Tinder und Co.: Moskau-Sightseeing der anderen Art

Die Partnersuche in Moskau gleicht der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Dating-Apps wie Tinder versprechen, dem Abhilfe zu schaffen. Doch funktionieren sie wirklich und darf man auch als Ausländer auf Erfolge hoffen? Ein Streifzug durch Moskaus digitale Flirt-Welt.

Match oder nicht? Diese Frage stellt sich beim „Tindern“ wie hier auf dem Weg zur Metro Kiewskaja / Christopher Braemer.

Match oder nicht? Diese Frage stellt sich beim „Tindern“ wie hier auf dem Weg zur Metro Kiewskaja / Christopher Braemer.

Neulich so beim „Tindern“. „Russian girl“ steht unter dem Profilbild mit tiefen Einblicken auf dem Smartphone. „Lockige Sibirerin“, unter dem nächsten, mit einer attraktiven, slawischen Frau mit langen, dunklen Haaren. Im nächsten Moment wischt der Daumen leicht über das Display nach rechts, was für „Gefällt mir“ steht. „Bekanntschaft für eine Nacht nicht interessant“ – die zögernde Daumenbewegung nach links bedeutet die Abfuhr. Es sind diese routinierten Handbewegungen, die beim „Tindern“ über das Kennenlernen entscheiden. Denn nur wenn sich zwei Personen gegenseitig „liken“, entsteht ein „Match“, das die Kontaktaufnahme ermöglicht. Mit dem Facebook-Profil verlinkt, passt das Programm die Partnervorschläge zusätzlich den persönlichen Interessen, gemeinsamen Freunden und dem Wohnort an. Das Prinzip von Tinder ist idiotensicher.

Partnersuche per Smartphone

Mittlerweile lernen sich auch in Russland immer mehr Menschen online kennen. So sind laut dem Meinungsforschungsinstitut WZIOM landesweit bereits über ein Drittel in Dating-Apps angemeldet. Tinder und Badoo heißen die Bekanntesten hierzulande. Laut Statistik rangiert der 2006 durch den Moskauer Unternehmer Andrej Andrejew in London gegründete Online-Dienst Badoo unter den meistgenutzten Apps in Russland. Doch seitdem einige Athleten während der olympischen Spiele 2014 in Sotschi Tinder nutzten, nimmt die Popularität der Dating-App konstant zu.

Die Klischees von russischen Frauen im Ausland sind vielseitig. Sicher ist man sich, dass sie zu den Schönsten gehören. Zudem heißt es, dass es in Russland mehr Frauen als Männer gibt. Während es schwer ist, Schönheit zu messen, ist der letztere Fakt bestätigt: Es gibt tatsächlich mehr Frauen in Russland. Laut der Statistikbehörde „Rosstat“ leben derzeit etwa 146,5 Millionen Menschen in Russland, davon 68 Millionen Männer und 78,6 Millionen Frauen. Dies entspricht einem Frauenanteil von 54 Prozent, oder anders ausgedrückt: Auf 1000 Männer kommen ungefähr 1173 Frauen. Mit der Statistik kann Mann sich also Mut machen, vor allem, wenn man ihm nicht sagt, dass die meisten „überschüssigen“ Frauen wegen der geringen Lebenserwartung der Männer im hohen Rentenalter sind.   

Auf jeden Fall ermöglichen die Dating-Apps gerade Ausländern, die Sprachbarriere zu überwinden und russische Frauen kennenzulernen. Zu ihnen gehören Christian und Markus (alle Namen von der Redaktion geändert). Die beiden haben bereits reichlich Erfahrung mit den Apps gesammelt, der Austauschstudent und der Angestellte in einem großen deutschen Unternehmen daten regelmäßig Frauen über Tinder und Badoo.

Erst einmal installiert, kann das Hin- und Herwischen schnell zur Sucht werden. Obwohl er oft und gern ausgeht, traut sich Markus häufig nicht, den entscheidenden Schritt zu machen und Frauen anzusprechen. Seine Tage unter der Woche füllt er nun mit Tinder-Dates, geht ins Theater oder in die Galerie. Für ihn ist die App die perfekte Möglichkeit, sein Russisch zu verbessern, sich mit „Locals“ zu treffen und Moskau zu erkunden. Christian hingegen spricht auch Frauen im Klub an, da er das Texten oft ermüdend findet und ihm das Flirten fehlt.

Der Ausländerbonus: Gibt es ihn wirklich?

Gerade als Deutscher kommt man hierzulande super an. „Es gibt schon einen gewissen Ausländerbonus bei den Frauen“, sagt Markus. Er arbeitet in der Moskauer Repräsentanz eines großen deutschen Unternehmens, was „natürlich super ankäme“. Die Botschaften unter den Bildern sind oft auf Englisch verfasst. Nico, gebürtiger Madrilene und aufgewachsen in Deutschland, und Bruno aus Brasilien fühlen, dass die Frauen sie mögen, weil sie hierzulande als „exotisch“ gelten.

Umgekehrt nutzen russische Frauen die App, um das eigene Ego zu stimulieren und den Marktwert zu testen. Dabei ist es auffällig, dass sie viel Energie in ihre Profilbilder investieren. Zu den Lieblingsposen zählen das Räkeln im Rüschen-Nachthemd im Bett, mit Blumenstrauß im Sommerkleid, das Spiegel-Selfie komplett „aufgestylt“ vor dem Klub-Besuch, dazu der obligatorische Bikini-Snapshot in sattem Braun vom letzten Strandurlaub.  Man liegt auf der Motorhaube eines Autos und posiert vor dem Pariser Eiffelturm, dem London Eye, in Florenz oder Venedig. Dazu der tiefe Ausschnitt, sattes Make-up oder das „Duckface“, ein übertriebener Kussmund. „Sie sehen fast nie so gut aus wie in ihren Profilbildern“, gibt Christian zu bedenken. Sowohl er als auch Markus haben bereits mindestens eine Frau getroffen, die „in Echt“ komplett anders aussieht. Die Bilder wirken oft auch einfach unecht, Weichzeichner und Filter stechen sofort ins Auge.

Während einige auf das Prinzip „Tinder“ schwören, bleibt Karolina skeptisch. „Ich als Frau will viel lieber persönlich angesprochen werden, wo bleibt denn da die Romantik?“, klagt die 23-Jährige. „Neben den Fotos ist auch die Persönlichkeit, die durch das Profil erstellt wird, eine Illusion“, gibt sie zu bedenken. Dass es nicht genauso schnell bis zum „Do Swidanija!“ dauert, bleibt zu hoffen. Vielleicht ist es doch leichter beziehungsweise zeitsparender, sich einfach zu überwinden und die Frau an der Bar oder im Klub anzusprechen.

Christopher Braemer

Alternativ: Speed-Dating und „Eye-Gazing“

Die Liste der Anbieter von Blitzdates in Moskau ist lang. Zu den Bekanntesten gehört „Fastlife“, das zehn Treffen pro Woche für verschiedene Altersgruppen anbietet. Das Format: Pro Abend verspricht der Anbieter bis zu 20 neue Bekanntschaften, dabei dauert ein Date maximal fünf Minuten. Am nächsten Tag erfährt man, wie vielen Gesprächspartnern man gefallen hat – für das Selbstwertgefühl. Der neueste Schrei in dieser Rubrik ist das sogenannte „Eye-Gazing“: Dabei sitzen sich zwei Suchende bis zu zwei Minuten wortlos gegenüber. Der Augenkontakt darf in dieser Zeit nicht gebrochen werden. Erst danach ist es erlaubt, das Schweigen zu brechen und sich zu unterhalten.

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