Eine Geste der Anerkennung

Nach fünf Jahren steht es nun fest: Deutschland zahlt noch lebenden Russlanddeutschen, die während des Zweiten Weltkriegs in der sogenannten Trudarmee Zwangsarbeit verrichten mussten, einmalig 2500 Euro.

Sofija Simakowa (links)unterstützte frühere Angehörige der Trudarmee auf dem Weg zum Erhalt der finanziellen Unterstützung. (Foto: privat)

Frieda und Viktor Schulz aus dem sibirischen Dorf Krasnobrodskij waren fast die letzten, die Ende 2017 ihre Anträge auf die Anerkennungsleistung an das Bundesverwaltungsamt (BVA) noch rechtzeitig einreichten. Viktor hatte im Krieg in einer Kohlengrube gearbeitet. Frieda wurde 1941 von der Wolga nach Kasachstan verbannt und musste in einem Arbeitslager arbeiten. Über ein Jahr haben die beiden 90-Jährigen auf das Geld aus Deutschland gewartet. Dann kam es pünktlich zu ihrem diamantenen Hochzeitstag im März 2019: ganze 5000 Euro für die Eheleute. Dazu ein Brief. Diesen konnten die beiden allerdings nicht lesen: Frieda ist mittlerweile blind und Viktor des Deutschen nicht mächtig. Nur die Wörter „Frau Schulz“ konnte er entziffern. Gefreut hat sich das Paar trotzdem.

Gewaltiges Arbeitspensum

Die Selbstorganisation der Russlanddeutschen beteiligte sich an der Vorbereitung der Unterlagen für ehemalige Angehörige der Arbeitsarmee. Insgesamt 117 Anträge reichte der Internationale Verband der deutschen Kultur beim BVA ein. 56 davon bereitete Sofija Simakowa, Vorsitzende des Koordinationsrates der Deutschen im Verwaltungsgebiet Kemerowo, vor. Mit Unterstützung der Sozialabteilung des Verwaltungsgebiets absolvierte sie 2017 ein gewaltiges Arbeitspensum. Es wurden Anzeigen in allen örtlichen Zeitungen geschaltet und die Sozialämter informiert. Auch das Ehepaar Schulz erfuhr so von dem Anerkennungsverfahren. „Wir haben unsere Datenbank der Repressierten für die Region deutlich erweitert. Ich habe in jenem Jahr praktisch alle aufgesucht“, so Sofija Simakowa. Abschließend lagen dem Bundesverwaltungsamt 46 851 Anträge vor. Mehr als die Hälfte davon betraf Personen, die man zur Zwangsarbeit in Arbeitskolonnen in der ehemaligen Sowjetunion gesteckt hatte. Etwa 4000 Anträge kamen aus Rumänien, 1900 aus Regionen, die einmal zum Dritten Reich gehört hatten, unter anderem auch aus Polen. 90 Prozent der Antragsteller waren über 80 Jahre alt. Die größte Herausforderung sei die unerwartet hohe Zahl der Anträge gewesen, erklärt Sebastian Klappert, Referent im Bundesinnenministerium.

Würdigung und Versöhnung

Das BVA ging die Papiere zweigleisig an: Eine Hälfte der Mitarbeiter bearbeitete die Anträge der ältesten Antragsteller in Reihenfolge der Geburtsdaten. Die andere Hälfte nahm die Anträge nach der Reihenfolge des Eingangs vor. Laut einer Pressemitteilung des BMI wurde so bis Ende März 2020 rund 97 Prozent der Anträge erledigt. Fast 38 000 Anträge wurden bewilligt, 6383 Anträge abgelehnt. Die restlichen Anträge sollten bis Mitte 2020 abgearbeitet werden, versichert Sebastian Klapper. „Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, den Angehörigen dieser Opfergruppe als Anerkennung ihres harten Schicksals eine symbolische finanzielle Anerkennung zukommen zu lassen“, so der Beauftragte für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten Bernd Fabritius auf Nachfrage der MDZ. „Damit verbinde ich die Hoffnung, dass die Empfänger dieser Leistung diese – wenngleich späte – Würdigung ihres furchtbaren Leides als lindernd und versöhnend empfinden können“.

Tabu-Thema – selbst in der Familie

„Meine Mutter Marija Tkatschenko war noch am Leben, als sie erfahren hat, dass Deutschland russlanddeutsche Zwangsarbeiter unterstützen will“, erzählt Ljudmila Tkatschenko aus Orenburg. „Mama ist munter geworden, obwohl sie schon sehr krank war. Früher waren Krieg und Arbeitsarmee in unserer Familie fast Tabu-Themen – kaum schnitten wir das Thema an, wurde unsere Mutter nervös und fing an zu weinen. Es war unerträglich für sie, sich an diese furchtbare Jahre zu erinnern. Aber nun begann sie zu sprechen. Viel hat sie uns erzählt und sogar ein Gedicht geschrieben.“ Bald darauf ist Marija Tkatschenko verstorben. Das Geld haben ihre Kinder bekommen und sind der Bundesregierung sehr dankbar. „Nicht so sehr für das Geld, als vielmehr für die Anerkennung. Die zur Arbeitsarmee Eingezogenen haben es wohl verdient“, meint Ljudmila Tkatschenko.

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