Strickjacken und Fahrradwege: Drei Jahre als Sozialdemokrat in Russland

Als Leiter des Moskauer Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung musste Mirko Hempel mit so einigen Herausforderungen umgehen. Am Ende seiner Dienstzeit zieht er Bilanz und erklärt, wie politische Bildungsarbeit in Zeiten der Krise funktioniert.

Als Mirko Hempel am Ende einer Dienstreise die Rückkehr nach Russland verweigert wurde, packte ihn die Kampfeslust. „Ich habe das sportlich gesehen“, sagt der 55-Jährige, dem ein Verstoß gegen Visa-Auflagen vorgeworfen wurde. „Ich bin jemand, der nicht beim ersten Schlag umfällt!“

Hempel zog vor Gericht, bekam Recht – und war nach sieben Wochen wieder in Moskau. „Am Anfang einer solchen Mission gleich das Ende zu sehen, hab ich nicht eingesehen“, sagt der freundliche Sozialdemokrat., der damals noch ganz am Anfang seiner Zeit als Leiter des Moskauer Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) stand.

Mirko Hempel

Jobwechsel: Mirko Hempel geht für die Friedrich-Ebert-Stiftung nach Costa Rica. /Foto: Birger Schütz

Steiniger Start in Moskau

Doch nach drei Jahren ist nun Schluss, die Koffer sind gepackt. „Ein bisschen wehmütig bin ich schon“, sagt er. „Das war für mich die intensivste Zeit in 27 Jahren Arbeit bei der Stiftung!“ Dabei sei der Anfang sehr steinig gewesen, erzählt der studierte Afrikanist, der Russland noch nie zuvor besucht hatte.

Die Krise um die Krim war gerade ein Jahr her, der bewaffnete Konflikt in der Ost-Ukraine befand sich auf dem Höhepunkt und die Sanktionen gegen Russland gerade erst verlängert worden: Die Beziehungen zum Westen standen vor einer Zerreißprobe.

„Das war auf dem Höhepunkt“, erinnert sich Hempel, der zuvor unter anderem in Tschechien, Kroatien und Afrika arbeitete. „Ich glaube nicht, dass es noch höher hätte gehen können.

Das frühere Vertrauen zum Westen sei weg. Auch die Arbeit der politischen Stiftungen sei dadurch belastet worden. „Es wurde uns – und allen Stiftungen – vorgeworfen, dass wir Unruhe stiften und die jungen Leuten beeinflussen“, zitiert er Vorwürfe von russischer Seite.

Eine Verwechslung und ihre Folgen

So sei die Friedrich-Ebert-Stiftung Ende 2017 ins Zentrum der Ausein­andersetzung um die sogenannte Nowyj-Urengoj-Rede geraten. Damals hatte ein Schüler aus der sibirischen Stadt eine Rede im Bundestag gehalten, in der er mit Bezug auf in sowjetischen Lagern umgekommene Wehrmachtssoldaten von „Gräbern unschuldig gefallener Menschen“ sprach. Die Äußerungen lösten damals viel Empörung in Russland aus.

Doch die Stiftung hatte mit der Rede gar nichts zu tun, die Veranstaltung wurde vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge organisiert. Wahrscheinlich führte der Name des auch beteiligten Friedrich-Gymnasiums aus Kassel zu einer Verwechslung.

Dieses ganze Gebilde einer politischen Stiftung ist für die russische Wahrnehmung sehr fremd und ungewöhnlich“, erklärt Hempel diplomatisch. Dies sei auch in vielen anderen Teilen der Welt so. „Das ist ja eine einzigartige Konstruktion, die wir uns in Deutschland da leisten!“

Windenergie statt Außenpolitik

Da klassische Themen wie Außen- und Sicherheitspolitik angesichts der Spannungen nur schwierig zu bearbeiten waren, schaute sich Mirko Hempel nach neuen Aufgabenfeldern für die Stiftungsarbeit um. „Wenn oben alles verkrustet ist, muss man schauen, wo es Schnittmengen in der Zwischenebene gibt“, erläutert er seinen Arbeitsansatz.

Fündig wurde der Büroleiter unter anderem im Bereich der Kreativwirtschaft, der Umweltpolitik und der Stadtplanung. So erarbeitete die Stiftung beispielsweise eine Studie zum Potential russischer Windenergie und Geothermik, die auch auf Regierungsebene zur Kenntnis genommen wurde. Bei anschließenden Diskussionsrunden in Russlands fernem Osten traf die Arbeit auf viel Zustimmung.

Darüber hinaus beschäftigte sich die Stiftung in ihren Veranstaltungen mit der Autolawine, die Moskau und andere russische Großstädte täglich heimsucht. „Was kann man da machen?“, erklärt Mirko Hempel die Fragestellung, um selbst zu antworten: „Fahrradwege, grüne und verkehrsberuhigte Zonen!“

Bewegende Erinnerungen an die Leningrader Blockade

Welche Geschichte ihn in den drei Jahren am stärksten bewegt habe? „Das war das Projekt ‚Ich höre den Krieg!‘ “ Bei der gemeinsamen Veranstaltung der Stiftung und mehrerer Partner aus beiden Ländern lasen russische Darsteller aus Briefen der letzten Zeitzeugen der Belagerung von Leningrad.

Im Gegenzug zitierten deutsche Schauspieler aus der Post vor Leningrad liegender Wehrmachtssoldaten. „Das war unheimlich bewegend!“ Mehrere Zeitzeugen hätten sich im Gästebuch dankbar geäußert.

Für die Verbesserung der Beziehungen zwischen Berlin und Moskau hat Mirko Hempel auch einen Tipp: „Ich bin ja ein großer Fan der Kohlschen Strickjacken-Politik“, sagt er verschmitzt. „Einfach mal die Handys weg, keine Medien – und dann hinter den Ural fliegen und mit Putin, Lawrow oder wem auch immer drei Tage im Wald sitzen!“ Denn so wie bisher könne es nicht mehr weitergehen.

Was er an Russland vermissen werde?. „Die Hochkultur, hier wird noch viel gelesen und es gibt überall tolle Opern!“

Birger Schütz

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