„Der heutige Tag zählt zweifellos zu den besonderen und unvergesslichen Höhepunkten meiner vielen Jahrzehnte in diesem Land, das für mich zur zweiten und sehr geliebten Heimat geworden ist. Sie sehen mich so tief bewegt, wie ich es kaum in Worte fassen kann.“ Diese Worte hat Andrea von Knoop am 7. September auf dem Wwedenskoje-Friedhof in Moskau in ihrer emotionalen Dankesrede anlässlich der feierlichen Einweihung der Familiengruft der russischen Unternehmerdynastie Knoop nach sehr langer und meisterhafter Restaurierung gesprochen.
Sie ist in der deutschen Business-Community eine bekannte Persönlichkeit. Sie lebt seit 40 Jahren in Moskau und hat für die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen als erste Delegierte der deutschen Wirtschaft in Russland und Gründerin des Verbandes der deutschen Wirtschaft in der Russischen Föderation – Vorgänger der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer – Pionierarbeit geleistet. Aber viel weniger Menschen wissen, dass die promovierte Osteuropa-Historikerin seit Langem die Geschichte des russischen Zweiges der Familie Knoop erforscht und die Wiederherstellung der Familiengruft ihr langjähriges Herzensprojekt ist.
Aus Bremen nach Moskau
Ende des 19. Jahrhunderts kannte fast jeder Bewohner des riesigen Reiches diesen Spruch: „Keine Kirche ohne Pop’, keine Fabrik ohne Knoop.“ Der gebürtige Bremer Johann Ludwig Knoop kam 1839 im Alter von 18 Jahren als Gehilfe des Leiters der Moskauer Niederlassung der britischen Firma De Jersey & Co. aus Manchester, die mit Baumwollprodukten handelte, nach Russland. Er lebte in Moskau und revolutionierte in den folgenden Jahren die russische Textilindustrie.
Im Jahr 1847 baute Ludwig im Auftrag des Moskauer Fabrikanten Sawwa Morosow eine voll ausgestattete Textilfabrik – die „Nikolskaja Manufaktura“. Die schlüsselfertige Einrichtung von Textil-, hauptsächlich von Baumwolle verarbeitenden Fabriken wurde zu seinem Markenzeichen. Nicht nur die Maschinen kamen aus England, sondern auch der Großteil des Führungspersonals, der Ingenieure und Vorarbeiter. Der Markt hatte an solchen schlüsselfertigen Fabriken großen Bedarf. Nach dem ersten durchschlagenden Erfolg standen die russischen Textilfabrikanten bei ihm Schlange. Ludwig Knoop modernisierte praktisch im Alleingang den Großteil der Textilunternehmen in der Moskauer Region und wurde dadurch zum Begründer der automatisierten Textil-Großindustrie in Russland.
Der russische Baumwollkönig
Im Laufe der Jahrzehnte waren es annähernd 200 bis dahin nur gering mechanisierte Fabriken im Land, die mithilfe Knoops errichtet beziehungsweise mit Spinn- und Webmaschinen bestückt worden waren. 1852 gründete er sein eigenes Handelshaus Knoop und Co. in Moskau, das in den 60er Jahren zum größten Importeur von Baumwolle aus den USA, Ägypten und Indien für den russischen Markt aufstieg. Ebenfalls 1852 wurden er und seine gesamte Familie – alle seine sechs Kinder erblickten in Moskau das Licht der Welt – russische Staatsbürger. 1857 gründete Ludwig Knoop gemeinsam mit einigen befreundeten Moskauer Unternehmern die berühmte „Krengolmskaja Manufaktura“ bei Narva – die größte Textilmanufaktur Russlands und ganz Europas.
Die Verdienste Knoops blieben nicht unbemerkt. 1877 verlieh Zar Alexander II. Ludwig Knoop am Tage seines 25-jährigen Firmenjubiläums den Titel eines erblichen Barons in Anerkennung seiner herausragenden Verdienste um die russische Industrie.
