Balaklawas „für die Unseren“

In Russland wird vielerorts auf Privatinitiative für die Bedürfnisse der Armee und der Soldaten in der Spezialoperation gesammelt, genäht und gewerkelt. Auch Olga Nasarowa aus dem Moskauer Vorort Istra bleibt nicht unbeteiligt. Was treibt die langjährige Bankkauffrau und erfahrene Näherin an?

Olga Nasarowa (Foto: privat)

Eine gewöhnliche Dreizimmerwohnung in einem typischen Haus in Istra bei Moskau. Küche, Flur, Schlafzimmer, ein Zimmer für die Tochter und eines für den Sohn, der zurzeit aber nicht zu Hause wohnt. Insgesamt 60 Quadratmeter. Seit September 2022 ist die Wohnung das Stabsquartier der Bewegung „Wir nähen für die Unseren“. In einem Zimmer der Tisch für die Zuschnitte, Stoffballen und bereits fertige Sachen, im anderen Zimmer zwei Nähmaschinen. Die Leute kommen hierher, um Schnittmuster und Stoff zu holen und fertige Sachen zu bringen. Manchmal kommen auch Journalisten vorbei, drehen Videos, fotografieren, befragen die Hausherrin der Wohnung und gleichzeitige Gründerin der Bewegung Olga Nasarowa.

„Als am 21. September die Mobilmachung begann“, erzählt sie, „habe ich geschaut, womit ich helfen kann. Im Internet gab es viele Listen. Und in jeder Liste – Sturmhauben (Balaklawa). Ich habe mir die Preise angesehen. Die Preiswertesten kosten 200 Rubel, aber es gibt auch welche für 600 Rubel (zwischen 3 und 9 Euro, Anm. d. Red.). Ich schaute mir Videos im Netz an, wie sie genäht werden, kaufte einen Meter Fleece und nähte fünf Hauben. Und dann immer mehr. Am 6. Oktober hatte ich begriffen, dass es eine Nachfrage dafür gibt. Es musste also genäht werden.“

Näherin, Bankkauffrau und Make-up-Künstlerin

Die 46-jährige Olga Nasarowa ist Näherin der zweiten Leistungsstufe. Das ist die erste Grundstufe in der Qualifikation der Näherinnen. Diese Stufe hatte sie bekommen, als sie mit 15 Jahren in die Näherei in Istra arbeiten ging. Nach zweieinhalb Jahren studierte sie wieder. Sie schloss die Baufachschule und das Finanz- und Wirtschaftsinstitut ab. Fast 20 Jahre lang arbeitete sie in einer Bank. In den letzten Jahren war sie auf Augenbrauen spezialisiert. Dabei kann man sich die Zeit selbständig einteilen.

Die ersten Sturmhauben brachte Olga in den soeben in Istra eröffneten Punkt zur Unterstützung der Einberufenen. Dann startete sie eine Sammelaktion, um Geld zum Nähen der nächsten Partie zu sammeln. Sie bekam Geldsendungen von Freunden, Bekannten, aber auch von Unbekannten. „Die erste Sammelaktion endete mit einem 70-Meter-Ballen Fleece. Als der Ballen unterwegs war, zerbrach ich mir den Kopf, wie ich das alles nähen soll. Bekannte und völlig unbekannte Menschen schrieben mir, dass sie helfen können. Und dann ging es los. Ich hätte natürlich nicht gedacht, dass das alles so große Ausmaße annimmt“, sagt Olga.

Und jetzt noch Freiwillige

Nach dem 21. September entstanden in Russland Tausende gesellschaftliche Initiativen zur Hilfe der Einberufenen. Einer näht, einer strickt, ein anderer kocht etwas, baut etwas, spielt mit den Kindern, zeichnet. Allein im Moskauer Gebiet gibt es über 1700 Projekte zur Unterstützung der militärischen Spezialoperation und der territorialen Einheit Russlands. Alle sind auf der Seite „Eine gute Sache. Wir sind mit Euch“ aufgeführt. Eben dort kann man auch das Projekt Olga Nasarowas mit einer Kurzinformation und einer Videovistenkarte finden. Olga nannte es „Wir nähen für die Unseren“. „Ich erinnerte mich an eine Zeile eines bekannten Liedes aus den Kriegsjahren ,Der Maschinengewehrschütze schießt seine Garben für ein blaues Tüchlein …’“ Aber schießen wir denn nicht auch?“, sinniert Olga. Im Russischen ist das Verb für „mit dem Maschinengewehr schießen“ und „mit der Nähmaschine nähen“ das gleiche.

Als in den Medien Informationen über die Bewegung „Wir nähen für die Unseren“ erschienen, meldete sich Pelageja Sterligowa, die Tochter des bekannten Unternehmers German Sterligow aus Istra, bei Olga. Pelageja leistet aktiv humanitäre Hilfe für den Donbass. Sie bot Olga Material im Austausch für fertige Produktion an. „Wir haben zugestimmt. Meinen Mädchen ist es egal, in wessen Auftrag sie nähen“, erklärt Olga. Die fertigen Produkte werden jetzt in den Stützpunkt zur Unterstützung der Einberufenen und zu Pelageja Sterligowa gebracht.

Bestarbeiterin

Wie viele Leute arbeiten bei Olga? „Die kann man nicht zählen“, sagt sie lachend. Swetlana, eine der ersten Helferinnen, ist Mutter von sechs Kindern. Olga nennt sie „Bestarbeiterin“. Wie schafft sie das bloß alles?

Im Übrigen kann jeder, der es wünscht zu helfen, mitmachen, wenn er eine Nähmaschine zu Hause hat. Man muss nur in den Stützpunkt kommen und das von Volontären zugeschnittene Material abholen. Und natürlich die fertigen Stücke wieder zurückbringen. Im Stützpunkt gibt es auch Nähmaschinen. Leute, die im Moment nicht nähen können, bringen sie vorbei, um wenigstens mit etwas zu helfen. Es werden nicht nur Sturmhauben genäht, sondern auch Mützen und Sweatshirts. All diese Sachen bekommen die Einberufenen. An der Front gibt es keine Möglichkeit zu waschen oder die Sachen auszubessern, deshalb ist es gut, wenn neue saubere Sachen zur Hand sind.

Die fertigen Sachen werden von Olgas Mädchen liebevoll verpackt. Sie legen auch eine kleine Tafel Schokolade oder Konfekt in jedes Päckchen. Und natürlich das Etikett ihrer „Marke“ mit der Aufschrift „Du sollst wissen, du wirst zu Hause erwartet, lebendig und unversehrt.“

Gebet für jede Balaklawa (Foto: privat)

Heldin

Was treibt Olga an? Ihren Worten nach der Wunsch, den Jungs zu helfen, die in den Donbass geschickt wurden. „Vielleicht sehe ich dabei meinen Sohn. Er ist 26 Jahre alt, wird jedoch nicht eingezogen, weil er eine ernsthafte Kopfverletzung nach einem Unfall hat. Aber wie geht es den Müttern, deren Söhne jetzt dort sind? Deshalb helfen wir mit allem, was wir können“, denkt Olga laut. Für sie sind alle Jungs, die jetzt im Donbass kämpfen, Helden.

Und für Olgas Kinder ist sie eine Heldin. „Mein Sohn sagt andauernd: ,Mama, ich bin stolz auf dich!‘ Das ist natürlich schön”, gesteht Olga.

Olga Silantjewa

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