Deutschlehrer über das, was ihnen unter den Nägeln brennt

Die wissenschaftlich-praktische Sprachkonferenz versammelte Anfang November rund 150 Deutschlehrer aus ganz Russland in Tomsk. In den Plenarsitzungen, am runden Tisch und in Arbeitsgruppen erörterten Gleichgesinnte gemeinsame, lawinenartig wachsende Probleme und suchten nach Lösungswegen. Die MDZ hat einige Meinungen aufgeschrieben.

Die Deutschlehrer setzten sich in Tomsk selbst an die Schulbänke. (Foto: Wjatscheslaw Stankewitsch)

Über die Situation mit der deutschen Sprache an den Hochschulen

Prof. Dr. Natalja Nikonowa, Leiterin des Lehrstuhls für romanisch-germanische und klassische Philologie an der Tomsker Staatlichen Universität (TSU)

Jetzt sind alle wissenschaftlichen Forschungsprojekte zwischen russischen Universitäten und deutschen Hochschulen eingefroren. Das betrifft auch die TSU. Die Kürzungen im Bereich der deutschen Sprache, Kultur und Literatur machen sich negativ im akademischen Leben bemerkbar. Wir legen im Prinzip eine Pause ein. Ich hoffe, dass sie nicht allzu lange währen wird und es keinen neuen Eisernen Vorhang geben wird. Die Unterbrechung der Kontakte mindert den Status unserer Hochschulen und schränkt uns ein. Wir zählen darauf, dass wir zusammen mit den gesellschaftlichen Organisationen der Russlanddeutschen wenigstens die Reichtümer bewahren können, die in Russland in den vergangenen Jahrzehnten im Bereich der Germanistik zusammengetragen worden sind.

Dr. Jelena Schitkowa, Dozentin an der Fakultät für Fremdsprachen an der TSU

Alle Probleme liegen auf der Hand. Das erste besteht in der flächendeckenden Kürzung des Deutschunterrichts. Fast alle Fakultäten an den Hochschulen verzichteten zugunsten der englischen Sprache auf die deutsche, ungeachtet dessen, dass es eine große Menge wissenschaftlicher Literatur in Deutsch gibt. Ein zweites Problem ist, dass wunderbare Lehrkräfte, die Deutsch unterrichten können und wollen, gezwungenermaßen eine andere Arbeit annehmen müssen. Sie lehren an den Hochschulen Russisch als Fremdsprache oder Englisch. Ich möchte daran erinnern, dass vor nicht allzu langer Zeit Englischlehrer zu Deutschlehrern umschulten wurden, als in den Schulen eine zweite Fremdsprache Pflichtfach wurde und in erster Linie Deutsch ausgewählt worden ist. Für dieses Fach sind Lehrbücher ausgearbeitet worden. So viel Geld wurde aus dem Fenster geworfen!

Und von all diesen Veränderungen können die Schüler und die Studenten nichts mitnehmen. Indem wir ihnen die Möglichkeit nehmen, Deutsch zu lernen, verschließen wir ihnen die Türen in die Welt der deutschen Kultur. Wir halten uns noch über Wasser, weil wir wunderbare enthusiastische Lehrer haben. Sie unterrichten in Kindergärten, Schulen und an Hochschulen. Darunter sind auch viele junge Leute, die in Schulen mit erweitertem Deutschunterricht die Sprache gelernt haben.

Über die Situation mit der deutschen Sprache an den Schule in Großstädten

Tatjana Podrugina, Deutschlehrerin an der Schule Nr. 1501 in Moskau

Schulen mit erweitertem Fremdsprachenunterricht, die sogenannte seltene Fremdsprachen, dazu gehört Deutsch jetzt auch, anbieten, haben schon bessere Zeiten gesehen. Die Anzahl der Schulen sinkt sehr schnell. Lehrpläne und Lehrmethoden, traditionsreiches Unterrichten von Sprache und Kultur, die jahrzehntelang geschaffen wurden, gehen den Bach runter. In der gegenwärtigen Situation sucht unsere Schule Anwendungsmöglichkeiten für das Wissen der Schüler und die Erfahrung der Deutschlehrer auf verschiedenen Niveaus der Sprachbeherrschung (von A1 bis C1). Das können Wissenswettbewerbe und Sprachkurse sein, aber auch Unterricht unter ethnischem Aspekt (für Russlanddeutsche).

Olga Ischtschenko, Deutschlehrerin am Gymnasium Nr. 6 „Gornostai“ in Akademgorodok, Nowosibirsk

Wir haben unser Leben der deutschen Sprache gewidmet. Ich habe 40 Jahre als Deutschlehrerin in der Schule gearbeitet. Wir möchten nicht, dass das geschaffene System des Deutschunterrichts zerstört wird. Noch funktioniert alles. Wir wissen jedoch nicht, wie in diesem Jahr die Prüfungen für das deutsche Sprachdiplom (DSD) abgenommen werden, die alle unsere Absolventen ablegen. Kürzlich wurde entschieden, dass die Schüler keine gesamtrussischen Prüfungsarbeiten in Fremdsprachen schreiben werden. Das sagen wir unseren Schülern aber noch nicht, wir bereiten sie weiterhin auf die Prüfung vor, denn solche Anstrengungen mobilisieren die Kinder. Außerdem ist es nicht ausgeschlossen, dass wir uns dann wieder in die entgegengesetzte Richtung bewegen. Wenn wir heute alles an einem Tag kaputtmachen, müssen wir es in jahrelanger Arbeit wieder aufbauen.