Ende des Imperiums, Geburt einer Legende
Sogar nach der Verlegung seines Hauptwohnsitzes ins Schloss Mühlental bei Bremen reiste Ludwig Knoop bis zu seinem vorletzten Lebensjahr von 1870 bis 1893 für mehrere Monate im Jahr nach Moskau, St. Petersburg und Narva. Nach seinem Tod führten seine Söhne Theodor und Andreas seine Firma erfolgreich weiter. Doch egal wie stabil das Unternehmen war, es hatte keine Chance, den Schlägen des neuen Jahrhunderts standzuhalten. Zuerst kam der Erste Weltkrieg, dann folgte die Revolution in Russland. Der Ausbruch des ersten Weltkriegs 1914 bedeutete den Anfang vom Ende des Knoop’schen Imperiums. Die Nationalisierung der russischen Großindustrie durch die Bolschewiki 1918 setzte den endgültigen Schlusspunkt.
Die Mitglieder des russischen Zweiges der Familie mussten aus Russland fliehen und wurden in alle Winde verstreut. Und so wollte es das Schicksal, dass die Gruft auf dem deutschen Friedhof fast leer geblieben ist. Das etwa 14 Quadratklafter (etwa 77 Quadratmeter) große Grundstück wurde 1891 vom Sohn des verstorbenen Baumwollkönigs, Baron Andreas Knoop, erworben. Bis 1917 wurden auf diesem Friedhof vor allem katholische und protestantische Christen, aber keine orthodoxen Christen begraben, weshalb die Bevölkerung ihn den deutschen nannte und immer noch nennt. Die Grabstätte der Familie Knoop wurde fast sofort zu einer Attraktion, einem Wallfahrtsort und einer Kultstätte.
Der verschwundene Christus
Die Krypta wurde als Familiengrab mit zehn Grabkammern errichtet, von denen nur zwei für Bestattungen genutzt wurden. Den Archivunterlagen des Friedhofs zufolge wurden in der Krypta Mathilde Knoop, die 1893 starb, und vermutlich Ludwig Knoops Enkel, der kleine Baron Theodor Knoop, beigesetzt, der 1884 im Alter von einem Monat starb.
Die Menschen pilgerten in erster Linie zur Grabstätte der Familie Knoop, um die darauf errichtete Christusstatue zu sehen, der wundertätige Eigenschaften zugeschrieben wurden. Das Wasser, das an der Hand der Statue herunterfloss, soll über heilende Kraft verfügt haben. Zumindest glaubten viele daran. Und die Anzahl der Gläubigen war so groß, dass die sowjetischen Behörden es für das Beste hielten, den Gegenstand dieser religiösen Verehrung von dort zu entfernen.
Die berühmte Christusfigur des Florentiner Bildhauers Raffaello Romanelli verschwand jahrzehntelang im Fundus des Architekturmuseums auf dem Gelände des Donskoi-Klosters und wurde schließlich 1976 in das Dreifaltigkeitskloster in Sergijew Possad überführt.
Dies ist jedoch nicht der einzige Verlust, den die Familiengruft von Knoop während der Sowjetzeit erlitt. Ein Teil der ursprünglichen architektonischen Gestaltung des Denkmals wurde zerstört und die Terrassenplattform 1961 für fremde Bestattungen freigegeben.
Recherchen, Verhandlungen, Restaurierung
Den Anstoß zur Restaurierung der mehr und mehr verfallenden Familiengruft gab Andrea von Knoop, deren glühendes Engagement und ihre jahrelange Hartnäckigkeit dazu führten, dass die Gruft 2016 in die Liste der erhaltenswerten Kulturdenkmäler des Departements für Kulturerbe der Moskauer Stadtregierung aufgenommen wurde, sodass das Restaurierungsprojekt in Angriff genommen werden konnte.
