Moskauer Immobilienmakler: „Keiner weiß, wie es weitergeht“

Immobilienmakler ist kein Traum- und auch kein Ausbildungsberuf. Viele versuchen sich in der Branche, die wenigsten mit Erfolg. Sergej Jermakow (36) ist laut Diplom Informatiker. Er hat als Croupier im Casino gearbeitet und eine Modelagentur geleitet, bis er vor dreieinhalb Jahren Makler wurde. Hier spricht er über seine Erfahrungen auf dem Moskauer Markt und die aktuelle Situation.

Der Moskauer Immoblienmarkt war schon mal berechenbarer. (Foto: Tino Künzel)

Mein Einzugsgebiet ist Moskau und das angrenzende Umland. Hier gehen Einraumwohnungen am besten. Je kleiner der Preis, desto mehr Leute können sich solchen Wohnraum leisten, um erst einmal in Moskau Fuß zu fassen. Vergrößern kann man sich später immer noch.

Nur sollte man Einraumwohnungen und Studios auseinanderhalten. Es ist schon ein Unterschied, ob wir über 35 oder 22 Quadratmeter reden. Studios sind eine Welt für sich. Ein Sofa, ein Fernseher, gleich neben der Wohnungstür die Küche, die Toilette. Irgendwo findet sich auch noch ein Plätzchen, um sich aufzuhängen. Das war jetzt natürlich nicht ernst gemeint, aber ich würde in der Tat in einem Studio nicht dauerhaft wohnen wollen. Das ist etwas für Studenten, für eine gewisse Zeit.

Ungewissheit ist Gift für den Markt

Der Immobilienmarkt ist zwei Jahre gewachsen. Am 24. Februar war es damit vorbei. Zunächst ging es noch kurzzeitig nach oben: Alle haben die Preise angezogen, weil die Leute plötzlich jede Menge Bargeld zu Hause hatten, das sie von ihren Konten abgehoben haben. Einer meiner Kunden wollte für sein Haus auf einmal nicht mehr 16,5 Millionen Rubel haben, sondern 20. Und es sind tatsächlich Interessenten dagewesen, um es sich anzuschauen. Aber nach drei Wochen war dieser Wahnsinn zu Ende und das Preisniveau wieder wie vorher. Das Haus wechselte für 16,5 Millionen den Besitzer.

Viele leben immer noch in der Vergangenheit. Die wissen nicht, was wirklich auf dem Markt los ist. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Wir bieten eine Wohnung für 9,5 Millionen Rubel (umgerechnet ca. 160.000 Euro) im Moskauer Vorort Balaschicha an. Innerhalb einer Woche – kein einziger Anruf. Die Wohnung ist ihr Geld wert, aber die Leute warten ab, weil einfach zu viel Ungewissheit in der Luft liegt. Wer eine Hypothek aufnimmt, der will sicher sein, dass die Umstände morgen genauso sind wie heute. Aber im Moment überstürzen sich die Ereignisse. So etwas war noch nie da, zumindest nicht, so lange wir denken können. Gefühlt dauert die „Sonderoperation“ schon Jahre. Und keiner weiß, wie es weitergeht.

Im Frühjahr war das alles noch weit weg. Irgendwo hinterm Horizont trugen Berufssoldaten Siege im Kampf gegen Schurken davon. Doch die Mobilmachung hat die Atmosphäre stark verändert. Ich merke das an mir selbst, an meinem Umfeld, an den Leuten generell. Alle haben sich kräftig erschrocken.

Dass nach dem 21. September nichts mehr ging, kann man nicht sagen. Nach dem 24. Februar sind uns acht von zehn Geschäften weggebrochen. Nichts Vergleichbares ist nach der Verkündung der Teilmobilmachung passiert. Dafür sind viele einfach nicht mehr nach draußen gegangen. Geschäfte wurden vielfach per Vollmacht von Verwandten abgewickelt. Ein Mitarbeiter der Sberbank, der sich mit Hypotheken beschäftigt, hat mir gesagt, er habe nie zuvor im Leben so viele Vollmachten gesehen.

Preisrutsch oder nur ein kleines Minus?

Angeblich purzeln jetzt die Preise, aber das trifft höchstens auf Einzelfälle zu, die man nicht verallgemeinern kann. Neulich war ich bei einem Arbeitsfrühstück unserer Maklergilde, da haben wir uns über die Gerüchte amüsiert. Mich haben tatsächlich Leute angerufen und gefragt, ob es stimmt, dass Immobilien um 60 Prozent billiger geworden sind. Ich weiß von einem Kollegen, dessen Kunde sich von heute auf morgen geweigert hat, den vereinbarten Vorschuss zu zahlen, weil er gehört hatte, dass die Preise um 40 Prozent gefallen seien. Wo diese Zahlen herkamen, konnte ich mir selbst nicht erklären. Ich habe einen Fernsehbericht gesehen, wo unter Berufung auf eine Statistik von minus zwei Prozent die Rede war. Scheinbar haben viele nur „gesunken“ vernommen und sich dann selbst ihren Reim darauf gemacht.

Der Immoblienmakler Sergej Jermakow (Foto: Privat)

Ich habe mir am 21. April eine Wohnung in der Bauphase gekauft. Heute kostet sie 600.000 Rubel weniger als damals. Vor dem 21. September war sie im Preis um 600.000 Rubel gestiegen. Die Baufirmen wissen selbst nicht mehr, wie sie sich verhalten sollen. Banken stützen diese verrückten Hypotheken ohne Anzahlung, die neuerdings angeboten werden. Obwohl solche Kunden lieber gleich zu uns kommen sollten. Wer sich eine neue Wohnung leisten will, ohne, sagen wir, zwei Millionen Rubel angespart zu haben, dem wächst die Hypothek sowieso über den Kopf, wenn er sie jahrzehntelang zu erhöhten Prozenten abzahlen muss. Ich bin mir sicher, dass in nächster Zeit viele solcher Abschlüsse platzen werden, weil die Leute ihre Raten nicht zahlen können oder wollen.

„Wir trauen niemandem“

Früher habe ich gedacht, Makler seien ein Krebsgeschwür. Leute, die ihre Provision einstecken und sich aus dem Staub machen. Das ist ungefähr auch die öffentliche Meinung. Geld spielt natürlich eine große Rolle. Auch für mich. Aber mir liegt wirklich am Herzen, dass der Kunde letztlich zufrieden ist. Ich finde, dass Empathie einen guten Makler ausmacht, neben Stressresistenz, kommunikativen Fähigkeiten, Humor. So richtig scheint mir trotzdem keiner zu glauben. Aber wir Russen trauen anderen generell nicht besonders. Und selbst wenn wir mal Vertrauen gefasst haben, nagt in uns immer ein leiser Verdacht, dass das wahrscheinlich kein gutes Ende nimmt.

Aufgeschrieben von Anna Braschnikowa

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