Elektrifizierung Russlands: Es werde Licht

Vor einhundert Jahren verabschiedete Sowjetrussland einen staatlichen Plan zur Elektrifizierung. Das war nicht nur für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes von Bedeutung, sondern schlug sich auch in der Kunst nieder. Eine Ausstellung im Museum Moskaus erzählt diese Geschichte nun nach.

Industrialisierung in der Kunst
Industrialisierung in der Kunst: „Industrielandschaft“ heißt das Gemälde, das A. Popow 1937 schuf. (Bild: Museum Moskaus)

„Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung“ – diese Formel von Wladimir Lenin war die Grundlage für den staatlichen Plan für die Elektrifizierung des Landes namens „GOELRO“ – die sowjetischen Behörden liebten Akronyme. Er wurde 1921 verabschiedet und markierte den Beginn des Baus von Kraftwerken. Man kann nicht behaupten, dass Russland vor der Revolution keine Elektrizität kannte, schon 1913 lag Russland beim Energieverbrauch an fünfter Stelle in der Welt, aber die Elektrizität „lebte“ in den großen Städten, in den Dörfern war sie unbekannt. Und Lenins großer Verdienst war es, dass elek­trische Glühbirnen oder die so genannten „Iljitsch-Glühbirnen“ (zu Ehren von Wladimir Iljitsch Lenin) ihren Weg in die Dorfhäuser fanden. Die Elektrizität wurde zum Symbol des Fortschritts.

Indem sie Häuser und Kasernen durchdrang und Siedlungen mit Drähten verband, verkündete sie in den 1920er und 1930er Jahren die soziale Gleichheit, die Geschwindigkeit und das Ausmaß der von der Revolution versprochenen Veränderungen. Die Elektrizität wurde zu einer Figur in Geschichten, Theaterstücken, Kindermärchen, Plakaten und Filmen und erschien in Zeichnungen und Gemälden.

Auf dem Weg zur Mensch-Maschine

Die Ausstellung „Elektrifizierung. 100 Jahre GOELRO-Plan“ im Museum Moskaus zeigt Dokumente aus dieser Zeit, Biografien von Schlüsselfiguren, elektrische Artefakte wie historische Glühbirnen und Tischlampen, Schalter, Laternen und avantgardistische Kunstwerke, darunter Fotografien von Alexander Rodtschenko.

Die Elektrifizierung Russlands in der Kunst
Elektrische Leitungen als Symbol für den Fortschritt, 1933 (Bild: Museum Moskaus)

Der Dichter Wladimir Majakowski und der Schriftsteller Andrej Platonow zogen Parallelen zwischen dem menschlichen Körper und der Maschine, der Mensch hörte auf, nur ein Mensch zu sein, er wurde zu einem Mensch-Motor, einer Mensch-Maschine. Diese Bilder finden sich beispielsweise in den Werken der Kreativgruppe Elektro-Organism, der auch Kliment Redko angehörte. In seinen halbabstrakten Werken verwendet Redko künstlerische Techniken, die für die traditionelle Ikonenmalerei und Lackminiaturen typisch sind – schwarze Hintergründe, kontrastierende leuchtende Linien und Punkte –, um den elektrischen Effekt des Glühens zu erzeugen.

Ein elektronisches Musikinstrument begeistert Lenin

Im Zuge der Erforschung der Elektrizität entstand zudem ein erstaunliches Musikinstrument, das Theremin, das in der Ausstellung zu sehen ist. Das Gerät ist nach seinem Erfinder Leon Theremin benannt. Der Physiker, der eigentlich Lew Termen hieß, schuf bei seinen Experimenten einen vibrationsempfindlichen Apparat, der auf menschliche Bewegungen reagierte und einen Ton von sich gab. So konnte das Gerät gespielt werden, ohne es zu berühren. Dieses demonstrierte Teremen 1922 bei einem kleinen Konzert im Kreml vor Lenin. Der Revolutionsführer war begeistert, und das Theremin wurde in der Folgezeit oft eingesetzt, um in kleinen Städten und Dörfern für die Elektrizität zu werben – durch die Musik verflog die unheimliche oder dämonische Wirkung der Elektrizität.

Die Elektrifizierung beeinflusste auch die Architektur. Die frühen sowjetischen Kraftwerke waren im Geiste des Konstruktivismus und der Neo-Renaissance gehalten. Die größte Baustelle jener Jahre war das Wasserkraftwerk Dnepropetrovsk im heutigen Dnipro in der Ukraine, das im Stil des industriellen Konstruktivismus errichtet wurde. Das Bauwerk besticht auch heute noch durch seine Kraft und gleichzeitige Prägnanz. Ein Kurzfilm von Dsiga Wertow mit dem Titel „Enthusiasmus: Symphonie des Donbass“, der ebenfalls in der Ausstellung gezeigt wird, erzählt die Geschichte des Bauprozesses.

Die Elektrifizierung gab der Kultur in den 1920er Jahren einen großen Aufschwung, aber mit der Ankunft Stalins änderte sich alles: Das Bild eines Mannes, der das elektrische Element erobert, wurde durch eine anonyme Masse ersetzt, die Fabriken baut, Autobahnen und Kanäle anlegt, alles unter dem brennenden Licht eines einzigen personifizierten Helden – des Führers Stalin.

Die Ausstellung „Elektrifizierung. 100 Jahre GOELRO-Plan“ ist noch bis zum 24. Oktober im Museum Moskaus zu sehen.

Ljubawa Winokurowa

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