Christus und Idylle

Er begründete eine ganze Kunstrichtung und wurde mit christlich inspirierten Gemälden berühmt: Wassili Polenow zählt zu den einflussreichsten russischen Künstlern des 19. Jahrhunderts. Eine Retrospektive in der Neuen Tretjakow-Galerie zeigt nun sein Schaffen.

Berühmt: Den „Moskauer Hinterhof“ von Wassili Polenow kennen die meisten Russen noch aus dem Kunstunterricht in der Schule. /Foto: tretyakovgallery.ru

Einstöckige Häuser und Schuppen, eine grüne Wiese mit spielenden Kindern und ausgetretenen Fußwegen und eine Kirche mit goldener Kuppel, die in der wärmenden Frühsommersonne blinkt: Das Kleinformat „Moskauer Hinterhof“ zeigt eine ländlich anmutende Szenerie, die man Ende des 19. Jahrhunderts so noch in vielen Ecken der russischen Hauptstadt finden konnte.

Intime Meisterwerke

Die friedvolle Idylle gilt als erstes Werk der sogenannten „Intimen Landschaftsmalerei“, einer Kunstrichtung, die vor rund 150 Jahren in Russland entstand. Ihre Anhänger verschmolzen die Weite und Schönheit russischer Landschaften mit eigenen Emotionen zu elegischen Meisterwerken. Begründer dieser Schule ist Wassili Polenow, dem die Neue Tretjakow-Galerie anlässlich seines 175. Geburtstags nun eine Retrospektive widmet. Zu bewundern sind rund 150 Bilder aus insgesamt 18 Sammlungen und Museen. Aber auch Theaterskizzen, architektonische Entwürfe, Fotografien sowie 65 Dokumente aus dem persönlichen Archiv Polenows können entdeckt werden. „Wir haben uns entschieden, das Schaffen des Künstlers in allen seinen Facetten zu zeigen“, erklärte Kuratorin Eleonora Paston Mitte Oktober gegenüber der Tageszeitung „Kommersant“. Denn Polenow habe sich ebenso für Architektur, Theater und Musik begeistert und auch in diesen Künsten Spuren hinterlassen. Auch in der Malerei beschränkte sich der Sohn aus einer gebildeten Adelsfamilie nicht auf ein einziges Genre. Immer nur friedvolle Landschaften waren ihm bald zu wenig. Und so machte sich Polenow, der sein Handwerk in den Kunstmetropolen Paris und Rom erlernt hatte, auch als Schöpfer großformatiger Historiengemälde einen Namen.

Das Leben der Heiligen auf der Leinwand

Vor allem die Umsetzung biblischer Motive und Erzählungen begriff er dabei als seine eigentliche künstlerische Bestimmung. Die Darstellung von Szenen aus dem Evangelium war seinerzeit völlig neu in der russischen Kunst. Die Inspiration für mittlerweile klassische Werke wie „Christus und die Sünderin“ oder den Zyklus „Aus dem Leben Christi“ holte sich Polenow bei zwei ausgedehnten Reisen durch den Nahen Osten. Bei diesen besuchte er die Stätten der biblischen Leidensgeschichte und ließ Licht, Schatten und Menschen des Nahen Ostens auf sich wirken. Die sich daran anschließenden Ausstellungen in St. Petersburg waren Großereignisse der russischen Kunstgeschichte. Polenows Bilder wurden gefeiert und begeisterten Kritiker und Ausstellungsbesucher. Zar Alexander III. erwarb einige Werke sogar für seine Privatsammlung. Die Ausstellung in der Neuen Tretjakow-Galerie läuft bis zum 16. Februar 2020. Am Dienstag, Mittwoch und Sonntag ist die Schau von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Zwischen Donnerstag und Sonnabend schließt sie erst um 21 Uhr. Am Montag bleibt das Museum geschlossen. Eine Eintrittskarte kostet für Erwachsene 600 Rubel.

Birger Schütz

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