Beste Freunde – und was nun?

An Aachen und Kostroma hätten sie sich alle ein Beispiel nehmen können. Wie die Beteiligten auf beiden Seiten eine 2005 besiegelte deutsch-russische Städtepartnerschaft mit Leben erfüllten, war vorbildlich. Doch seit dem 24. Februar läuft nichts mehr. Speziell beim Partnerschafts- und Freundschaftsverein in Aachen, all die Jahre die treibende Kraft hinter den Aktivitäten, ist man konsterniert. Hier spricht die Vereinsvorsitzende Annelore Einmahl (66).

Der ehemalige Feuerwachturm überragt die gut erhaltene und gepflegte Altstadt von Kostroma. (Foto: Tino Künzel)

Wir haben uns noch am 2. Februar bei einer Videokonferenz mit unseren langjährigen Partnern in Kostroma ewige Freundschaft geschworen. Drei Wochen später kam das Aus. Aber so richtig. Wir haben noch versucht, die Kontakte aufrechtzuerhalten, bekamen aber böse Briefe zurück. (Anm. d. Red.: Der Verein hat in einer Stellungnahme das russische Vorgehen in der Ukraine verurteilt. Die Städtepartnerschaft ist seit dem 30. März auf Beschluss des Rates der Stadt Aachen ausgesetzt.)

Da hieß es, wir würden der westlichen Propaganda aufsitzen. Es herrschte totales Unverständnis für unsere Position. Den letzten Brief in dieser Richtung habe ich im Herbst von einem Mechatroniker aus Kostroma bekommen. Der war nach einem Besuch bei uns so begeistert, dass er Deutsch gelernt hat und auch seine Frau und seine beiden Söhne unbedingt nach Aachen bringen wollte. Nun gratulierte er mir zum Tag der Deutschen Einheit und drückte seine Hoffnung aus, dass die Deutschen jetzt keine Feinde seien.

Die Zukunft ist völlig ungewiss

Das ist schon erschütternd, gerade für uns Vereinsmitglieder der ersten Stunde. Bei der Gründung vor 20 Jahren hat man mich zur Vorsitzenden gemacht, weil ich Russisch spreche. Unser Schatzmeister Peter Küppers ist auch von Anfang an dabei und genauso deprimiert wie ich. Zwei Jahrzehnte Verständigungsarbeit und dann das!

Die Mitte von Aachen: der Marktplatz mit dem Karlsbrunnen (Foto: Berthold Werner/Wikimedia Commons)

Wir hatten im November Mitgliederversammlung und ich kann Ihnen sagen, viele sind sehr skeptisch, was die Zukunft betrifft. Sollen wir ganz aufhören? Oder zehn Jahre warten, bis vielleicht wieder eine gewisse Normalität einkehrt? Einige meinen, wir dürften auf keinen Fall aufgeben. Denn wer soll irgendwann die Beziehungen wieder aufbauen, wenn nicht die Zivilgesellschaft?

Ein Herz für die russische Sprache

Wissen Sie, mein Vater hat im Krieg gegen die Russen gekämpft. Davon erzählen wollte er nie. Wir wussten nur, dass er in Ostpreußen verwundet wurde. Das hat ihm weitere Front­einsätze erspart. Mein Schwiegervater ist aus Russland völlig abgemagert zurückgekommen. Ein Onkel von mir erkrankte an Tuberkulose, ein anderer ist gefallen. Wir wissen nicht einmal wo.

Als ich 1973, ein Jahr vor dem Abitur, erklärte, dass ich von jetzt an Russisch lernen werde, haben in der Familie einige geschluckt. Eine sympathische, Russisch sprechende Frau war an meine Schule gekommen und hatte gefragt, wer am Nachmittag Russischstunden nehmen wollte. Die Frau war Ukrainerin, aus Kiew. Wir hatten dann nicht nur Unterricht, sondern haben zum Beispiel auch Borschtsch gekocht. Damals habe ich die russische Sprache für immer ins Herz geschlossen.

Mitten im Kalten Krieg in Moskau

Mein Vater war Arzt. Er hat heimlich gehofft, dass ich einmal seine Praxis übernehme. Aber ich wollte Russisch studieren. In der Universitätsstadt Aachen ging das überhaupt nicht, dafür musste ich nach Bonn. Und selbst dort waren wir an unserer Fakultät 70 Leute. Für Englisch hatten sich 2000 eingeschrieben.

Ich war auch mal drei Monate zum Russischlernen in Moskau. Das fühlte sich schon seltsam an, so mitten im Kalten Krieg. Aber ich mochte die Menschen, obwohl die gar nicht ohne Weiteres mit uns reden durften.

Als Russischlehrerin konnte ich meine Schüler begeistern, weil ich selbst begeistert war. Aber zurück in Aachen, stand ich vor einem Dilemma: An den Schulen wurde gar kein Russisch unterrichtet. Dafür kam 1993 ein Angebot von der Volkshochschule, als Vertretung einzuspringen. Dort bin ich dann auch geblieben.

