopher Braemer

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