Drogenabhängig in Russland: „Die Situation ist beschissen“

Alexander fing erst mit 17 Jahren an zu trinken. Um dieselbe Zeit rauchte er zum ersten Mal einen Joint. Und bald begann seine Suchtkarriere. Nun ist er auf Entzug und schildert uns seinen Blick auf die Realität der russischen Drogenwelt.

Drogenabhängig in Russland: Alexander begann mit dem Entzug.
Nach einer Überdosis Ecstasy begann Alexander mit dem Entzug. Er zeichnet ein düsteres Bild der russischen Drogenszene.

Der Weg in die Abhängigkeit

Ich war ein sehr guter Junge. Ich rauchte und trank nicht, bis ich mit 17 an die Uni kam. Eigentlich war ich mit dem Alkohol sogar etwas spät dran. Doch dann trank ich viel. Manchmal mit meinen Freunden, aber auch alleine und auch jeden Tag. Neben dem Studium hatte ich einen super Job als PR-Manager. Auf der Arbeit trank ich den Tag über einige Biere. Als ich nach Hause kam, dann eine Flasche Wodka. Das ging die ganze Woche so.

In meinem ersten Seminar an der Uni fand ich meinen ersten Dealer. Dann trennte ich mich von dem Mädchen, mit dem ich seit der Schule zusammen war. Das deprimierte mich und ich fragte den Dealer nach etwas Haschisch. Von Zeit zu Zeit rauchte ich dann, aber meistens trank ich. Irgendwann kam Ecstasy dazu.

Betrunken in der Uni

Das vorläufige Ende meiner Drogenkarriere war eine Überdosis von 15 Pillen. Ich hatte einen dreitägigen Kater, an den ich mich nicht erinnere. Anscheinend saß ich bei meinen Eltern unter dem Tisch, eingehüllt in einer Decke. Ich heulte, schrie, schlug meinen Kopf auf den Boden und drückte Zigaretten auf meiner Haut aus. Davon habe ich immer noch viele Narben. Schließlich ging ich das erste Mal in eine Entzugsklinik. Zwischendurch kamen dann Rückfälle mit Alkohol, Schlaftabletten und dem Missbrauch meiner Antidepressiva.

Ich bin bei den Narcotics Anonymous und habe dort einen Mentor, der mich durch das Zwölf-Schritte-Programm begleitet. Das ist eine weltweit angewendete Methode, die Abhängige zu einem stabilen und nüchternen Leben führen soll. Zusätzlich besuche ich eine Entzugsklinik und zwei Psychologen. Das hilft mir, aber es ist teuer. Der gemeine russische Junkie kann sich das nicht leisten. Alles, was es für diese Leute gibt, sind die Narcotics Anonymous und kostenlose Entzugskliniken in Russland. Ich war selbst nie da, aber denke, dort geht es ziemlich hart zu. Da gehst du hin, wenn du keine Wahl hast.

Drogen kaufen in Russland

In Russland besorgt man sich Drogen über das Darknet. Dort gibt es eine Website mit Drogen aller Art. Mit Bitcoins kaufst du dir dann deinen Stoff. Daraufhin bekommst du Koordinaten zur „Sakladka“, also dem Ort, wo du das Zeug findest. Oft sind sie in Hauseingängen versteckt, aber auch in Parks im Boden vergraben. Die Ware wird von den sogenannten „Kladmen“ an ihren Platz gebracht. Diese kaufen sich riesige Mengen einer bestimmten Droge, welche sie an bestimmten Koordinaten abholen. Anschließend deponieren sie diese an einem Ort, den sie für ein gutes Versteck halten. Dann machen sie ein Foto davon und senden es ihrem „Masterdealer“.

Die „Kladmen“ sind verzweifelte Leute. Auch unscheinbare Rentner sind darunter. Sie verdienen in einer Woche etwa 100 000 Rubel (etwa 1150 Euro), können sich aber meist nicht lange halten. Doch wenn du damit mal angefangen hast, kommst du nicht mehr raus. Du machst weiter, bis die Polizei dich kriegt. Denn das Geld ist attraktiv und die höheren Dealer drohen dir damit, dich an die Polizei zu verraten, wenn du aufhörst.

„Die Dealer sprechen sich mit der Polizei ab“

In Russland gibt es bei der Polizei eine Quote von „Kladmen“, die sie jeden Monat fassen sollten. Die Onlineshops sind von der Polizei gedeckt, manchmal verkaufen sie dort selbst Drogen. Die Dealer sprechen sich mit der Polizei ab und verraten „Kladmen“ und Konsumenten. An den Koordinaten der „Sakladka“ warten die Beamten dann auf dich und nehmen dich fest.

Wenn du erwischt wirst, kannst du direkt vor Ort noch Schmiergeld bezahlen. Das ist etwas sehr Gewöhnliches. Doch wenn dein Fall schon registriert ist, kommst du hundertprozentig ins Gefängnis. Normalerweise für ungefähr vier Jahre.

„Ich persönlich hatte Glück“

Was auch passieren kann, wenn die Polizei dich erwischt, ist, dass sie dir selbst Drogen in die Hand drücken. Die sollst du dann an deine Freunde verticken. Wenn du es machst, werden sie an deiner Stelle geschnappt und du bist frei.

Ich persönlich hatte Glück und konnte mein Zeug bei einem Freund kaufen. Ich war nur wenige Male bei einer „Sakladka“. Doch das ist der übliche Weg, um an Drogen zu kommen.

„In Russland nehmen alle Drogen“

Die Qualität der Drogen hier ist sehr schlecht. Das ist nicht wie in einem Coffee-Shop in Amsterdam. Gras beispielsweise wird mit verschiedenen Stoffen beträufelt. Zum Beispiel mit synthetischen Cannabinoiden, Heroin oder Mephedron. Eben alles, was du dir vorstellen oder auch nicht vorstellen kannst. Wenn du Dealer bist, dann brauchst du keinen hochwertigen Stoff. Du brauchst Drogen, die schnell abhängig machen.

Und ein weiteres Problem ist, dass niemand die Dealer sucht, sondern nur die „Kladmen“ und die Konsumenten. Außerdem ist die Polizei definitiv in den Drogenhandel involviert. Ich habe dafür keine Beweise. Ich glaube, das hat kaum jemand. Aber jeder weiß es.

Drogenabhängige werden stigmatisiert

Die Situation ist leider beschissen. Es gibt mehr und mehr Abhängige. In Russland nehmen alle Drogen. Es ist einfacher zu sagen, wer es nicht tut. Da wären zum Beispiel christliche und muslimische Fundamentalisten oder auch Nationalisten. Angeblich haben die das Motto: „Russisch sein, heißt nüchtern sein“. Doch viele Süchtige erzählen niemandem von ihrem Leiden. Denn Drogenabhängige werden extrem stigmatisiert. Sie gelten hier nicht als richtige Menschen.

Ein Spruch zum Abschluss, den ich sehr mag: „Drogen bringen dich nur an drei Orte: in die Klinik, ins Gefängnis oder auf den Friedhof.“ Also, nehmt keine Drogen. Sie sind gefährlich und machen euch das Leben viel schwerer als es sein muss.

Alexander hat uns gebeten, seinen eigentlichen Namen nicht zu nennen.

Aufgeschrieben von Emil Herrmann.

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