Die Anfänge der Städtepartnerschaft

2001 hat unser damaliger OB Linden von Ministerpräsident Clement den Auftrag bekommen, eine Städtepartnerschaft zu Kostroma aufzubauen. Es gab da gewisse wirtschaftliche Verbindungen und auch einige Parallelen, zum Beispiel die Größe der Städte mit rund einer Viertelmillion Einwohnern hier wie da. Ein Jahr später wurde die konkrete Arbeit in die Hände eines neuen Vereins gelegt und 2005 im Aachener Rathaus die Städtepartnerschaft offiziell vereinbart.

Kirchtürme, Wolgabrücken, Massenwohnungsbau – das alles ist Kostroma. (Foto: Tino Künzel)

Dann ging es los: Schüleraustausch, Künstleraustausch, Sportleraustausch. Wir haben unheimlich viel auf die Beine gestellt. Mal ist ein Chor aus Kostroma bei uns auf dem Weihnachtsmarkt aufgetreten, mal haben wir Kinderbilder aus unserer Partnerstadt in der Sparkasse ausgestellt.

Deutsch-russische Begegnungen

Wenn wir Gäste hatten, dann wurden die immer privat untergebracht. Ich habe mir einen Traum erfüllt, indem ich Deutsche und Russen zusammengebracht habe. Juri Schurin, der Bürgermeister von Kostroma, hat 2015 bei mir zu Hause gewohnt (und war übrigens total nett und völlig unkompliziert).

Wir aus Aachen waren 2019 zuletzt in Kostroma und wurden beim Stadtfest im August in die Festivitäten integriert. Man hat uns viel Herzlichkeit und Fürsorge angedeihen lassen. Und wenn mal etwas nicht klappte, dann wurde eben improvisiert. Ich bin immer gern in Russland gewesen, vor allem wegen dieser persönlichen Kontakte, die oft unvergesslich waren.

Sicher fahre ich eines Tages auch wieder hin. Aber vorerst können wir nur abwarten. Zum Fest werde ich Weihnachtsgrüße nach Kostroma verschicken. (Anm. d. Red.: Das Gespräch mit Annelore Einmahl fand Anfang Dezember statt.) Das ist alles, was im Moment geht.

Aufschrieben von Tino Künzel

„Es war eine schöne Zeit“

Jelena Wakulenko
Lehrerin für Deutsch und Englisch aus Kostroma

Ich habe im August 2019 zehn wundervolle Tage in Aachen verbracht. Eingeladen waren Pädagogen aus Kostroma. Außer Flug und Visum mussten wir nichts zahlen. Wir haben in Familien gewohnt und uns abends dann gegenseitig besucht, zusammengesessen und gesungen. Diese Reise gehört zum Besten, was mir in meinem Leben passiert ist. Wenn ich mal niedergeschlagen bin, dann schaue ich mir die Fotos und Videos von damals an und mir wird augenblicklich warm ums Herz. Den Kontakt zu meinen Gastgebern Rudl und Bätz pflege ich weiter. Mindestens einmal pro Woche tauschen wir Neuigkeiten aus. 

Natalia Wassilenko
Vorsitzende der Vereinigung der Russlanddeutschen in Kostroma

Unsere städtepartnerschaftlichen Beziehungen waren tatsächlich beispielhaft. Aber nun sind alle Projekte gestoppt. Es hat da offenbar von Seiten der Stadt Aachen eine gewisse Einflussnahme gegeben. So wie ich das verstehe, ist man dort im Moment an solchen Kontakten nicht interessiert. Unser Kostroma hat im Sommer seinen 870. Stadtgeburtstag gefeiert. Auch unsere Freunde aus Aachen waren eingeladen, die sind bei uns immer Ehrengäste. Aber sie sind unter den gegenwärtigen Vorzeichen natürlich nicht gekommen. Ich hoffe, dass wir uns alle bald wiedersehen.

Peter Küppers
Schatzmeister des Partnerschafts- und Freundschaftsvereins in Aachen

Früher war ich vier, fünf Mal im Jahr im Kostroma, auch weil meine Frau gebürtig von dort ist. Ich habe das immer als ein Stück Heimat empfunden. Aber was uns jetzt so von dort zu Ohren kommt, da muss ich schon sagen, hat die Propaganda ganze Arbeit geleistet. Manche sind auch einfach abgetaucht, von denen hört man gar nichts mehr. Darüber sind wir sehr traurig, denn wir haben viel Herzblut in diese Städtepartnerschaft gesteckt. Es war wirklich eine schöne Zeit mit unbeschreiblichen Erlebnissen. Aber ob es jemals wieder so intensiv und herzlich wird, ob man noch einmal so unvoreingenommen aufeinander zugehen kann? Daran glaubt im Moment keiner so richtig.

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