Stille Wasser sind tief: Zur Ausstellung „Wladimir Majakowskij. Dort und bei uns“

Wohl selten ist das Bild eines stillen, tiefen Wassers mit dem Dichter des Poems „Aus vollem Halse“ in Verbindung gebracht worden. Doch in der Ausstellung zum 125. Jubiläum Majakowskijs im Staatlichen Museum für die Geschichte der russischen Literatur ist es nötig, zwischen den Zeilen zu lesen, um seiner unwahrscheinlichen Aktualität auf den Grund zu gehen.

Majakowskij

Hinter Bergen aus Not liegt das Sonnenland brach. Majakowskij /Foto: Fabiane Kemman

 

Ein helles Bild von strahlendem Gelb, Rot, Grün und Blau, auf dem sich Häuser rings um einen Platz schmiegen, es ist Tag. Irgendein anderes Licht als das schwache Licht der Lampen strahlt aus den Häusern auf den Platz, fließt in seiner Mitte zusammen zu explodierenden Sonnen, um die Flugzeuge und Trichter voll duftenden Brots, voller Bücher, Früchte und Wein kreisen. Erst auf den zweiten Blick zeigt der untere Bildrand im Scherenschnitt die Umrisse zweier schwarzer Figuren, welche die leuchtenden Farben stemmen, mit aller Kraft.

Majakowskij und die Welt – die Welt und Majakowskij: Im Fokus des Museums für die Geschichte der Literatur steht die vielschichtige, leidenschaftliche und schmerzvolle Wechselbeziehung des diese neue Welt aufbauenden, mit aller Kraft stemmenden Majakowskij – ihr Anfang einer der vielleicht schärfsten Brüche mit der Vergangenheit in der Weltgeschichte. „Dort und bei uns“ nähert sich dieser Wechselbeziehung erst einmal durch die nach Verwirklichung drängenden Entwürfe und Träume, welche die Russische Revolution in Majakowskij und seinen Zeitgenossen aufbrach.

Ihre expoldierenden Sonnen der „verheißenen Welt“, die Majakowskij auf einer Skizze für das Theaterstück „Mysterium Buffo“ zeichnet, leuchten in warmem Gelb voran. In der Ausstellung geleitet den Weg der dumpfe Klang von Trommeln, auf Zelluloid Moskau als Baustelle vor Sprengung der Erlöser-Kathedrale, Exemplare der Zeitschrift Lef, auf den Seiten der Texte und Gedichte Majakowskijs aufgeschlagen.

Im „Mysterium Buffo“ bricht über die Welt die Sintflut herein, alles bisherige hinwegfegend, es wird eine Arche gebaut und gewählt für die neue Welt. Majakowskij trägt die Arche in den Jahren 1922 bis 1929 neun Mal nach Europa und Amerika. Grundlegend verändert sich in dieser Zeit sowohl sein Blick auf das Ausland, als auch auf die Sowjetunion.

@Mayakowski: „Ich fahre nach Europa wie ein Hausherr, sehe nach und kontrolliere die westliche Kunst.“ #Fenster_nach_Europa #Kunstkontrolle. Die Ausstellung der einzelnen Stationen der Reise begleiten Textfragmente im Stil des Reiseblogs. Freunde, Reisebegleiterinnen, Verleger, Kulturfunktionäre – neben dem Dichter selbst kommt dessen Umgebung zu Wort, kommentiert und kontextualisiert seine Beziehung mit dem Ausland und von dort aus zurück in die Sowjetunion.

Die Vielfalt der teilweise erstmals ausgestellten Exponate ist frappierend: Ein Zwanzigmillionen-Mark-Schein, Vertragskorrespondenzen mit dem Berliner Malikverlag, eine Originalausgabe des daraufhin in Deutschland herausgegebenen Gedichtbands „150 Millionen“, ein von George Grosz geschenkter Bildband, kleine und größere Reisegeschenkte an die Geliebte Lilja Brik und andere, Fotos, Briefe und vieles mehr. Vom Erfolg der Ausstellung zur Russischen Kunst 1922 in der Berliner Galerie van Diemen berichtet die Moskauer Deutsche Zeitung. Damals wie heute sind originale Plakatdrucke mit Texten Majakowskijs ausgestellt.

„Überall in Berlin frappierende Friedhofsstille. (Vergleichsweise) Zuallererst wohl Resultat der Versailler Cliquenwirtschaft.. Die überall ist. Natürlich, da wundert dich nicht, dass die Straßen allmählich verblassen, sich verdunkeln und aussterben, zwischen den Gleisen Gras zu sprießen beginnt“, schrieb Majakowskij. Von Berlin, Riga, Warschau und Prag reist er nach Paris, Amerika, Mexiko.

Aus den Aufbrüchen und Reisen, so will es die Ausstellung, kehrt er im letzten Raum in sein Moskauer Zimmer in der Ljubjanka-Gasse zurück und schießt sich dort 1930 ins Herz.

Dieses Herz, das Majakowskijs Gedichte sind, schimmert in der Ausstellung. Hier und da ist eine Originalausgabe aufgeschlagen, eine Handschrift ausgestellt, während es der Ausstellung gelingt, sich dem Geschmack, Vorlieben, Gefühlen und langandauernden Zuneigungen des Dichters zu nähern. Sicher ist es wohltuend für viele, den heiligen Zorn des Revolutionärs auf Norderney im Badeanzug beschwichtigt zu sehen.

Heiter beschwingt, vielleicht sogar ermutigt wie nach einem leichten, guten Gespräch über irgendetwas sehr Interessantes während eines Sommerregens, wird hoffentlich die eine oder andere dem Schimmern in den wichtigsten Raum der Ausstellung folgen, auf dem im letzten Ausstellungsraum die Ausgabe zur von Majakowskij selbst konzipierten Ausstellung „20 Jahre Majakowskij“ verweist.

In diesem Raum ist nur ein Buch und ein Mensch. Der öffnet es vielleicht an Stellen wie dem Gedicht „Samara“ oder „Die dritte Internationale“. Erst dann kann er sich, um die Ausstellung bereichert, daran erinnern, wo Majakowskijs Herz bis heute dunkel, kassandrisch und beunruhigend schlägt, zeigt und fordert.

Fabiane Kemmann

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