Von wegen russisch

Sie sind lecker und gehaltvoll und gelten Vielen als typisch russische Delikatessen. Doch von Spezialitäten wie Russisch Brot haben die meisten Russen noch nie etwas gehört. Ein Überblick über kulinarische Erfindungen aus Deutschland mit slawischem Ruf.

Russisch Brot

Foto: Birger Schütz

Es ist süß, besteht aus einem schaumigen Kakao-Eiweiß-Teig und wird traditionell in Form von Buchstaben gebacken: Russisch Brot ist vor allem in Ostdeutschland sehr beliebt – und unter Russen völlig unbekannt. Dabei kommt die Leckerei ursprünglich aus dem großen Land im Osten. Schon im 19. Jahrhundert waren die Petersburger ganz verrückt nach dem im Zarenreich als Bukwi (Buchstaben) bekannten Gebäck, das es damals an jeder Ecke zu kaufen gab. Auch der Dresdner Bäckergeselle Ferdinand Wilhelm Hanke lernte die leckeren Lettern während seiner Lehrjahre in der Stadt an der Newa kennen und schätzen. In einer Bäckerei an Petersburgs Prachtmeile, dem legendären Newski-Prospekt, schnappte er das Rezept für die gebackenen Buchstaben auf und erlernte alle für die Zubereitung notwendigen Kniffe. Gleich nach der Rückkehr in seine Heimatstadt eröffnete der Sachse 1845 eine „Deutsche & Russische Bäckerei“. Dort buk er erstmals in Deutschland das Plätzchen-Alphabet und verkaufte es unter dem Namen „Russisch Brot“. Allerdings benutzte Hanke ausschließlich lateinische Buchstaben. Wahrscheinlich, um seine neugierige Kundschaft nicht zu verwirren. Die locker-leichte Nascherei wurde von Süßfreunden begeistert aufgenommen und mauserte sich innerhalb kurzer Zeit zu einem deutschen Verkaufshit. Aber auch in der Donaumetropole Wien rissen sich die Menschen um die Spezialität, mit der viele Österreicher bis heute sogar ihre Weihnachtsbäume schmücken. Allerdings wird Russisch Brot mit kurzer Unterbrechung durch den Zweiten Weltkrieg bis heute ausschließlich in Dresden hergestellt. In Russland war die Beliebtheit der Bukwi dagegen nicht von langer Dauer. Die gebackenen Buchstaben aus St. Petersburg sind im Land ihres Entstehens heute weitgehend in Vergessenheit geraten.

Russisch Ei

Foto: gutekueche.at

Sie sind ein Klassiker des kalten Buffets und schmecken sowohl als Vorspeise wie auch als Snack zwischendurch: Russische Eier sind eine Spezialität aus hart gekochten, halbierten Eiern, auf die ein Klecks Kaviar kommt. Auch wenn der Fischrogen in den allermeisten Fällen unecht ist: Für die Deutschen konnte eine Speise mit einer so exotischen Zutat nur aus Russland kommen – und schon hatte die Leckerei ihren Namen weg. Im Gegensatz zu den meisten Nahrungsmitteln, die in deutschen Landen als russisch gelten, kommen die gehaltvollen Eierhälften allerdings tatsächlich aus Russland. Schon im Zarenreich des 16. Jahrhunderts wurden sie dort zu festlichen Anlässen gereicht – jedoch als gefüllte Eier bezeichnet. In deutschen Kochbüchern finden sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts erste Rezepte für die beliebte Speise, die lange Zeit auf keiner anständigen Silvesterparty fehlen durfte. Das schnelle und einfache Grundrezept mit Fischrogen kommt heute allerdings immer seltener zur Anwendung. Stattdessen sind avancierte und feinere Geschmacksvarianten angesagt. So gibt es die Eier mittlerweile unter anderem mit einer Füllung aus Sahne, Lachs, Anchovis und sauren Gurken. Gourmets mit prall gefülltem Geldbeutel können sich dagegen an einer Variante mit Trüffelfüllung gütlich tun. Und in den Kühltruhen deutscher Supermärkte gibt es seit Jahrzehnten mit „Russisch Ei“ in Aspik sogar eine Fleischsalat-Variante. Auch die Amerikaner haben russische Eier mittlerweile für sich entdeckt. In den USA werden die russischen Klassiker allerdings „devilled eggs“ genannt.

Russischer Zupfkuchen

Foto: wikipedia.org

„Ich erinnere mich noch genau an Onkel Michails Geburtstag, überall duftete es nach Sommer und Frischgebackenem.“ Die Familienfeier, von der Haushälterin Olga mit slawisch rollendem „R“ erzählt, wirkt ziemlich idyllisch: Festlich herausgeputzte Mädchen mit Schleifen in den Haaren tollen durch den Garten einer sonnendurchfluteten Datscha, bestens gelaunte Tanten und Onkel haben sich um einen großen Tisch versammelt – und alle schauen gespannt zu einer älteren Dame hinüber, die stolz einen Kuchen zur Festtafel trägt. Die Großmutter habe zu solchen Festen immer etwas ganz Besonderes gezaubert, erklärt Olga in dem knapp 30-sekündigen Werbeclip, der Mitte der 90er Jahre über deutsche Fernsehbildschirme flimmerte. „Nämlich ihren russischen Zupfkuchen!“ Doch so russisch, wie die Reklame aus dem Hause Dr. Oetker vorgibt, ist das sehnlichst erwartete Quarkgebäck mit den Schokoladenstreuseln gar nicht. Vielmehr ist der russische Zupfkuchen eine deutsche Erfindung, die kein Russe kennt. Das Grundrezept findet sich bereits in mehreren DDR-Kochbüchern. Doch so richtig bekannt wurde der Kuchen erst durch einen Backwettbewerb des Nahrungsmittelherstellers im Jahr 1993, bei dem mehrere Rezept-Varianten für einen russischen Zupfkuchen eingereicht wurden. Die Marketing-Abteilung des Konzerns wurde hellhörig und brachte daraufhin eine eigene Backmischung „russischer Zupfkuchen“ auf den Markt. Seinen Namen hat der Kuchen übrigens von den dunklen Teigzupfern, die auf der Käsemasse aufgesetzt werden. Diese sollen im ungebackenen Zustand an die Zwiebelturmspitzen russischer Kirchen erinnern.

Birger Schütz

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