Julia Loginowa, die stellvertretende Leiterin des Departements, unterstrich bei der Zeremonie die hohe Qualität der durchgeführten Arbeiten. Aber bevor die Restauratoren ihre Werkzeuge in die Hand nehmen konnten, mussten ihre Spezialisten hart arbeiten. Für die Restaurierung benötigten sie u.a. die Zustimmung der Angehörigen aller während der Sowjetzeit auf der Grabterrasse beigesetzten Personen. Während die Restauratoren ihrer Arbeit nachgingen, befanden sich die sterblichen Überreste der Bestatteten in speziellen Kühlkammern, und erst nachdem die unterirdischen und oberirdischen Teile der Grabstätte fertiggestellt waren, brachte man sie an ihren Platz zurück.
Darüber hinaus musste die Grabstätte selbst einem „Eigentümer“ zugeschrieben werden – jemandem, der dafür verantwortlich ist. Andrea von Knoop, die einzige in Russland lebende Trägerin des ruhmreichen Nachnamens, hat im Namen der Familie diese Verpflichtung übernommen.
Gerettete Schönheit
Der Chefarchitekt des Projekts, Alexej Schdanow, sprach darüber, wie die eigentliche Restaurierung der Familiengruft ablief. In der ersten Phase untersuchten Experten sorgfältig historische Fotos, die das ursprüngliche Bild der Hauptfassade des Gebäudes und der Terrasse zeigten. Anschließend wurden im Rahmen von Untersuchungen am Objekt die Schäden an architektonischen Details, Fliesenböden und Glaselementen ermittelt. Glas spielte bei diesem Projekt sowohl ästhetisch als auch funktional eine besondere Rolle. Neben den wunderbaren Glasblöcken des Falconnier-Systems an der Südfassade wurden die gusseisernen Fensterrahmen in der Decke der Krypta restauriert. Es wurden Luxfer-Prismen installiert – Glaselemente, die Sonnenlicht sammeln und in den unterirdischen Raum übertragen.
Die Schaffung einer Kopie der Christusfigur könnte durchaus die Handlung eines spannenden Romans sein. Es ist eine Art Fortsetzung der Detektivgeschichte über das Verschwinden der Statue vom Deutschen Friedhof und die Suche nach ihr. Eine Christusstatue ist in den Augen der Gläubigen und der orthodoxen Kirche eine heilige Figur und es ist schwierig, die Erlaubnis zu erhalten, eine Kopie davon anzufertigen. 3D-Scannen hat Abhilfe geschaffen. Hilfe kam auch vom Florentiner Unternehmen, das vor mehr als einem Jahrhundert das Original herstellte.
Über das Ergebnis der Restaurierung herrscht allgemein große Begeisterung. „Ich habe das Projekt von Anfang an leidenschaftlich begleitet und meine Verwandten im Ausland mit Berichten und Fotos auf dem Laufenden gehalten, sagte Andrea von Knoop in ihrer Rede. „Die Verwandten sind mit mir zutiefst beeindruckt von dem großen Engagement, der hohen Professionalität, und der Liebe zum historischen Detail, mit der die Arbeiten durchgeführt wurden, und der Stadt Moskau sehr dankbar“.
Diese Geschichte muss weitergehen
Andrea von Knoop hob in ihrer Rede eine weitere Dimension des Projektes hervor – die symbolische. „Es erfüllt uns mit tiefem Stolz und großer Freude, dass mit diesem Denkmal auch an ein wichtiges Kapitel der russischen Wirtschaftsgeschichte erinnert wird, in welchem die Unternehmerfamilie Knoop – insbesondere ihr berühmter aus Bremen stammender Gründer Johann Ludwig – eine bedeutende Rolle spielte.“ Vielleicht trägt dieses Projekt irgendwann dazu bei, die Geschichte des deutschen Unternehmertums in Russland fortzuschreiben. Viele hierzulande möchten, dass sie weitergeht.
Igor Beresin