Trockene Säle trotz kaltem Nass

Die Aiwasowskij-Jubiläumsausstellung in der neuen Tretjakow-Galerie führt zu einem regen Besucherandrang: Warum eigentlich?

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„Die neunte Woge“ gilt als schönstes Gemälde Russlands / Jewgenij Alexejew.

Lang sind die Schlangen derzeit, wenn die Tretjakow-Galerie zu früher Stunde ihre Kassen öffnet. Zwar nicht ganz so wie im letzten Winter vor der Serow-Ausstellung bei klirrender Kälte, aber immerhin bemerkenswert. Worin also der Grund zu früher Morgenstund?

Aufbrausende Stürme und riesige Wellen, die mit ihrer Urgewalt den Betrachter fast filmisch in die Tiefen der Ozeane ziehen. Unerbittliche Schlachten auf hoher See. Aber auch verträumte Motive eines in Mondlicht gehüllten Europas des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die Werke Iwan Aiwasowskijs erwecken den Eindruck, als würden sie sich in nächster Sekunde förmlich aus dem Bild ergießen.

Ausstellungsanlass ist der bevorstehende 200. Geburtstag des Ausnahmekünstlers, der als „König der Meere“ gilt. Der auf der Halbinsel Krim geborene Marinemaler armenischer Abstammung wird für seine Werke nicht nur hierzulande, sondern auch weit außerhalb der heimischen Grenzen verehrt. Weltweite Berühmtheit erlangte das Jahrhunderttalent durch detailreiche Meeresmalereien auf überdimensionalen Leinwänden und eine meisterhafte Darstellung von Licht und Schatten im Zusammenspiel mit dem kalten Nass.

Aiwasowskij geht es dabei aber nicht um einfache Momentaufnahmen. Ganz im Gegenteil stimuliert der Künstler mit einer unvergleichlichen Dynamik von Öl auf Leinwand Emotionen und Fantasie im Inneren des Betrachters. Und diese bieten reichlich Interpretationsspielraum.

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Im Bann des Ozeans: Bei so viel Marineromantik fällt es schwer wegzuschauen / Jewgenij Alexejew.

So auch beim Herzstück der Ausstellung: Das mit 2,21 mal 3,31 Meter übergroße Meisterwerk „Die neunte Woge“ gilt als schönstes Gemälde Russlands. Gezeigt wird eine Gruppe Schiffsbrüchiger, die sich inmitten eines erbarmungslos tobenden Sturms auf hoher See am Leben festklammert. Die durch düstere Gewitterwolken hindurchscheinenden Sonnenstrahlen stellen laut Maler selbst das „Licht der Schöpfung“ dar. Die Ausstellung erfreut sich aktuell hoher Beliebtheit: Die Schlangen vor den Sälen der Tretjakow-Galerie, die pünktlich zum Geburtstag Moskaus am 10. September ihren Innenhof wiedereröffnete, sind keine Eintagsfliege. Das Schaffen Aiwasowskijs wird auf über 6000 Werke geschätzt. Darunter 1 100 Gemälde, 50 grafische Arbeiten sowie Modelle von Schiffen, Kompassen, Globen, Teleskopen und anderen persönlichen Gegenständen des Malers. Um die Kunstwerke in dieser einzigartigen Zusammenstellung zu bestaunen, sollte man sich angesichts des Andrangs rechtzeitig Tickets sichern – das Tageskontingent ist streng begrenzt.

Vom Petersburger Russischen Museum eigens für die Jubiläumsausstellung bereitgestellt, weilt das Meisterwerk „Die neunte Woge“ seit Ende Juli in der Hauptstadt, – eine Erklärung für den plötzlichen Besucherandrang. Der „König der Meere“ kann eben nur in einer Stadt thronen.

Von Jana Weber

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