Disco in Moskau: Als Boney M. die Sowjetunion eroberten

Mit Frank Farian hat Deutschlands vielleicht erfolgreichster Musikproduzent im Juli seinen 80. Jahrestag gefeiert und ist dabei immer wieder auf die Sowjet­union zu sprechen gekommen. Mit Boney M. hatte er dort 1978 denkwürdige Auftritte.

Kaltes Wetter, heiße Rhythmen: Boney M. im Dezember 1978 auf dem Roten Platz (Foto: Jurij Abramotschkin/RIA Novosti)

Eine Erinnerung aus Kindertagen. Wenn bei der Schuldisco in der DDR „Rasputin“ gespielt wurde, dann kam das Spannendste zum Schluss. Alle wussten, wie der Hit von Boney M. endete. Wenn die Musik aufhörte, raunte eine Brummbärstimme: „Oh, diese Russen“. Aber das ging natürlich nicht. Wer „Russen“ sagte, der sprach die Sprache des Feindes, des Kalten Krieges. Deshalb musste man aufpassen und rechtzeitig den Ton abdrehen.

Aber ansonsten waren Boney M. auch im Osten durchaus salonfähig. Ihre Disco-Hymnen machten Spaß, ohne gleich gegen die guten Sitten zu verstoßen. Wer wollte (und verstand), der mochte sogar ein wenig Gesellschaftskritik aus den englischen Texten heraushören.

1976 war die Band aus Westdeutschland, produziert von Frank Farian, mit „Daddy Cool“ durchgestartet. 1978 stand „Rivers of Babylon“ vier Monate an der Spitze der deutschen Singlecharts.

Acht Konzerte an sieben Tagen

Und was machte Farian? Er brachte Boney M. auf dem Höhepunkt des Ruhms in den ganz toten Winkel des Musikgeschäfts – die Sowjetunion. Am 7. Dezember 1978 landete der Tross inklusive eines 40-köpfigen Anhangs und jeder Menge Journalisten in Moskau-Scheremetjewo. Wie surreal das den Menschen damals vorgekommen sein muss, als sich die Nachricht herumsprach, kann man sich heute kaum noch vorstellen. Dass Stars aus dem „kapitalistischen Ausland“ auf einer sowjetischen Bühne live zu erleben sein könnten, war jedenfalls kaum zu glauben. Mit ihren acht Konzerten an sieben Tagen im Großen Saal des Hotels Rossija leisteten Boney M. Pionierarbeit. Ein Jahr darauf würde dann auch Elton John im Land von Rasputin (und Leonid Breschnew) gastieren.

Werbung für die Auftritte wurde kaum gemacht. Nur im Rossija, wo die Musiker auch untergebracht waren, hing nach Augenzeugenberichten ein Plakat, das ein „Ensemble aus der Karibik“ ankündigte.

Nur zehn Prozent der Tickets gingen in den freien Verkauf. Sie kosteten vier Rubel pro Person und damit mehr als der Eintritt ins Bolschoi-Theater. Doch unter der Hand wurden auch 100 oder 150 Rubel gezahlt, ein kleines Vermögen. In der Schlange vor der Kasse des Rossija standen Menschen aus allen Ecken der Sowjetunion, denen ein Blick auf dieses Weltwunder den Weg nach Moskau wert war.

Lange Schlangen, steifes Publikum

Doch während draußen ein Riesentrubel herrschte, hatten Boney M. drinnen Mühe, Stimmung zu erzeugen. Das Publikum klatschte brav mit, machte aber keine Anstalten, sich von der Tanzmusik von den Sitzen reißen. Schließlich waren die meisten ja auch keine Fans, sondern hatten „die Karten zugeteilt bekommen“, erinnerte sich später die damalige Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Irina Rodnina. Auch sie gehörte zu den Privilegierten.

Zwischen den Konzerten tanzten Boney M. trotz Eiseskälte auf dem Roten Platz und nahmen einen Clip zu „Rasputin“ auf – dem einzigen Song, der ihnen auf der Bühne verboten worden war. Aus „historischen Erwägungen“, wie es hieß. Rasputin als „Russia‘s greatest love machine“ und „Lover of the Russian queen“, da hörte die künstlerische Freiheit dann scheinbar doch auf.

„Kann man sich nicht erträumen“

Das änderte nichts daran, dass die Gastspielreise ein voller Erfolg für alle Beteiligten war. Die Sowjet­union demonstrierte im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 1980 ihre Weltoffenheit (was ihr am Ende bekanntermaßen aber nicht viel nützte, wurden die Spiele doch von der halben Welt boykottiert). Der oft eher graue Alltag im Arbeiter- und Bauernstaat bekam für ein paar Tage etwas Farbe. Boney M. und die, nun ja, Russen blieben sich anschließend in ewiger Zuneigung verbunden. Noch Jahrzehnte später tingelten die Bandmitglieder in verschiedener Besetzung durch die russischen Lande. Vortänzer Bobby Farrell starb 2010 im Alter von 61 Jahren nach einem Auftritt in St. Petersburg. Er wurde am darauffolgenden Morgen tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden.

Als Produzent Farian neulich 80 Jahre alt wurde, da hat er in seinen Geburtstagsinterviews auch über den Coup von 1978 sinniert. Dem Nachrichtensender n-tv sagte er: „Ich denke oft daran, wie wir auf dem Roten Platz getanzt haben. Mein Vater ist in Russland gefallen und ich bin dort ein gefeierter Star. Das kann man sich nicht erträumen.“

Tino Künzel

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