(Nicht nur) Mütter marschieren durch Moskau

Keine Verhaftungen, aber auch noch kein sichtbares Resultat. Durch ein Unwetter zogen Hunderte Menschen durch Moskau zum Obersten Gericht. Sie forderten die Freilassung zweier jugendlicher Mädchen aus dem Gefängnis - und aus dem merkwürdigen Fall "Neue Größe". Fotoreportage vom "Marsch der Mütter" am 15. August 2018.

„Marsch der Mütter“, Moskau, 15. August 2018 / Peggy Lohse

„Marsch der Mütter“, Moskau, 15. August 2018 / Peggy Lohse

Unter Blitz, Donner und Dauerregen zogen heute Hunderte, so die bisherigen Angaben, Menschen durchs Moskauer Stadtzentrum zum Obersten Gericht. Ziel des „Marsch Materej“ („Marsch der Mütter“): Die Freilassung der zwei Jugendlichen Anna Pawlikowa (18) und Maria Dubowik (19), die im Fall „Nowoje Welitschije“ („Neue Größe“) wegen Mitgründung einer extremistischen Vereinigung verurteilt werden sollen. Der Fall hatte in den letzten Wochen die russischen Medien und Gemüter bewegt. Erstens waren Pawlikowa zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung noch nicht einmal, Dubowik gerade einmal volljährig. Ihr Gesundheitszustand soll sich stark verschlechtert haben, seit sie im März dieses Jahres mit acht weiteren Angeklagten in Untersuchungshaft gekommen waren. Zweitens sollen die Jugendlichen jener bislang völlig unbekannten Gruppierung durch einen V-Mann aus den russischen Sicherheitsbehörden radikalisiert und zu extremistischen Äußerungen provoziert worden sein. Dieser wiederum figuriert im Prozess nur als Zeuge. 

Der „Marsch der Mütter“ war nicht offiziell angemeldet worden. Die Organisatorinnen, darunter bekannte Journalistinnen und Persönlichkeiten der russischen Medien, begründeten dies mit den kurzen Fristen, dem sich rapide verschlechternden Zustand der Inhaftierten und ihren Erfahrungen der letzten Monate, dass die Behörden die Aktion doch nicht genehmigen würden. Noch am Vortag veröffentlichte die Nachrichtenagentur Interfax eine Warnung des Moskauer Bürgermeisters, wonach die Aktion abgesagt werden sollte. Die Bürger sollten sich besser von der nicht genehmigten Massenkundgebung fernhalten. Die Organisatoren wiesen daraufhin, dass es sich bei dem „Marsch der Mütter“ nicht um eine politische Demonstration handele, dass weder Plakate noch Sprechchöre geplant seien. Allein Plüschtiere und Spielzeug sollten zum Obersten Gericht getragen werden, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Inhaftierten doch noch Kinder seien. 

Tatsächlich hielten sich die Sicherheitskräfte dann sehr zurück, sperrten teilweise sogar Straßen und Ampelkreuzungen ab. Immer wieder wiesen sie nur darauf hin, dass die Demonstranten nicht auf den befahrenen Spuren laufen sollten. Die berüchtigten Awtosaki, die grauen Busse zum Gefangenentransport der Polizei, waren fern ab der Demonstrationsroute geparkt worden. Erst als die Veranstaltung vor dem Gerichtsgebäude dann offiziell als beendet erklärt wurde, kamen sie, zusammen mit einigen OMON-Beamten, näher. Aber da sich die durchnässten Demonstranten bald schon in alle Richtungen verstreuten, blieb das erfreuliche Ergebnis dieser eigentlich illegalen Demonstration: null Verhaftungen.

An der Situation der Mädchen hat sich bislang allerdings nichts geändert. Der Vorstoß vom Nachmittag, das Gericht könnte die Haft in Hausarrest umwandeln und die Mädchen nach Hause entlassen, hat sich nicht erfüllt. Mindestens bis 13. September sollen sie nun noch in Haft bleiben.

Ähnliche Protestaktionen fanden parallel in Sankt Petersburg und Jekaterinburg statt. 

Update: Am Tag nach dem „Marsch der Mütter“ wurden die beiden jungen Mädchen Pawlikowa und Dubownik doch unter Hausarrest aus dem Gefängnis entlassen.

Der jüngste Protest: Protokoll einer Standortbestimmung

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