Check-up vor den Toren Moskaus

In Russland lebende Ausländer müssen sich einmal jährlich auf eigene Kosten einem umfangreichen Medizincheck unterziehen. Unser Autor berichtet aus erster Hand, wie es bei der Prozedur zugeht.

Ein Polizist vor einem Wegweiser im Immigrationszentrum in Sacharowo
Rechts zum Check-Up: das Immigrationszentrum Sacharowo (Sergej Kiseljow/AGN Moskva)

Während dieser arg verwirrenden Konfliktzeit mit den unvorstellbaren Auseinandersetzungen um Territorien der Ukraine und dem daraus folgenden Supergau in den Beziehungen zwischen Russland und dem vereinten Westen gab es immerhin ein verhaltenes Blinken eines kleinen Lichtes am Ende des tiefschwarzen Tunnels: Nach wochenlangen, aufgebrachten Protesten der versammelten Expat-Gemeinschaft und all ihrer durchaus einflussreichen Geschäftsverbände wurde vor Kurzem die gesetzlich festgeschriebene Wiederholungsfrist für einen umfassenden Gesundheitscheck für alle in Russland tätigen ausländischen Staatsangehörigen samt Familien von unhaltbaren drei Monaten auf einmal im Jahr heruntergesetzt.

Verpflichtend bleiben sie für alle Berufssparten und Hierarchiepositionen. Also trifft es rund sechs Millionen fremdländischer Mitmenschen (vor der Pandemie waren es 9-12 Millionen), die allermeisten davon aus zentralasiatischen, ehemals sowjetischen „Bruder“-Staaten. Als einzige Möglichkeit zur Umgehung dieser unzumutbaren Auflage gilt die erneute Aus- und Wiedereinreise binnen 30 Tagen. Wenn immer wieder ausgenutzt, ginge das wohl ordentlich ins Geld, ist also kaum allgemein realisierbar.

Also nichts wie durch, wer sich hier beruflich und persönlich fest gebunden fühlt. Doch wer die Prozedur erstmalig mitgemacht hat, schlägt drei Kreuze vor der Brust für die einlenkende Gnade der Fristverlängerung. Schon allein die Anfahrt zum Ort des Geschehens, nach Sacharowo, dem riesigen zentralen Immigrationszentrum, eine gute Stunde Auto- oder Busfahrt jenseits der Moskauer Stadtgrenze auf dem öden, platten Land, gibt einen schalen Vorgeschmack auf den unvorhersehbaren Tagesablauf. Ein paar Momentaufnahmen davon.

Der erste Eindruck ist chaotisch

Es ist erst 7:30 Uhr, noch dunkel, klirrend kalt. Das hochgesicherte Riesengelände öffnet seine schmalen Drehkreuztüren. Schlange stehen ist nicht, es wird geschubst, gedrängelt, geschoben. Jeder der wohl Tausenden von Fremdarbeitern verschiedenster Herkunft will der erste sein, die zahllosen Sicherheitsleute schreien lauthals unverständliche Anordnungen. Chaos.

Das Ganze atmet eine geradezu unwürdige Atmosphäre, eine Mischung aus verordnet-obrigkeitshöriger Folgsamkeit und aggressiv-aufmüpfigem Widerstandsgeist. Das kann die locker eingestreuten Manager erkennbar westlicher Herkunft schon mal auf drängende Gedanken ans Homeoffice bringen. Aber dann wohl eher nicht mehr hier in Russland.

Über unzählige Köpfe hinweg, wenn auch halb maskenverdeckt, erblicke ich ein bekanntes Gesicht aus der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK), mit Frau und zwei Kindern im Grundschulalter, die sich ängstlich an ihre Eltern schmiegen. Irgendwie ein verstörend-trostloses Bild, wir winken uns schüchtern-verhalten zu.

Die Untersuchungen verlaufen oberflächlich

Trotz modernst elektronisch gesteuertem Nummernsystem kommt kein Ansatz von Ordnung in die Menschenmassen. Die Leute irren kopf- und ziellos durch die langen Korridore, um die nächste Arztstation zu finden. Kaum einer ist hier, der zu Hilfe gerufen werden könnte, zumal keiner der hier Verantwortlichen eine andere Sprache als Russisch spricht. Und das, obwohl aus dem Heer der Zwangsbefohlenen natürlich ein schier babylonisches Sprachgewirr tönt. So muss man hier nervige Stunden verbringen. Mit endlosen Wartezeiten kann es ein zäher Tag werden.
Hat man es einmal in einen Praxisraum geschafft, ist man in einer Minute schon wieder draußen. Tatsächlich untersucht wird wenig, lustlos werden schnell Häckchen gesetzt, etwas durch- oder angestrichen, es wird kaum ein Wort gewechselt. Die Ausnahme bildet das intensive Röntgen, ansonsten gilt reine Soll-Erfüllung. Irgendwie deprimierend.

Ach ja, das Preisschild des Abenteuers zeigt alles in allem rund 250 Euro, die notwendige Hilfestellung eines Russen von einer ortskundigen Agentur zur Vermeidung von Verständnisproblemen und eine Vorzugsbehandlung für so manchen inbegriffen. Außerdem muss man von Anfang bis Ende an vier Tagen zeitraubende Behördengänge einplanen.

Inzwischen haben zur Entlastung 15 medizinische Einrichtungen im näheren Stadtbereich eine „Medical Check“-Konzession, obwohl die tatsächliche, staatliche Anerkennung der geforderten Analyse-Dokumentationen noch nicht endgültig geklärt ist. Wie so oft gilt hier, selbst aktuell am Ball zu bleiben, da mag sich täglich wieder etwas ändern.

Auch danach winken Behördengänge

Auf jeden Fall sind die ärztlichen Diagnose-Dokumente im russisch-pompösen Urkunden-Design nach einer fünftägigen Wartezeit wieder persönlich in Sacharowo abzuholen. Nochmals ein paar Tage später muss man sie nach Termin bei einer eigens eingerichteten Behörde in der Stadt zur Vollständigkeitsprüfung vorlegen. Natürlich zusammen mit den teilweise ins Russische zu übersetzenden, notariell beglaubigten Ausweis-, Visa-und Registrierungs-Papieren. Dort werden dann noch Abdrücke der Handflächen und aller zehn Finger eingescannt und ein typisches Polizei-Porträt geschossen. Das strahlt dem behördlich für kerngesund Erklärten und vollständig Registrierten ein paar Tage später bei Abholung an selber Stelle auf der neuen Ausweiskarte entgegen.

Wer sich solche Gesetzmäßigkeiten hat einfallen lassen, ignoriert völlig die Rolle der Wirtschaft für die prospektive Entwicklung des Landes und richtet nahezu irreversible Schäden an. Das respektvolle Verständnis dafür, dass hier bisweilen doch etwas anders gedacht und regiert wird, die grundsätzlich empathische Zuneigung zu Russland sowie der eigene freudige Einsatzwille kann da so manchen Kratzer bekommen.

Von Frank Ebbecke

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