„Mir! Druschba! Design!“ – Geschichte des russischen Industriedesigns

Wie funktioniert Industriedesign in einem Wirtschaftssystem, das nicht auf Überfluss und Konkurrenz aufbaut, in dem eher Mangel an Waren herrscht? Eine Ausstellung des Moskauer Designmuseums präsentiert Gebrauchsgegenstände aus zahlreichen Bereichen der Industrie der Sowjetzeit und spannt einen Bogen bis in die russische Gegenwart.

Samowar „Sputnik“
Futuristisches Design aus Sowjetzeiten: Der „Sputnik“ zum Tee kochen wurde ab 1976 produziert. (Foto: Sergej Pjatakow/ RIA Novosti)

Er brachte ein wenig kosmisches Flair in sowjetische Haushalte. Der elektrische Samowar im Space-Age-Design hört auf den Namen „Sputnik“. Der Kessel scheint ein Planet zu sein, der von seinem Begleiter, der kleinen, kugelförmigen Teekanne umrundet wird. Die Streben der Konstruktion erinnern zudem an die Antennen des „Sputnik-1“ aus dem Jahr 1957, des ersten künstlichen Satelliten der Welt.

Alexandra Sankowa, die Direktorin des Moskauer Designmuseums, sieht darin ein besonders gelungenes Beispiel dafür, das Thema Weltraum auf einen einfachen Haushaltsgegenstand zu übertragen. Hergestellt wurde das futuristische Gerät ab 1976 in der Suksuner Metallwarenfabrik in der Region Perm. Gestaltet wurde es von dem Maler, Bildhauer und Designer Konstantin Milewitsch Sobakin, der aus derselben Siedlung stammte.

Es ist eines der auffälligsten Exponate der Ausstellung „Mir! Druschba! Design!“, die derzeit im Westflügel der Neuen Tretjakow-Galerie zu sehen ist. Sie widmet sich der Frage, warum das russische Industriedesign so ist, wie es ist. Und dabei spielt die Militär- und Raumfahrtindustrie eine große Rolle, wie Alexandra Sankowa berichtet.

Vorbilder in der Militärtechnik

Deutlich wird dies gleich in der ersten Station der aktuellen Ausstellung. Dort werden herausragende Konstruktionen der sowjetischen und russischen Luftfahrtindustrie präsentiert. Der erste sowjetische Passagierjet, die Tupolew Tu-104 aus dem Jahr 1955, war abgeleitet aus dem Bomber Tu-16, der drei Jahre zuvor seinen Jungfernflug hatte.

Neben Funktionalität und Ergonomie hatten die Konstrukteure stets auch die Ästhetik im Blick. „Ein hässliches Flugzeug fliegt nicht“, hat Andrej Tupolew, der maßgeblich an der Entwicklung der beiden Maschinen beteiligt war, einmal gesagt. Er war damit ein Vordenker des Industriedesigns in der Sowjetunion, wo diese Disziplin damals weder institutionalisiert noch professionalisiert war.

Das sollte erst einige Jahre später geschehen. Im Jahr 1962 wurde in Moskau das „Allsowjetische wissenschaftliche Institut für technische Ästhetik“ (WNIITE) ins Leben gerufen, das bald Abteilungen in weiteren Städten wie Leningrad, Minsk, Riga und Tiflis unterhielt. Erklärtes Ziel war es, die Gestaltung von Industrieprodukten zu verbessern. Da es zu dieser Zeit keine ausgebildeten Designer gab, rekrutierte Direktor Jurij Solowjow unter anderem Ingenieure, Psychologen, Historiker und Grafiker.

Industriedesign hieß hier „technische Ästhetik“

Das Wort „Design“ wurde in der Sowjetunion vermieden, man sprach von „technischer Ästhetik“. Die Designer waren keine bekannten Persönlichkeiten, wie das in westlichen Industriegesellschaften häufig der Fall ist. Der Kontext, in dem sie arbeiteten, war zudem ein ganz anderer. Während es in westlichen Marktwirtschaften darum ging, möglichst viele Waren zu verkaufen, herrschte in der Sowjetunion eher Mangel an Konsumgütern.

