Eisige Konkurrenz für den Suezkanal

Einst kämpften Seefahrer gegen Stürme und Kälte, nun sorgt die Klimaerwärmung immer öfter für freie Fahrt: Der nördliche Seeweg an Sibiriens Küsten wird bisher von wenigen Schiffen genutzt. Nun soll die Passage ausgebaut werden.

Die Passage durch das Nordpolarmeer ist rund 6.000 Kilometer lang und nur wenige Monate eisfrei. / Foto: severpost.ru

Meterhohe Eisberge, mächtiges Packeis und schneidender Polarwind: Der nördliche Seeweg entlang der sibirischen Küste galt Hunderte Jahre lang als unbezwingbar. Immer wieder blieben wagemutige Seefahrer auf der Strecke zwischen Atlantik und Pazifik im Eis stecken und mussten ihre Schiffe aufgeben.

Erst 1879 konnte der schwedische Seefahrer Adolf Erik Nordenskiöld die ganze Route durch das Nordpolarmeer bezwingen. Einfacher wurde es damit aber nicht. So sank 1934 der Dampfer „Tscheljuskin“ ausgerechnet während einer Propagandafahrt, die beweisen sollte, dass sowjetische Frachtschiffe ohne Eisbrecher in der Arktis auskommen.

Eis geht wegen Klimaerwärmung zurück

Mittlerweile scheinen die Risiken jedoch berechenbarer geworden zu sein. Die Klimaerwärmung geht auch am Nordpolarmeer nicht vorüber, das Eis geht immer weiter zurück, die schiffbare Periode wird länger. Der Nördliche Seeweg wird für Russland wieder interessanter. Alte Pläne von einer alternativen Transportroute zum Suezkanal werden laut.

Ende Januar hat die russische Behörde für Meeres- und Binnenschifffahrt (Rosmorretschflot) nun einen Plan für den Ausbau der Passage vorgelegt. Das Papier sieht für die kommenden fünf Jahre Investitionen in Höhe von insgesamt 12 Milliarden Euro (905 Milliarden Rubel) vor. Rund ein Drittel der Summe stellt der Staat zur Verfügung, die restlichen Milliarden sollen aus der Wirtschaft und anderen Quellen kommen.

Der Schlüssel zur russischen Arktis

Die Gelder fließen unter anderem in die Modernisierung der sechs Schlüsselhäfen Dikson, Dudinka, Murmansk, Pewek, Sabetta und Petropawlowsk-Kamtschatskij. Der Anschluss der Ankerplätze an Eisenbahn und Fernverkehr soll verbessert werden. Auch der Bau von sieben Eisbrechern ist vorgesehen.

Das Ziel: Eine Erhöhung des Frachtvolumens der Route auf insgesamt 80 Millionen Tonnen pro Jahr bis 2024. Präsident Wladimir Putin hatte die Zielgröße in seinen sogenannten Mai-Erlassen nach seiner Wiederwahl 2018 festgelegt. Der nördliche Seeweg sei der „Schlüssel zur Entwicklung der russischen Arktis und der Regionen im Fernen Osten“, argumentierte Putin zuvor im Föderationsrat. Die Passage müsse zu einer „globalen und konkurrenzfähigen Transport-Arterie“ werden.

Hohe Risiken – auch ohne Piraten

Keine Piraten, ein Katzensprung bis China, Japan oder in die USA: Aus russischer Perspektive bietet der nördliche Seeweg viele Vorteile. Doch Alexander Piljasow warnt vor überzogenen Erwartungen. „Es gibt zwar keine Piraten, aber die klimatischen Risiken bleiben auch in Zeiten der Erderwärmung hoch“, mahnt der Direktor des Zentrums für Ökonomie des Nordens und der Arktis in einem Interview mit der „Rossijkaja Gaseta“.

Von treibenden Eisbergen würden auch weiterhin große Gefahren ausgehen. „Um vor den Launen des arktischen Wetters sicher zu sein, müssen die Schiffe für das Eismeer verstärkt werden.“ Eine Investition, die nicht jedes Unternehmen auf sich nehmen will. Das Wetter erschwere überdies die termingenaue Lieferung von Waren. Ein weiterer Minuspunkt für international operierende Reedereien.

Unrealistische Zielvorgaben

Vor allem seien aber die Zielvorgaben für das Frachtvolumen zu hoch, kritisieren mehrere Behörden. 80 Millionen Tonnen pro Jahr ließen sich in nächster Zukunft nicht erreichen. So geht das russische Umweltministerium in einem Dokument aus dem vergangenen Dezember von maximal 52 Millionen Tonnen Frachtaufkommen aus. Und dies sei noch eine optimistische Prognose, schreibt die Wirtschaftszeitung „Kommersant“.

Im russischen Energieministerium wird der Lieferumfang auf maximal 61 Millionen Tonnen eingeschätzt. Sogar das Analysezentrum der Regierung prognostiziert im Durchschnitt nicht mehr als 63 Millionen Tonnen.

Eine Entlastung für den Suezkanal

Mit dem Suezkanal werde es der nördliche Seeweg daher auf absehbare Zeit nicht aufnehmen, schlussfolgert Alexander Piljasow. „Die Frachtschifffahrt über den Kanal hat sich über Jahrzehnte eingespielt“, sagt er. „Das so schnell zu ändern, ist unmöglich.“ Zu Stoßzeiten benötige die stark befahrene Schifffahrtsstraße aber auch Entlastungsrouten. „Ein Teil der Fracht könnte dann über den nördlichen Seeweg umgeleitet werden.“

Angesichts der zahlreichen Hindernisse stellen einige Ökonomen den Sinn des Milliarden-Projektes in Frage. Alexander Piljasow erteilt dieser Position eine klare Abfuhr. „Das ist eine Frage der Souveränität“, erklärt er. Die Arktis sei ein Teil Russlands. „Deshalb hat unser Staat gar nicht die Option, den Norden nicht zu erschließen.“ Die Frage sei eher, wie effektiv und fachgerecht dies vor sich gehe.

Chinesische Frachter im Eismeer

Für den Plan spreche auch, dass die internationale Bedeutung des nördlichen Seeweges in Zukunft zunehmen werde. Vor allem China dränge auf eine Nutzung, erläutert Alexander Piljasow. Schon jetzt seien einzelne Schiffe aus der Volksrepublik testweise auf der Strecke unterwegs.

„Die Chinesen sind so sehr wie nie zuvor an einer Diversifizierung ihrer Transportwege nach Europa interessiert“, erklärt der Experte. „Und dazu zählen eben auch Wege durch die Arktis.“ Die Bestrebungen gehen auf den Aufbau der neuen Seidenstraße zurück, dem großen Infrastrukturplan zur Verbindung der Volksrepublik mit Asien, Europa und Afrika.

Birger Schütz

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