„Die Russlanddeutschen sind angekommen“

Er kam als Fotograf für eine russlanddeutsche Zeitung und ist heute Chefredakteur von „vitamin de“, einem Journal für junge Deutschlerner: Der Berliner Robert Teschner verbindet seit 16 Jahren sein Leben mit Omsk, der heimlichen Hauptstadt der RussIanddeutschen. Für die MDZ schildert er seine persönlichen Eindrücke vom Leben der Minderheit.

Robert Teschner ist Chefredakteur des Journals „Vitamin de“ für junge Deutschlerner und beobachtet die deutsche Szene in Omsk. /Foto: Birger Schütz

Trotz der Auswanderungswelle zu Beginn der 90er Jahre leben noch etwa 50.000 Russlanddeutsche im Omsker Gebiet. Wie steht es um die Minderheit?

Ich würde es so nennen: Die Entwicklung verlief in den letzten Jahrzehnten so, dass für den überwiegenden Anteil der deutschen Minderheit und ihre Angehörigen im Omsker Gebiet ein spezifisch russlanddeutscher Alltag verschwunden ist. Bis zu Beginn der 60er Jahre konnten die Russlanddeutschen in der Sowjetunion nicht frei und gleichberechtigt leben. Das führte dazu, dass sie sich abschirmten und bestimmte kulturelle Eigenheiten erhalten blieben. Ich vermute, dass dies auch zum Erhalt der deutschen Sprache beigetragen hat. Ab den 70er Jahren setzte ein Prozess der Assimilation ein, der bis heute anhält. Die Russlanddeutschen und ihre Nachfahren sind in der russischen Mehrheitsgesellschaft angekommen. Viele von ihnen sind stolz auf ihre deutschen Wurzeln.

Wann begann das Verschmelzen mit der Mehrheitsgesellschaft?

Ab Anfang der 70er Jahre, als die Russlanddeutschen normale Sowjetbürger waren und wie andere Nationalitäten in der UdSSR auch am gesellschaftlichen Leben teilhatten. Russlanddeutsche konnten in der Spätphase der Sowjetunion beispielsweise im Bildungsbereich alle Positionen besetzen. Die Geschichten, dass Russlanddeutsche benachteiligt wurden, gehören in die Zeit davor. In den 80er Jahren konnte in Omsk jeder, der sich loyal zum Staat verhielt, eine höhere Laufbahn einschlagen oder Professor an einer Universität werden – unabhängig von seiner Herkunft. Ein Beispiel dafür ist Bruno Reiter. (Anm. d. Red: Professor für Genetik am Sibirischen Forschungsinstitut für Landwirtschaft in Omsk sowie Mitbegründer des Deutschen Nationalkreises Asowo).

Im Jahr 1992 wurde im Omsker Gebiet der Deutsche Nationalkreis Asowo gegründet –nach dem Deutschen Nationrajon im Altai die zweite große deutsche Selbstverwaltungseinheit im modernen Russland. Warum brauchte es ein solches Gebiet?

Nach dem Ende der Sowjetunion gab es ja insgesamt eine Art Wende – nicht nur politisch, sondern vor allem wirtschaftlich und sozial. Viele Russlanddeutsche fingen in dieser Zeit an, ihre kulturelle Identität neu zu entdecken. Ganze Dörfer haben damals umgedacht. Und dann kamen die ersten Kulturmittler aus Deutschland und haben sie darin bestärkt. In Sibirien machte das Gerücht die Runde, dass im Omsker Gebiet ein deutscher Nationalkreis gegründet wird. Es kamen Russlanddeutsche auch aus anderen Sowjetrepubliken wie zum Beispiel aus Kasachstan, um sich dort anzusiedeln. Der Deutsche Nationalkreis Asowo war eine Antwort auf die Frage: Was wird aus uns? Vor allem vor dem Hintergrund der großen Umbrüche Anfang der 90er Jahre. Deshalb tragen Organisationen aus dieser Zeit auch oft solche Titel wie „Wiedergeburt“.

Mehr als drei Flugstunden von Moskau entfernt: Im Omsker Gebiet in Westsibirien leben heute noch etwa 50.000 Russlanddeutsche. /Foto: wikipedia.org

Heute gibt es im Omsker Gebiet insgesamt 54 deutsche Kulturhäuser, Deutschkurse, Vereine, eine eigene Zeitung. Spielt das Selbstverständnis als Russlanddeutscher eine große Rolle?

Früher haben die Leute einfach gedacht: Wir sind eben Deutsche! Die haben in ihren Dörfern gearbeitet und ihren normalen Alltag gelebt, der deutsch geprägt war. Damals gab es dazu keinen ideologischen Rahmen. Nach dem Ende der Sowjetunion entstanden dann Institutionen, welche die Angehörigen der deutschen Minderheit und ihre Nachfahren durch Kulturarbeit darin bestärkten: Ihr seid Russlanddeutsche, ihr könnt euch als Russlanddeutsche fühlen. Seit den 90er Jahren gehört diese auch von außen moderierte kulturelle Neufindung der Russlanddeutschen zur Kulturmittlerpolitik. Diese ist von Russland und von Deutschland durch Abkommen geregelt, und das ist sehr gut so.

Welche Rolle wird die deutsche Sprache in Zukunft noch spielen?

Viele Russlanddeutsche, besonders die Jüngeren, sind erst in dem Moment Russlanddeutsche, in dem man sie gezielt darauf anspricht. Das bedeutet, dass sie in Russland voll integriert und Teil der Gesellschaft sind – und darauf kommt es an. Viele Familien mit russlanddeutscher Herkunft sprechen mit ihren Kindern im Alltag kein Deutsch mehr. Die Kinder wachsen normal mit Russisch auf. Und wenn sie dann anfangen, Deutsch zu lernen, ist das für sie eine Fremdsprache. Und das ist schwere Arbeit und nichts, was man nebenbei macht. Aber genau das kann und sollte unterstützt werden. Deutsch im Alltag, und seien es auch nur ein paar Sätze, hält sich tatsächlich weiter in einigen Dörfern des Omsker Gebietes. Die Russlanddeutschen sind in Sibirien akzeptiert und gut aufgehoben.

Das Gespräch führte Birger Schütz.

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