Atomare Aufrüstung: Rosatom baut Weißrusslands erstes AKW

Nahe der Grenze zu Litauen und damit zur EU soll 2019 das erste weißrussische Atomkraftwerk in Betrieb gehen. Der baltische Nachbarstaat hat dagegen vergeblich angekämpft – und fühlt sich auch von Deutschland im Stich gelassen.

Negative Energie? Weißrussland will seine Stromerzeugung mit Hilfe der Kernkraft diversifizieren. Auf dem Foto ist die Baustelle in Ostrowez im Jahr 2017 zu sehen. © Wikipedia/Homoatrox

Birkenwäldchen reihen sich aneinander. Häuser sind nicht zu sehen, Menschen schon gar nicht. Nur eine neue Asphaltstraße durchquert die weißrussische Landschaft. Sie führt auf direktem Weg zum Prestigeprojekt von Präsident Alexander Lukaschenko. Plötzlich ragen von Weitem die beiden Kühltürme des Atomkraftwerks in Ostrowez empor, nebenan stehen noch die Baukräne.

Schon bald soll das gigantische Milliardenprojekt des autoritär regierten Landes den Betrieb nahe der EU-Grenze aufnehmen: der erste Meiler 2019 mit 1200 Megawatt Leistung, der zweite im Jahr darauf. Es wird das erste Kernkraftwerk in der Ex-Sowjetrepublik, die 1986 wie keine andere von der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl in der benachbarten Ukraine betroffen war. Die gesundheitlichen Folgen sind bis heute zu spüren. Demonstrationen brachten aber keine Kursänderung.

Das AKW mit Blöcken des Typs WWER-1200 ist seit Jahren ein Zankapfel zwischen Minsk und dem benachbarten EU-Land Litauen, denn der Betonkoloss steht nur 40 Kilometer von dessen Hauptstadt entfernt. Bei klarer Sicht kann man von Vilnius aus die Kühltürme sehen. Direkt vor der Grenze stehe ein gefährlicher Atommeiler, der im schlimmsten Fall das kleine Land ausradieren könnte, sagen die Balten. „Sargnagel Litauens“, nennen sie das AKW halb im Scherz.

Der weißrussische Vize-Energieminister Michail Michadjuk zitiert deshalb immer wieder die nationale Energiestrategie seines Landes. Er beschwichtigt: Es sei eines der modernsten Atomkraftwerke, von der EU als sicher eingestuft und von der Internationalen Atom­energiebehörde (IAEO) besichtigt.

Gebaut wird das AKW vom russischen Atomenergiekonzern Rosatom, der den Bau zu 90 Prozent mit Krediten finanziert. Minsk soll dafür bis zu zehn Milliarden Dollar bekommen haben. Russland stellt neben Geld auch hochmodernes Know-how zur Verfügung und wird die Brennstäbe liefern. „Unser Ziel ist es, wettbewerbsfähiger zu werden. An wen wir den Strom dann verkaufen oder nicht – der Markt wird das schon zeigen“, sagte Vize-Energieminister Michadjuk bei einer Besichtigung in Ostrowez. Bislang produziert der osteuropäische Staat mehr als 95 Prozent seines Stroms aus Erdgas, das jedoch aus Russland importiert wird.

Weißrussisches Landleben in Smorgon, einem Nachbarort von Ostrowez. © Tino Künzel

Für Litauen ist der Einfluss Moskaus bei diesem Projekt mindestens genauso fragwürdig wie die Sicherheit. Ähnlich wie die geplante Gaspipeline Nord Stream 2 durch die Ostsee sieht Vilnius das AKW eher als geopolitischen Coup Moskaus denn als wirtschaftliche Kooperation. Mit der Pipeline versuche man, „einen Keil zwischen die EU-Mitgliedstaaten zu treiben“, sagt Litauens Regierungschef Saulius Skvernelis. Ein Großteil der EU-Länder sei für die Projekte, kleinere Länder wie Litauen seien dagegen, könnten aber nichts ausrichten. Das AKW sei von der Sicherheit her eines der größten Probleme in seinem Land und eine ernsthafte Bedrohung. Jahrelang kämpfte das Land gegen das Kraftwerk – ohne Erfolg.

Viele Litauer hatten sich eine deutlichere Unterstützung vor allem vom mächtigen Deutschland erhofft, das nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fuku­shima einen kompletten Ausstieg aus der Atomenergie ankündigte. Doch Berlin bleibt vage. „Alle souveränen Länder können selbst über ihre Energieproduktion entscheiden“, sagt auch die Geschäftsführerin der Deutschen Energie-Agentur (Dena), Kristina Haverkamp. Solange alle Verpflichtungen und Sicherheitsstandards eingehalten würden, könne das auch Deutschland akzeptieren.

Experten verweisen darauf, dass Litauens Kritik nicht objektiv sei. 2009 musste das Land das eigene, noch zu Sowjetzeiten gebaute AKW Ignalina auf Druck der EU schließen. Der Bau war vom selben Typ wie Tschernobyl. Daraufhin musste Litauen auf Erdgas aus Russland umsteigen und fürchtet nun, von Moskau erpresst zu werden. Sollte künftig billiger Atomstrom vom Nachbarn in die Baltenrepublik fließen, könnten sich die Erzeugung eigenen Stroms oder Zulieferungen aus dem Westen weniger lohnen, heißt es. Präventiv hat Litauen deshalb schon vor der Inbetriebnahme ein Importverbot für Strom aus Ostrowez verhängt.

Im Informationszentrum im Dorf Ostrowez zeigen blinkende Tafeln, dass Weißrussland nur noch rund die Hälfte des Strombedarfs aus Erdgas decken will. Rote Linien zeigen Stromtrassen quer durchs Land zu den Nachbarn. Es sind Leitungen, die teilweise weder existieren noch geplant sind. Ein AKW-Mitarbeiter weist mit einem Stab wie ein Lehrer auf die Karte: „Das alles ist unsere Zukunft.“

Claudia Thaler (dpa)

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