Der britische Autor und Kritiker Justin McGuirk hat sich im ersten Katalog des Moskauer Designmuseums mit dem sowjetischen Verhältnis zum Design befasst. Der Kommunismus der Sowjetunion, zentralisiert, bürokratisch und alles andere als wettbewerbsfördernd, sei nicht gerade ein Nährboden für eine ausgeprägte materielle Kultur gewesen. Die Wegwerfmentalität und die große Auswahl an konkurrierenden Produkten
waren dem Wirtschaftssystem fremd.

Dennoch seien viele Produkte mehr oder weniger offensichtliche Kopien westlicher Vorbilder. Es war im WNIITE übliche Praxis, Konsumgüter zu begutachten, die Parteifunktionäre von Reisen mitgebracht hatten. Regelrechte Ausstellungsräume soll es für solche Importmuster gegeben haben. In der Tat ist so manches, was sich in der gegenwärtigen Ausstellung findet, einem Westprodukt nachempfunden.

Ausstellungsstücke von den Fünfzigern bis heute

Möglicherweise sind all das Gründe dafür, dass das sowjetische Industriedesign bislang eher wenig Beachtung fand. Um die Erinnerung an diese Epoche zu bewahren und die Werke der sowjetischen Designer in den Fokus zu rücken, hat das Moskauer Designmuseum schon im Jahr 2012 eine erste Ausstellung zum Thema gezeigt.

Die Sammlung ist seither gewachsen und vor zwei Jahren erschien ein englischsprachiger Katalog mit über 350 Exponaten – Produkte, Grafiken, Werbematerial – der Epoche zwischen 1950 und 1989.

Die jetzige Ausstellung in der Neuen Tretjakow-Galerie knüpft hier an und erzählt die Geschichte weiter bis in die Gegenwart. Neben Erzeugnissen der Sowjetzeit sind Entwürfe aus dem heutigen Russland zu sehen: ein beinahe dystopisch anmutendes Elektromobil aus dem Kalaschnikow-Konzern, Entwürfe für autonom fahrende Lkw und Sportschuhe aus dem 3D-Drucker.

Doch der Großteil der Exponate hält die Erinnerung an die Sowjetzeit wach. Erstaunlich sind dabei auch die nicht realisierten Entwürfe, insbesondere aus den letzten Tagen der sozialistischen Epoche. Da ist etwa der futuristische Sattelschlepper MAZ-2000 „Perestrojka“ aus dem Jahr 1988, von dem nur zwei Prototypen gebaut wurden. Oder Skizzen für neue Metrozüge aus derselben Zeit, die ihre Ähnlichkeiten mit dem deutschen Transrapid jener Tage nicht verbergen können.

Das Designmuseum bekommt ein Zuhause

In echt zu sehen ist dagegen das Schneemobil „Buran“, welches 1973 in Serie ging. Das elegante, zweisitzige Gefährt erreichte schon 1986 sechsstellige Stückzahlen und wird noch heute in ähnlichem Design beim Flugtriebwerkshersteller NPO Saturn in Rybinsk bei Jaroslawl gebaut.

Schneemobil „Buran“ von 1973
Sowjetischer Designklassiker: das Schneemobil „Buran“ von 1973. (Foto: Pressedienst Russkaja Mechanika)

Bei den Haushaltsgeräten besticht neben dem Sputnik ein Wassersprudler in Pinguin-Optik aus dem Jahr 1979 sowie der Staubsauger „Raketa-7“ in Mintgrün, gebaut 1966. Weitere Abteilungen der Ausstellung, die noch bis zum 1. März zu sehen ist, widmen sich etwa der Unterhaltungselektronik, der Fotografie oder der Medizintechnik.

Die Räumlichkeiten im Seitenflügel der Neuen Tretjakow-Galerie werden auch danach im Zeichen des Designs stehen, das Moskauer Designmuseum bekommt dort nämlich seinen festen Platz. Als Nächstes ist eine internationale Ausstellung mit Fokus auf Recycling-Kunststoffe geplant. Ab Juni soll dann zudem eine Dauerausstellung zum russischen Design zu sehen sein. Es ist zu erwarten, dass die sowjetische Epoche dort ihren gebührenden Platz einnehmen wird.

Jiří Hönes

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