Wie man eine Glückssache mietet

Von der Wolga an die Spree: Die Russlanddeutsche Uljana Iljina (48), Lehrerin, Übersetzerin und Texterin, ist als Spätaussiedlerin nach Deutschland gekommen. In ihrer MDZ-Kolumne „Deutschland-Tagebuch“ schreibt sie aus Berlin darüber, wie sie ihre neue Heimat – die Heimat ihrer Vorfahren – erlebt.

Mit Balkon und Blattgrün: So würde man gern in Berlin wohnen wollen. (Foto: Tino Künzel)

Seit einem halben Jahr erzähle ich den MDZ-Lesern nun von den verschiedenen Seiten meines neuen Lebens in Berlin – von Freud und Leid, kuriosen und nervigen, beeindruckenden und frustrierenden Erfahrungen. Die meisten Aufgaben, die Neuankömmlinge zu lösen haben, um sich in Deutschland integrieren zu können, sind bewältigt, ohne dass Körper und Geist größeren Schaden genommen hätten. In der letzten Folge meiner Kolumne „Deutschland-Tagebuch“ möchte ich nun vom Allerschwierigsten berichten, das dieser Prozess bereithält und woran ich mir bisher die Zähne ausgebissen habe – der Wohnungssuche.

700.000 Wohnungen zu wenig

Eine bezahlbare Mietwohnung in Berlin und überhaupt in Deutschland zu finden, ist Belastungsprobe, Abenteuer und Lotterie zugleich. Die Wohnungskrise spitzt sich nach Meinung von Experten zu. Eine Wohnungsbau-Studie des Pestel-Instituts und des Bauforschungsinstituts ARGE kam Anfang des Jahres zu dem Ergebnis, dass deutschlandweit 700.000 Wohnungen fehlen –  so viele wie noch nie in den letzten 20 Jahren.

Trotzdem geben natürlich auch Wohnheimbewohner wie ich die Hoffnung auf die eigenen vier Wände nicht auf. Die einen greifen dabei auf die Dienste von Maklern zurück, die anderen versuchen, mit Hilfe spezialisierter Webseiten und Apps selbst fündig zu werden.

Ich kann mir im Moment für mich und meine beiden Töchter nur eine Sozialwohnung leisten, denn noch habe ich keine Arbeit, weshalb wir von Sozialhilfe leben. In Russland sind Sozialwohnungen nur den Wenigsten ein Begriff. Selbst für jenen kleinen Teil an Staatsbediensteten, die dafür theoretisch in Frage kämen, bleibt das meist eine Fata Morgana. In Deutschland dagegen kann jeder, der mindestens über eine Aufenthaltsgenehmigung verfügt und eine gewisse Einkommensgrenze nicht überschreitet, Anspruch auf eine Sozialwohnung anmelden. Neben gebürtigen Deutschen betrifft das also auch Flüchtlinge und Übersiedler.

Mit dem WBS zu einer Sozialwohnung

Aber der Anspruch auf eine Wohnung ist das eine, die Chance, dort auch tatsächlich einzuziehen, etwas anderes. Denn es gibt einfach viel mehr Bewerber als Wohnungen.

Den ersten Schritt hin zu einer Sozialwohnung habe ich immerhin hinter mir. Im Bürgeramt wurde mir ohne größere Wartezeit ein Wohnberechtigungsschein ausgestellt, kurz WBS. Diese Abkürzung ist bei Flüchtlingen und Übersiedlern in aller Munde, egal woher sie kommen und wie gut sie die Sprache beherrschen. Der Wohnberechtigungsschein ist eine Art Eintrittskarte in die Welt des sozialen Wohnraums. Außerdem wurde eine Schufa-Auskunft zu meiner Zahlungsmoral eingeholt. Damit konnte die Wohnungssuche beginnen.

Ein Spaß ist das nicht gerade. Zunächst einmal gilt es, sich auf diversen Webseiten zu registrieren und die genauen Parameter der Suche einzugeben. Das ist unbedingt notwendig, denn die Wohnung muss bei Größe und Miete dem entsprechen, was die Behörde bewilligt hat. Für unsere dreiköpfige Familie heißt das: Gesucht wird eine Dreizimmerwohnung für ca. 700 Euro. Ein Glückslos zu ziehen, ist wahrscheinlicher.

Teils Hunderte Anfragen in wenigen Minuten

Die beliebteste Online-Plattform in diesem Metier mit dem größten Angebot ist ImmoScout24. Auch Ebay, wo sonst mit Spielzeug, Möbeln, Mikrowellen und Fahrrädern gehandelt wird, sollte man wegen Wohnungsanzeigen im Blick behalten. Anbieter sind in der Regel Wohnungsgesellschaften. Private Vermieter arbeiten meist nicht mit den sozialen Diensten zusammen.

Einmal registriert, wird man über eingehende neue Angebote benachrichtigt. Dann heißt es, schnell zu sein und praktisch sofort zu reagieren, denn innerhalb von Minuten können den Vermieter Hunderte Anfragen erreichen. Von denen wählt er dann 50 Glückspilze aus, die zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen werden, was natürlich noch längst nichts heißen will. Doch selbst in diese Sichtweite einer Wohnung bin ich bisher noch nicht gekommen. Einige Leute in unserem Wohnheim warten schon ein Jahr und länger darauf, endlich aus- und umziehen zu können. Aber ich bleibe dran. Es wäre ja gelacht, wenn wir nicht auch diese Prüfung meistern würden. 

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