Über die Situation mit der deutschen Sprache in den Dörfern

Lilija Gridnjewa (Foto: Wjatscheslaw Stankewitsch)

Lilija Gridnjewa, Fremdsprachenlehrerin im Dorf Buranowo, Region Altai

Ich bin Deutschlehrerin aus Berufung, ich wohne in Barnaul. Es kam so, dass es im vergangenen Jahr keine Arbeit für mich in der Stadt gab. Mein Deutsch wollte ich aber nicht verlieren. Ich dachte nach, was ich tun kann und kam zu dem Schluss, an einem Wettbewerb im Rahmen des Programms „Semstwo-Lehrer“ teilzunehmen (ein Programm, bei dem ein finanzieller Ausgleich gezahlt und eine Tätigkeit als Lehrer in kleinen Siedlungen angeboten wird – Anm. d. Red.). Ich wählte eine Schule in der Siedlung Buranowo, 40 Kilometer von Barnaul entfernt. Die Schule hat mir gefallen, weil dort Deutsch als erste Fremdsprache gelehrt wird.

Ich kam an, öffnete das Klassenbuch und las dort lauter deutsche Namen: Schmidt, Miller, Gerber … Danach eröffnete ich einen Klub für Kinder aus russlanddeutschen Familien und organisierte für alle die Woche der deutschen Sprache. Ich selbst absolvierte eine Weiterbildung nach dem Programm des Moskauer Institutes für ethnokulturelle Bildung zur Klubleiterin. Jetzt sehe ich noch viel mehr Möglichkeiten für meine Arbeit. Bei den Schulkindern begannen die Augen zu leuchten. Der Schulleitung gefällt es auch. Man unterstützt mich.

Staatliche Ebene ist gefragt

Anna Dodonowa, Deutschlehrerin an der Schule Nr. 2 von Krasnoserskoje, Gebiet Nowosibirsk, Vorsitzende der Nationalen Kulturautonomie der Russlanddeutschen im Kreis Krasnoserskoje, Leiterin des deutschen Kulturzentrums

Als wir in den 1990er Jahren das System des Deutschunterrichts in unserer Siedlung aufzubauen begannen, waren wir voller Hoffnung. Hoffnung auf die Wiedergeburt unserer Kultur, unserer Traditionen und unserer Sprache. Damals hatten wir einige Schwierigkeiten, es gab keine materiellen Grundlagen und keine methodische Basis. Nicht alle waren bereit, offen über ihre deutschen Wurzeln zu sprechen oder überhaupt Deutsch zu sprechen. Wir haben viel dafür getan, dass die Leute überhaupt zu uns kamen. Zuerst bauten wir in der Siedlung eine katholische Kirche. Wir gaben den Menschen die Möglichkeit, in ihrer Muttersprache zu sprechen, Zeitungen und Zeitschriften in deutscher Sprache zu lesen, ihre Kultur zu bewahren. Die Leute fassten Mut.

Leider hat man uns in den letzten Jahren diese Möglichkeiten wieder genommen. Man entfernte Deutsch als zweite Fremdsprache aus den Schulen, dann wurde es auch als erste gestrichen. Die Kinder sehen jetzt keinen Sinn mehr darin, Deutsch zu lernen, weil es auch an den Hochschulen abgeschafft wurde. Die Russlanddeutschen, die zu allen Zeiten ihrem Vaterland dienten, haben so etwas nicht verdient. Ich finde, dass die Frage des Unterrichts ihrer Muttersprache auf staatlicher Ebene geklärt werden sollte.

Aufgeschrieben von Olga Silantjewa


Die Sprachkonferenz in Tomsk

Die 8. Internationale wissenschaftlich-praktische Sprachkonferenz zum Thema „Russlanddeutsche in der sprachlichen und ethnokulturellen Vielfalt der Völker Russlands“ fand in Tomsk vom 31. Oktober bis 4. November statt. Ausgerechnet in dem Raum der Tomsker Staatlichen Universität (TSU), in dem Wladimir Putin und Angela Merkel tagten, als sie 2006 die deutsch-russischen Regierungskonsultationen in Tomsk durchführten. Der Raum hat eine besondere Aura der guten Zusammenarbeit, sagte der Präsident der TSU Georgi Meier bei der Eröffnung der Konferenz.

Hier fanden die Plenarsitzungen der Konferenz statt (Foto: Wjatscheslaw Stankewitsch)

Die Konferenzteilnehmer – Deutschlehrer aus ganz Russland und Experten auf dem Gebiet des Fremd- und Muttersprachenunterrichts – diskutierten Schwachstellen und mögliche Problemlösungen. Die Redner der Plenarsitzungen machten auf die Bedeutung der ethnokulturellen Komponente beim Deutschunterricht für Russlanddeutsche aufmerksam.

Die Organisatoren – der Internationale Verband der deutschen Kultur (IVDK) und die Föderale Nationale Kulturautonomie der Russlanddeutschen – präsentierten eine Vielfalt von Möglichkeiten zum Erlernen der deutschen Sprache, die sie für alle russlanddeutschen Begegnungszentren und ihre Partner anbieten.

So bietet das Institut für ethnokulturelle Bildung verschiedene Fortbildungen für Deutschlehrkräfte an. Es organisiert Online-Kurse und Webinare aller Art und veröffentlicht Lehrbücher. Der IVDK koordiniert die Arbeit von Dutzenden deutscher Sprachclubs im ganzen Land für Kinder und Erwachsene. Am Projekt „Minderheitenschule“ beteiligen sich 12 Schulen mit erweitertem Deutschunterricht in den Siedlungen, wo viele Russlanddeutsche leben. Die Konferenzteilnehmer konnten sich von den Erfahrungen einer von diesen Schulen – des Tomsker Pro-Gymnasiums „Kristina“ – inspirieren lassen. Gleichzeitig fand in Tomsk eine Reihe von Veranstaltungen statt, die dem 30. Jubiläum des Tomsker Deutsch-Russischen Hauses gewidmet waren.

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