An der Realität vorbei

Der böse Russe: Kaum eine Nation kommt in Videospielen so schlecht weg wie Russland. Nun hat „Call of Duty“ Vorwürfe für Russophobie und Geschichtsverfälschung geerntet. Wie lange soll das noch so weitergehen?

Im Irakkrieg von den Amerikanern zerbombt, in „Call of Duty“ den Russen in die Schuhe geschoben: Der sogenannte „Highway of Death“. /Foto: wikicommons

Dass sich mit Videospielen gutes Geld verdienen lässt, ist längst kein Geheimnis mehr. Unzählige Unternehmen setzen ihre Hoffnung und Investitionen in den stetig wachsenden Markt. Entwickler moderner Videospiele können der eigenen Kreativität so freien Lauf lassen wie noch nie zuvor: Es werden neue Zielgruppen angepeilt, innovative Erlebnisse in Sachen Gameplay angeboten und grandiose Epen, wie der Kassenschlager „Red Dead Redemption 2“ von Rockstar Games, auf den Konsolen erlebbar gemacht.

Dauerbrenner böser Russe

Umso schmerzhafter ist es dann, wenn die eigentlich so zukunftsgewandte Videospielindustrie an überholtem Denken festhält. Entsprechendes findet sich, neben dem Dauerbrenner Sexismus, in der generellen, unreflektierten Reproduktion diverser Stereotype. Ganz vorne mit dabei ist der böse Russe: Düster dreinblickend baut er sich immer wieder vor Spielern auf der ganzen Welt auf und droht ihnen im tiefsten, meist ins Lächerliche überzogenen Akzent. Moralische Konzepte scheinen ihm völlig fremd, denn das eisige und mitleidlose Russland hat ihn zum gnadenlosen Kämpfer erzogen. Mit der gleichen Brutalität verfolgt er nun die schurkischen Absichten gegenüber der Menschheit. Seine Untergebenen führt er mit harter Hand und scheut nicht davor zurück, den geringsten Fehltritt als Anlass für die kaltblütige Hinrichtung eines Mitstreiters zu nehmen. Wie sich in den vergangenen Tagen einmal mehr zeigte, haben die Konsumenten ihre Lust an der eindimensionalen Darstellung der russischen Bösartigkeit unlängst verloren. Für sein frisch veröffentlichtes Reboot von „Call of Duty: Modern Warfare“ hagelte es für die Spieleentwickler von Infinity Ward massig Kritik und Vorwürfe der Russophobie. Während das Spiel im Westen überwiegend positiv rezensiert wurde, reagierten die russischen Medien entnervt. Ein Großteil der Empörung jedoch spiegelt sich in Kommentaren und vor allem Bewertungen der Nutzer selbst wider, die sich über Stereotype und Geschichtsverfälschung beschweren.

Skrupelloser Gegner in Urzikstan

Dabei spielt „Call of Duty“ eigentlich in einer fiktiven Welt: In der Kampagne folgt die Geschichte einem CIA-Offizier und Einsatzkräften des britischen Special Air Service, die im erdachten Land Urzikstan zusammen mit örtlichen Rebellen gegen russische Invasoren kämpfen. In einem modernen, nahöstlichen Setting drangsalieren und ermorden vermummte Russen die Zivilbevölkerung und machen dabei auch vor Kindern keinen Halt. Dies lässt bereits an erzählerischer Tiefe mangeln, ist aber erst einmal nicht sonderlich ungewöhnlich. Woran sich die Kritik auf den einschlägigen Bewertungsportalen und in den Sozialen Medien vor allem aufhängt, ist das elfte Level mit dem Titel „Highway of Death“. Dort muss sich der Spieler als Scharfschütze seinen Weg entlang einer vollkommen zerstörten Straße bahnen. Diese sei, wie ein Rebellenführer erzählt, von den Russen zerbombt worden – ein Todesurteil für unzählige Zivilisten, für die es sich um den einzig möglichen Fluchtweg aus den Bergen handelte. Das Problem dabei ist: Den „Highway of Death“ gibt es wirklich. Er liegt zwischen Kuwait-Stadt und dem irakischen Basra und wurde während des Zweiten Golfkrieges von US-amerikanischen Luftstreitkräften im Kampf gegen irakische Truppen attackiert, die sich bereits auf dem Rückzug befanden. Die Bilder der zerstörten Straße gingen damals um die Welt. Gerade im Genre der Egoshooter, die im öffentlichen Diskurs meist als „Killer-“ oder „Ballerspiele“ bezeichnet werden, kommt der Russe meist besonders schlecht weg. Das ist, ohne in antiamerikanische Verschwörungstheorien abgleiten zu wollen, keine Überraschung, vergegenwärtigt man sich die Verbindungen des Genres zum US-Militär. Es ist schon längst kein Geheimnis mehr, dass die Armee der Vereinigten Staaten großes Interesse an Spielen wie „Call of Duty“ hegt, über die Nachwuchs rekrutiert und auf mögliche Kriege vorbereitet werden soll. Auch in der Rüstungsindustrie verzichtet man meist auf übliche Lizenzkosten, wenn Spieleentwickler echte Markenwaffen in ihren Machwerken unterbringen wollen. Alles soll so authentisch wie möglich sein und der Russe als Kriegsgegner scheint auch hier noch immer dazuzugehören.

Es begann in Hollywood

Unabhängig davon, inwiefern dies den realen Verhältnissen tatsächlich entspricht, baut man in der Videospielindustrie auf ein Fundament, das seine Anfänge in Hollywood nahm und dort bis heute seine Spuren hinterlässt. Geschenkt, dass zur Zeit des Kalten Krieges den Sowjets im US-Kino stets die Rolle des unsympathischen Gegenspielers zufiel. Doch was beispielsweise der Boxer Iwan Drago als Konkurrent in „Rocky IV“ (1985) darstellt, lässt sich ebenso in Juri Komarow aus „Stirb langsam – Ein guter Tag zum Sterben“ (2013) erkennen. Auch in diesem Jahr hat sich mit der dritten Staffel des Serienhits „Stranger Things“ erneut eine US-Produktion dem Klischee des bösen Russen gewidmet. Hier jedoch, wie auch in der Wrestlingserie „Glow“, versehen mit ironischer Brechung der 80er-Fernsehunterhaltung. Spätestens Serien wie „The Americans“ (2013–2018) oder „Chernobyl“ (2019) können definitiv als Versuche einer tiefgreifenderen Charakterzeichnung sowjetischer Figuren gesehen werden. Beispiele wie diese finden sich im Kosmos der Videospiele derzeit kaum noch. Wer sich von einem aktuellen Spiel unterhalten lassen will, in dem ein Russe auf der richtigen Seite des Geschehens steht, der muss schon zu „Metro Exodus“ greifen. Hier ballert sich der Protagonist Artjom seinen Weg durch das postapokalyptische, strahlenverseuchte Russland. Mit einer US-amerikanischen Produktion hat man es hierbei dann allerdings nich zu tun. Das Spiel wurde vom ukrainisch-maltesischen Unternehmen 4A-Games entwickelt. Es bleibt also nur zu hoffen, dass die neuen Ansätze in Hollywood auf den digitalen Markt überschwappen.

Patrick Volknant

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