Der Ruf des Kosmos

Russland sucht neue Weltall-Enthusiasten. Auf verschiedenen Wegen.

An der Moskauer Lomonossow-Universität (MGU) gibt es eine neue Fakultät: für Raumfahrtstudien. Ab September werden die ersten 100 Studenten immatrikuliert. Nahezu gleichzeitig eröffnet der staatliche Raumfahrtkonzern Roskosmos seinen neuen Ausbildungsjahrgang für künftige Kosmonauten. Offensichtlich braucht die russische Raumfahrt dringend Nachwuchs.

Für die Raumfahrt der Zukunft braucht es frische und fitte junge Kosmonauten. / NASA

Während noch zu Sowjetzeiten die Jugend, inspiriert von den Erfolgen Juri Gagarins und dessen Kollegen, von der Eroberung des Weltalls träumte, verschwand dieses Interesse in den 90er Jahren plötzlich. Und so meldete sich der heutige Kosmonauten-Trainer Sergej Rewin von Roskosmos damals als einziger Freiwilliger weit und breit zur Ausbildung. Den Gesundheitscheck hat er, wie er heute erzählt, dann auch ganz allein durchlaufen.

Auch heute stehen die Russen der Raumfahrt skeptisch gegenüber, es arbeiten in der Branche mittlerweile vor allem Spezialisten im oder fast im Renteneintrittsalter. Erst in jüngster Zeit konnte das Interesse der Jugend am Kosmos wieder geweckt werden – durch die ersten Erfolge neuer Raumfahrt-Startups, der sogenannten NewSpace-Unternehmen. Und so entstehen auch die ersten kommerziellen Firmen. „Kosmo-Kurs” zum Beispiel will schon 2021 die ersten Touristen in den Orbit schicken.

Die MGU, die im September ihren ersten Kosmonauten-Studiengang für 100 Studierende eröffnet, ist nun auch nicht die erste Hochschule, die eine eigene Raumfahrtfakultät bekommt. Auch das Moskauer Luftfahrtinstitut, die Moskauer Technische Baumann- Universität und das Moskauer Physikalisch-Technische Institut bieten kosmische Studiengänge, alle jedoch mit stark spezialisierten Abschlüssen. Die MGU will nun ein umfassenderes Kosmosstudium anbieten. „Die Fakultät wird Fachkräfte in den wichtigsten Wissensbereichen ausbilden, die mit dem Bereich der Raumfahrt zu tun haben”, erklärt Rektor Viktor Sadownitschij. „Das sind Medizin und Biologie im Bereich Raumfahrt, die Vorbereitung künftiger Kosmonauten zum Weltallflug und im Umgang mit der Schwerelosigkeit. Unterschiedliche, bislang noch nicht zu erklärende Phänomene im Kosmos sollen ebenso untersucht werden wie Kommunikationstechnologien und selbstverständlich die Entwicklung neuer Geräte.”

Und so werden auch nicht alle der neuen Kosmos-Studenten am Ende ihres Studiums ins offene Weltall fliegen. Um wirklich Kosmonaut zu werden, muss ein strenges Auswahlverfahren von Roskosmos erfolgreich absolviert werden. Seit den 60er Jahren fand dieses Raumfahrer-Casting bislang nur 17 Mal statt.

Und direkt von der Schulbank ins Weltall klappt auch nicht ganz: Der neue MGU-Studiengang wird erst einmal nur als Master angeboten und erfordert ein bereits abgeschlossenes Bachelor-Studium. Andrej Sadowskij, Leiter des Forschungs- und Bildungszentrums des Kosmischen Forschungszentrums IKI der Akademie der Wissenschaften, der sich seit Jahren mit der Entwicklung der Raumfahrtausbildung beschäftigt, sagt, das Revolutionäre der neuen Fakultät liege in etwas Anderem, und zwar darin, dass die Studierenden vom ersten Tag an in die echte Arbeit und wirklich existierende und funktionierende Projekte integriert würden. Dies wiederum sei nicht nur ein Erfolg der MGU, sondern auch ein allgemeiner Trend in der Hochschulwelt.

Die meisten, vor allem technischen Neuerungen in der Raumfahrtausbildung gäbe es heute durch das Aufkommen kleinerer Raumfahrtapparate, sagt Alexej Beljakow, Interimsdirektor des Forschungs-Clusters „Kosmische Technologien” der Skolkowo-Stiftung. Diese neuen Technologien erlaubten es vielen russischen Hochschulen, direkt in den eigenen Räumen den Aufbau und den Umgang mit Satelliten und anderen Raumfahrtapparaturen bei Missionen im Orbit auszutesten. Nur so könnten Lehrende und Studierende heute sofort das theoretische Wissen direkt in der Praxis ausprobieren und anwenden.

Aber nicht alle Kosmonauten-Kandidaten, die sich den Roskosmos-Tests stellen wollen, haben die Eröffnung der neuen Kosmos-Faktultät an der MGU mit Begeisterung aufgenommen: Zum Beispiel Alexej Gunja, Generaldirektor des Forschungszentrums „Grawiton”, welches sich mit theoretischer Forschung und der technischen Entwicklung und Produktion in der Raumfahrtbranche beschäftigt und sich selbst intensiv auf die Auswahltests als Kosmonaut vorbereitet. Er kritisiert, die Gründung dieser neuen Fakultät als eigene Lehrabteilung an der MGU sei einmal mehr eine „akademische Fiktion zur Geldwäsche aus dem Staatshaushalt”. „Bezüglich der technischen Seite dieser Frage: Die MGU ist ja keine richtige Ingenieurshochschule. Wenn die Rede von der Idee der Herausbildung einer eigenen Raumfahrtindustrie als eigene Branche sein soll, dann wäre es vernünftiger, eine eigene unabhängige Hochschule in diesem Bereich aufzubauen.”

Die MGU aber betrachtet die Raumfahrt als ein ihr obliegendes Forschungsgebiet, wie Sadownitschij betont: Gerade ihre Wissenschaftler seien es gewesen, die bis heute bereits 400 Raumfahrtapparate entwickelten. Sechs MGU-Sputniks seien bereits ins Weltall geflogen. Allein der letzte von ihnen, wie die Universität „Michail Lomonossow” benannt und 500 Kilogramm schwer, flog 2016 ins All und ist dort bis heute im Einsatz. „Auf diese Art und Weise sind wir zu Pionieren der Erschließung des Kosmos geworden”, sagt Sadownitschij bestimmt.

Von Anastassija Buschujewa und Jekaterina Solowjowa 

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